Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Australien
Von Großmächten umgarnt

Australien steckt in einer außenpolitischen Zwickmühle: China hat den fünften Kontinent wohlhabend gemacht, die USA sorgten für die Sicherheit. Beide Staaten wollen die strategische Kontrolle im Südpazifik - und Australien an ihrer Seite. Das Buhlen um Down Under könnte den Frieden im Südpazifik gefährden.

Von Andreas Stummer | 18.12.2016
    Luftaufnahme von Australien
    Luftaufnahme von Australien. (Google Maps)
    Unterwegs im Regierungsviertel von Canberra. Durch ein beschlagenes Autofenster zeigt Anti-Terrorexperte Athol Yates die etwas anderen Sehenswürdigkeiten der australischen Hauptstadt: Bombensichere Stahltore, tiefe Schutzgräben vor Regierungsgebäuden, schussfeste Bürofenster. Rund um das Parlament zieht sich eine hüfthohe, 40 cm dicke Betonmauer. Man könnte meinen, Staatsgeheimnisse wären hier gut aufgehoben. Doch ausgerechnet das ASIO-Hochsicherheits-gebäude, das brandneue Hauptquartier des australischen Geheimdienstes, ist so löchrig wie ein Schweizer Käse.
    Kein Kommentar der australischen Regierung. Was war passiert? Ende 2013 war es chinesischen Computerhackern bei einem Cyber-Angriff gelungen, an die Baupläne der neuen Agenten-Zentrale zu kommen. An Daten über die Verkabelung, die Raumanordnung und welche Geheimnisse wie und wo gespeichert werden. Womöglich wurden sogar Computerviren eingeschleust.
    "Peinlich, fahrlässig und gefährlich", fasst Bob Breen von der Abteilung für Verteidigungsstudien an der Universität Canberra den Vorfall zusammen. Das fast 500 Millionen Euro teure ASIO-Hauptquartier könnte genauso gut aus Glas sein.
    "Mit Hilfe der Pläne können Abhör- und weitere Cyber-Angriffe geplant werden. Die Chinesen wissen wo vertrauliche Gespräche stattfinden und wie diese Räume am besten zu verwanzen sind.”
    Das Parlamentsgebäude im Regierungsviertel der australischen Hauptstadt Canberra.
    Das Parlamentsgebäude im Regierungsviertel der australischen Hauptstadt Canberra. (imago / Danita Delimont)
    Jeder wollte Antworten: Die Opposition, die Presse, Australiens Verbündete – aber niemand redete. Aus Geheimnisträgern wurden Geheimniskrämer. Für Tim Morriss von der Hacker-Spezialeinheit der australischen Polizei ist die chinesische Cyber-Attacke auf das Hauptquartier des australischen Geheimdienstes weder eine Überraschung noch eine Ausnahme.
    "Das China-Syndrom"
    "Die Cyber-Angriffe aus China häufen sich. Erst war es das Außenministerium, dann die Notenbank. Sogar an unseren Universitäten wird spioniert. Niemand ist sicher: Weder die Regierung, noch Unternehmen."
    Sicherheitsbehörden, Wirtschaftsverbände und die Medien nennen es "Das China-Syndrom". Seit der Öffnung der Volksrepublik strömen Menschen und Kapital nach Australien. Fast 150.000 Chinesen studieren an australischen Universitäten, das Amt für Auslandsinvestitionen schätzt, dass Milliarden Euro in China auf der hohen Kante liegen - bestimmt für Australien. Investitionen aus dem Ausland brauchen in Australien eigentlich erst eine Genehmigung, doch die Finanzbehörden sind unterbesetzt und überfordert. Denn immer mehr wohlhabende Chinesen wollen sich ihre eigene Scheibe Australien abschneiden. Egal wie und um jeden Preis.
    Monika Chu ist in ihrem Element, umgeben von Luxus. Für ihre Makler-Agentur führt sie – exklusiv, versteht sich - reiche Klienten aus China durch Sydneys teuerste Villen.
    "Das Geschäft geht ausgezeichnet. Australien wird bei Käufern in China immer beliebter. Ich wollte dieses Jahr Häuser im Wert von 100 Millionen Dollar verkaufen, jetzt bin ich schon bei 120 Millionen."
    Koffer voller Bargeld, Versteigerungen bei denen nur Mandarin gesprochen und mit Hilfe von Strohmännern geboten wird. Sydneys und Melbournes Immobilienmarkt ist Wildwest für Millionäre aus Fernost. Einheimische bleiben oft außen vor.
    Ausländer dürfen in Australien nur neu gebaute Appartements oder Häuser besitzen, nicht aber bereits existierende. Doch Kaufen ist eine Sache, darin leben eine andere. Viele neue Wohnungen in Melbourne und Sydney stehen leer. "Das ist Geldwäsche", meint John Schmidt von der Investitionsagentur Austrac. Die Besitzer in China nutzten die Immobilien um ihr Vermögen in Australien zu parken.
    "Australien hat eine stabile Wirtschaft. Schmutziges Geld wird da gewaschen, wo es geregelte Finanzsysteme und einen Rechtsstaat ohne böse Überraschungen gibt. Und Australien ist ein solches Land."
    Sind es nicht Immobilien, dann ist es Infrastruktur: Mautstraßen, Stromnetze oder Kohleminen – und immer wieder Farmland. Je tiefer chinesische Investoren in die Tasche greifen, desto öfter wird selbst Australiens Tafelsilber meistbietend verscherbelt. Kein Wunder, dass chinesische Investoren längst auch Schlachthöfe, Molkereien, verarbeitende Betriebe und Hafenanlagen kaufen oder pachten. Sogar Australiens strategisch wichtigste Anlegestelle hoch im Norden, an der der Spitze des Kontinents ist in chinesischer Hand.
    Aus Geldgier die nationale Sicherheit aufs Spiel setzen
    Es ist ein ruhiger Morgen im Hafen von Darwin. Da wo sonst Bodenschätze, Getreide oder Lebendvieh verladen werden, hat nur ein Kreuzfahrtschiff angedockt. Am anderen Ende des Piers liegt eine Fregatte der australischen Marine. "Verglichen mit Sydney oder Melbourne sind wir ein kleiner Fisch", gesteht Hafenmeister Terry O‘Connor, aber Darwin ist Australiens Tor nach Asien.
    "Darwin liegt strategisch günstig – von hier aus ist es nicht weit nach Singapur, Indonesien und die anderen asiatischen Ballungszentren. Nördlich von uns leben Milliarden von Menschen. Von Darwin aus ist es ein Katzensprung in die asiatischen Märkte und umgekehrt."
    O’Connor hat seit sechs Monaten einen neuen Chef. Die Staatsregierung in Darwin suchte einen finanzkräftigen Betreiber für den Hafen: 99 Jahre Pacht für 350 Millionen Euro. Den Zuschlag bekam "Landbridge", ein chinesisches Infrastruktur-Unternehmen mit Verbindungen zur kommunistischen Führung in Peking. Weder die Finanzaufsichtsbehörde noch das Verteidigungsministerium protestierten. Peter Jennings vom Institut für Strategiefragen in Canberra aber hat Bedenken. Australiens wichtigste Handelsroute nach Fernost und der nördlichste Heimathafen der australischen Marine würden nun über Jahrzehnte von den Chinesen kontrolliert. Jennings wirft den Verantwortlichen vor, aus nackter Geldgier die nationale Sicherheit aufs Spiel zu setzen.
    "Niemand weiß, welche Folgen dieses Geschäft haben wird. Das hätten wir vorher überlegen sollen, bevor wir 99 Jahre Nutzungsrechte für den Hafen abgeben. Egal, was wir wirtschaftlich oder militärisch dort machen – nichts wird den Chinesen verborgen bleiben. Denn die kommunistische Partei kann nach Belieben die Geschäfte chinesischer Unternehmen im Ausland zu ihrem Zweck nutzen. So funktioniert China nun einmal."
    Australien steckt in einem Dilemma. China ist der größte Handelspartner und die USA sind der wichtigste militärische Verbündete. In Darwin liegen die Prioritäten beider Großmächte in der Region nur ein paar Kilometer weit auseinander.
    Die Vertreter der Pazifik-Anrainer sitzen in Atlanta im Jahr 2015 an einem Tisch und beraten über letzte Details des Freihandelsabkommens.
    Die Vertreter der Pazifik-Anrainer bei den letzten Verhandlungen über das TTP-Abkommen in Atlanta 2015. (picture alliance / dpa)
    Frühsport in der Robertson-Kaserne, nicht einmal 15 Autominuten vom Hafen entfernt. Die Soldaten sind US-Marines, die dort seit fünf Jahren zusammen mit australischen Truppen für Fronteinsätze trainieren. Mehr als 1200 Marines sind in Darwin stationiert, bald sollen es doppelt so viele sein, denn das Pentagon überlegt zusätzlich B1-Bomber, Tank- und Überwachungsflugzeuge zu schicken. "Nicht als Zeichen der Stärke", meint der australische Verteidigungsexperte Hugh White, sondern als symbolische Geste der Solidarität.
    Der designierte US-Präsident will TPP-Abkommen aufkündigen
    "Die US-Amerikaner wollen China und der übrigen Welt zeigen, dass Australien beim Tauziehen um die Vorherrschaft im Südpazifik an ihrer Seite steht. Die USA sehen den wachsenden Einfluss Chinas in der Region und in Washington macht man sich Sorgen, dass Australiens Wirtschaft zu sehr von den Chinesen abhängig ist."
    Australien war gerade dabei sich wirtschaftlich mehr von China abzunabeln. Mit elf weiteren Ländern hatte man die Trans-Pazifische Partnerschaft, kurz TPP, ratifiziert – ein Freihandelsabkommen von Pazifikanrainern, darunter die G7-Staaten USA, Kanada und Japan aber auch kleinere Länder wie Brunei oder Singapur. Staaten, die für fast 40 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung stehen, wollten gemeinsam den Handel im Pazifikraum ankurbeln – ohne China. Doch seit den US-Wahlen ist die Vereinbarung nicht mehr das Papier wert auf dem sie geschrieben steht.
    Der designierte US-Präsident hat versprochen das TPP-Abkommen an seinem ersten Tag im Amt aufzukündigen. Mit Donald Trump im Weißen Haus befürchtet Philipp Lowe rote Zahlen. Australiens oberster Währungshüter hält 45 Prozent Zölle auf chinesische Importe, wie von Trump angekündigt, für untragbar. Denn wenn sich die Chinesen revanchierten, wäre es mit dem Export-Boom von australischen Bodenschätzen nach China vorbei.
    "Ein Rückzug aus offenen Handelbeziehungen hätte katastrophale Folgen. Das wäre verheerend für die Weltwirtschaft und für die Australiens."
    Während die australische Regierung zu retten versucht, was von der Trans-Pazifischen Handels-Partnerschaft noch zu retten ist, weiß niemand in Canberra, wie die Rolle der USA im Südpazifik unter Präsident Trump aussehen wird. Barack Obama wollte eine Annäherung an Asien. Der Slogan im Trump-Lager aber ist: "Amerika zuerst". Peter Jennings vom Institut für Strategiefragen in Canberra glaubt, dass die USA künftig mehr vom Alliierten Australien verlangen werden als nur, wie bisher, im Gleichschritt mitzumarschieren.
    China setzt vor Australiens Haustür auf Scheckbuch-Diplomatie
    "Ich denke Australien wird einen Anruf aus Washington bekommen, in dem uns die USA dazu auffordern das Seerecht des freien Schiffsverkehrs im südchinesischen Meer zu testen – oder im Klartext: Patrouille zu fahren. Unsere Regierung sagt selbst, dass der Gebietsstreit dort auch Konsequenzen für Australiens Sicherheit hat. Trotzdem haben wir uns bisher darum gedrückt uns einzumischen, denn Präsident Obama war anderweitig beschäftigt."
    Während Peking beim Territorialkonflikt im Südchinesischen Meer ungeniert mit dem Säbel rasselt, setzt China vor Australiens Haustür auf Scheckbuch-Diplomatie. Ob in Fiji, Papua Neuguinea oder Samoa: Durch Kredite und Großprojekte für kleine Inselstaaten kaufen sich die Chinesen in der Südsee immer mehr Einfluss und Respekt – auf Kosten Australiens.
    Blick auf Apia - Samoa, 2014
    Blick auf Apia - Samoa (picture alliance / Karl-Heinz Eiferle)
    Morgens in Apia. Jeden Wochentag marschiert das Polizeiorchester in schneeweißen Helmen und kniefreier Uniform durch die Hauptstadt Samoas und hisst punkt acht Uhr die Nationalflagge – direkt vor dem Regierungsgebäude. Darin sind Samoas Verwaltung und Ministerien untergebracht. Finanziert und gebaut aber haben den sechsstöckigen Betonklotz die Chinesen. Genau wie das neue Hallenbad, den modernen Sportkomplex und bald kommt ein weiterer 80 Millionen Euro-Regierungsbau dazu. Samoas Staatschef Tuialepa Sailele hat damit kein Problem. Australien ist für sein Land und auch für die anderen Inselstaaten im Südpazifik der große Bruder, China aber ist der reiche Onkel aus Übersee.
    "Ich höre immer wieder laut und deutlich, dass vor allem Australien sich um den wachsenden Einfluss Chinas in der Südsee Sorgen macht. Aber die Chinesen helfen uns – nicht die Amerikaner. Vor fünf Jahren haben sie uns Staatsschulden in Höhe von 80 Millionen US-Dollar erlassen.”
    Jahrelang ging es bei Chinas Finanzhilfen im Südpazifik um Verbündete gegen die Anerkennung Taiwans oder um den Zugang zu Rohstoffen: Kupfer, Zink und Nickel aus Papua Neuguinea, Holz von den Solomon Inseln, Mangan und Kobalt vor Tahiti. Dann verdoppelte China den Warenexport in die Region. Doch die australische Politologin Jenny Hayward-Jones ist sicher, dass Peking weit mehr als nur wirtschaftliche Interessen im Südpazifik hat.
    Infrastrukturprojekte werden mit chinesischem Geld abgewickelt
    "Im südpazifischen Raum gibt es 14 unabhängige Inselstaaten und jeder hat eine Stimme bei den Vereinten Nationen. Papua Neuguinea mit sieben Millionen Einwohnern genauso wie Niue mit nur tausend. Diese Länder haben winzige Außenministerien und es ist leicht ihnen ihre Unterstützung bei den Vereinten Nationen abzukaufen."
    Samoa ist kein Einzelfall: Ein Kongresszentrum in Vanuatu, ein Universitäts-Campus in Papua Neuguinea, Straßen, Brücken und ein Stadion in Fiji oder auch nur Motorräder für das Kabinett der Cook Islands: China kleckert nicht, es klotzt – nur Australien gibt mehr Entwicklungshilfe im Südpazifik. Canberra setzt auf Zusammenarbeit vor Ort, Peking auf Alleingänge. Infrastrukturprojekte werden mit chinesischem Geld, mit chinesischen Arbeitern und Materialien schlüsselfertig abgewickelt. Samoas Wirtschaft geht dabei leer aus, protestiert Papu Va’aii, ein Politiker der regierungskritischen Tautua-Partei. Er vermutet, dass dabei eine Hand die andere wäscht.
    "All die Kredite, die Samoa von China bekommt, müssen wir in der Regel nicht zurückzahlen. Es wird nicht offen ausgesprochen, aber wir alle wissen, dass wir damit der chinesischen Regierung etwas schulden. Unser Volk denkt wir bekommen etwas geschenkt, aber nichts in dieser Welt ist umsonst. Gar nichts."
    Ein Drachentanz für die mächtigste Frau im Land. Australiens Außenministerin Julie Bishop ist Ehrengast eines Empfangs für eine chinesische Handelsdelegation in Sydney. Es wimmelt vor Lobbyisten und Dolmetschern. Draußen vor dem Luxushotel wird gegen den Ausverkauf australischen Farmlands protestiert und dass chinesische Immobilien-Spekulanten nur die Wohnungspreise hoch trieben. Drinnen stehen Wirtschaftsbosse Schlange, um mit der Ministerin zu sprechen. Julie Bishop lächelt verbindlich und bleibt unverbindlich. Denn sie weiß, dass Australien Peking und Washington bei Laune halten muss.
    Australiens Außenministerin Julie Bishop und Chinas Pendant Wang in Peking am 17. Feb. 2016
    Australiens Außenministerin Julie Bishop und Chinas Pendant Wang in Peking am 17. Feb. 2016 (imago / Kyodo News)
    "Wir werden diese konkurrierenden Interessen unter einen Hut bekommen, so wie das andere Länder auch tun. Wir sind nicht dabei unsere Identität an China zu verscherbeln oder unsere westlichen Freunde zu verkaufen. Australiens Wirtschaft braucht Investitionen aus dem Ausland. Aber darum kümmern wir uns genauso verantwortungsvoll wie um die Allianz mit den Vereinigten Staaten."
    Frieden im Südpazifik gewährleisten
    Australien steckt in einer historischen, außenpolitischen Zwickmühle. Der wichtigste Handelspartner ist zugleich der größte strategische Rivale des engsten Verbündeten. China hat Australien wohlhabend, die USA haben es sicher gemacht. Beide Großmächte wollen die strategische Kontrolle im Südpazifik und beide wollen Australien an ihrer Seite. Sich entweder für China oder die USA zu entscheiden, wäre so töricht wie naiv, warnt Verteidigungsexperte Hugh White. Australien wird wohl nichts anderes übrigbleiben als den Ringrichter zu spielen.
    "Australien muss aktiv und diplomatisch zwischen den Supermächten vermitteln. Nur ein Nebeneinander wird den Frieden im Südpazifik gewährleisten. Die Amerikaner müssen in Asien präsent bleiben und China muss damit einverstanden sein. Das funktioniert aber nur, wenn beide Seiten zu großen Kompromissen bereit sind."