Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, wird immer schwieriger. Eltern haben Probleme, einen Betreuungsplatz für ihre Kinder zu finden oder sie stehen manchmal auch vor geschlossenen Kindertagesstätten. Denn in den Kitas fehlt es an Fachkräften, das vorhandene Personal arbeitet bereits am Limit. Darunter leiden nicht nur die Kita-Mitarbeiter, sonder auch die Eltern und die Kinder.
Eine Studie des Deutschen Kitaleitungskongresses (DKLK) sieht die frühkindliche Bildung gefährdet. Das System stehe vor dem Kollaps. Dabei ist das Problem nicht neu. Warum tut sich hier so wenig, und welche Auswege sehen Eltern, Fachkräfte und die Politik?
Wie schlimm ist der Personalmangel in den Kitas?
Es gibt einen Rechtsanspruch auf Betreuung in einer Kindertagesstätte ab vollendetem ersten Lebensjahr. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung fehlen bundesweit aber rund 380.000 Kita-Plätze. Die meisten davon in Westdeutschland. Nur um den Betreuungsbedarf der Eltern zu erfüllen, müssten fast 100.000 Fachkräfte zusätzlich eingestellt werden. Sollen alle Plätze kindgerechte Personalschlüssel aufweisen, müssten 308.800 Fachkräfte zusätzlich beschäftigt werden.
Personal, das es nicht gibt. Der allgemeine Fachkräftemangel macht sich auch hier bemerkbar. Das führt oft zu verkürzten Öffnungszeiten, was erhebliche Auswirkungen auf berufstätige Eltern hat. Aber auch viele Mitarbeiter in den Kitas sind kräftemäßig am Ende. Sie müssen häufig Mehrarbeit leisten. Die Folge: kaum Zeit für Regeneration und hohe Krankenstände.
Gefährdung der Sicherheit der zu betreuenden Kinder
Mehr als sieben von zehn Kitaleitungen geben in der DKLK-Studie an, der Personalmangel wirke sich negativ auf den im Sozialgesetzbuch festgeschriebenen Kernauftrag von Kindertagesstätten aus, nämlich die Entwicklung des Kindes zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu fördern.
Hochgerechnet etwa 10.000 Kitas konnten den Betrieb im Durchschnitt an mehr als jedem zweiten Tag nur unter Gefährdung der Sicherheit der zu betreuenden Kinder aufrechterhalten. Ebenfalls ein Ergebnis der Umfrage.
Eine Recherche des Bayerischen Rundfunks im Dezember 2022 zeigte zudem einen drastischen Anstieg von Gewaltfällen in Kitas. Sind die betroffenen Kinder dabei noch im Krippenalter, können sie nicht mal als Zeugen herangezogen werden.
Hinzukommen Kinder mit einem besonderen Förderbedarf aufgrund von Beeinträchtigungen. Wenn es schon kein Personal gibt, um die Kinder ohne extra Förderbedarf angemessen zu betreuen und frühkindlich zu bilden, dann ist die Situation für Kinder mit besonderem Förderbedarf noch einmal schlechter.
Was fordern die Fachkräfte?
Das vorhandene Fachpersonal fordert vor allem Entlastung: mehr Zeit für Regeneration, aber auch genügend Zeit für Vor- und Nachbereitung seiner pädagogischen Arbeit und für Teamsitzungen, um sich austauschen zu können. Neben einer wertschätzenden Anerkennung ihrer Ausbildung fordern die Fachkräfte mehr Geld und eine Befreiung von nichtpädagogischen Arbeiten, etwa in der Küche oder im Garten, sowie eine Entlastung bei den Dokumentationen.
Eine bessere Bezahlung, individuelle Förderungen der Mitarbeiter, präventives Gesundheitsmanagement sowie eine Aufstockung der Teilzeitkräfte und eine Entfristung der Arbeitsverträge werden von den Kitaleitungen als nützlichste Maßnahmen gegen den Personalmangel betrachtet; genauso der zusätzliche Einsatz bereits pensionierter Fachkräfte, denn der Fachkräftemarkt ist so gut wie leer.
Regeneration und weniger Kita-Plätze
Da die Situation in den Kitas momentan so angespannt und der Druck auf die Fachkräfte so groß ist, fordern sie weniger statt mehr Kita-Plätze, um nicht nur Kinder zu betreuen, sondern diese auch tatsächlich frühkindlich bilden zu können. Außerdem fordern sie eine Reduzierung der Gruppengrößen.
Dabei wurde erst im Dezember 2022 in Baden-Württemberg beschlossen, dass von der Höchstgruppengrenze um zwei Kinder zusätzlich abgewichen werden darf. Begründet wurde dies mit dem Mehrbedarf durch den Zuzug ukrainischer Kinder infolge des Krieges.
Ein Teil der Forderungen, wie mehr Geld und Regenerationszeit, konnte bereits in Tarifverhandlungen durchgesetzt werden. Fachkräfte haben neben einer – verglichen mit den Vorjahren – deutlichen Lohnsteigerung nun einen Anspruch auf zwei Regenerationstage im Jahr.
Damit bei der dünnen Personaldecke das individuelle Inanspruchnehmen dieser Regenerationstage nicht zu einer zusätzlichen Belastung für die übrigen Kollegen führt, werden die Tage in der Regel von allen am selben Tag genommen, so dass es zu weiteren Schließzeiten kommt. Bei allem Verständnis für die Fachkräfte führt dies wiederum zu Belastungen der Eltern.
Was wollen die Eltern?
Für die Eltern steht die Betreuung ihrer Kinder im Vordergrund. Sie wollen, dass die Kitas lange und an so vielen Tagen wie möglich offen sind, damit sie ihren Berufen nachgehen können. Hier gibt es einen klaren Interessenkonflikt mit den Fachkräften. Während die einen sagen, die extrem angespannte Situation müsse dazu führen, Öffnungszeiten und Kitaplätze zu reduzieren, fordern die anderen genau das Gegenteil.
Deswegen nehmen die Eltern den vermehrten Einsatz von Quereinsteigern, die zu Ergänzungs-, Assistenz- und später Fachkräften weitergebildet werden können, als Chance wahr, während viele Fachkräftevertreter dies oft mit einer Abwertung ihrer eigenen Ausbildung gleichsetzen: Die Weiterbildung der Quereinsteiger dauert nicht so lange wie die eigene Ausbildung und ist auch nicht so tiefgründig.
Vor allem der stetige Anstieg der betreuten Kinder im Krippenalter führe dazu, warnt die Kita-Leiterin Daniela Rieth aus Bayern, dass der Bedarf an besonders ausgebildeten Fachkräfte steige, weil nur diese erkennen könnten, ob ein Kind eine Bindungsstörung hat und besonders betreut werden muss. Das könne man von Quereinsteigern nicht erwarten.
Dennoch ist eine praxisorientierte Weiterbildung, bei der Quereinsteiger die Theorie erlernen und direkt in die Praxis umsetzen, momentan der pragmatischste Weg.
Sind Quereinsteiger die Lösung?
In Bayern gibt es ein modulares Weiterbildungssystem für Quereinsteiger wie Janine Rudolf. Im Deutschlandfunk berichtet die 32-Jährige von ihrer berufsbegleitenden Ausbildung zur Kita-Fachkraft in Coburg. Wenn sie alle Module absolviert hat, ist sie in Bayern einer Erzieherin in einer Kindertagesstätte gleichgestellt. Über fünf Module ist dieser Weg möglich und je nach Vorerfahrung und erfüllter Zugangsvoraussetzung kann man beim entsprechenden Modul einsteigen.
Gelernt wird an den Wochenenden und abends, unterrichtet wird in Präsenz und online. Die Kosten für die Ausbildung übernimmt in der Regel der Arbeitgeber, bei dem man das gelernte Wissen gleich in die Tat umsetzen kann. Denkbar ist aber auch eine Kostenbeteiligung.
Was plant der Bund?
Für Kitas sind die Länder und Kommunen zuständig. Der Bund kann sich nur in Qualitätsfragen einbringen und Modellprojekte wie das ausgelaufene Sprach-Kita-Programm an den Start bringen, wie Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) erklärt.
Mit dem Qualitäts-Kita-Gesetz soll die frühkindliche Bildung gestärkt werden, indem vergleichbare Standards in der Betreuung geschaffen werden. Vier Milliarden Euro wird der Bund in den Jahren 2023 und 2024 in die Hand nehmen, um die Bundesländer bei der Kinderbetreuung zu unterstützen. Die Bundesmittel dürfen von den Ländern nur für Ziele der Qualitätssicherung verwendet werden.
Allerdings gibt es Ausnahmen. Den Ländern ist auch erlaubt, die Gelder für Beitragsfreiheit zu verwenden anstatt für Qualität. Ein klassischer Kompromiss, kommentiert Paus das Ergebnis der Gesetzgebung. Das Gesetz ist seit dem 1.1. 2023 in Kraft. Es soll zudem ermöglichen, das erfolgreiche Sprach-Kita-Programm in die Regelfinanzierung zu überführen.
Doch vier Milliarden Euro sind viel zu wenig, lautet ein Einwand des Verbands Erziehung und Bildung (VEB). Orientiert man sich am von der Bertelsmann-Stiftung errechneten allernötigsten Mehrbedarf an Personal – ca. 100.000 zusätzliche Fachkräfte – würde das 4,3 Milliarden Euro jährlich kosten. Nimmt man aber die Schätzung, die einen kindgerechten Personalschlüssel berücksichtigt, kommt man auf 308.800 Fachkräfte zusätzlich bzw. auf eine jährliche Mehrbelastung in Höhe von 13,8 Milliarden Euro.
Doch Bundesfamilienministerin Paus erklärt, der Bund dürfe gar nicht dauerhaft zahlen. Kitas seien Länder- und kommunale Angelegenheiten. Der Bund könne sich allenfalls an nationalen Qualitätsstandards beteiligen.
Quellen: Deutschlandradio, Bertelsmann-Stiftung, DKLK, Bayerischer Rundfunk, VEB, ckr