Schwache Verkaufszahlen, vor allem bei Elektroautos. Schrumpfende Gewinne und eine starke Konkurrenz. Die Autoindustrie in Deutschland steckt in der Krise. Der Staat könnte Volkswagen, BMW, Mercedes und Co. unter die Arme greifen - im Gespräch sind etwa E-Auto-Förderungen und Tauschprämien. Doch es gibt auch Kritik an staatlichen Hilfen.
Wie geht es der deutschen Autoindustrie?
Der Automobilbau gilt als Schlüsselindustrie in Deutschland. Rund 770.000 Menschen sind in der Branche beschäftigt. Gemessen am Umsatz ist es die mit Abstand größte Industriebranche im Land. Doch es kriselt bei Volkswagen, BMW, Mercedes und Co. Im Durchschnitt waren ihre Werke 2023 nur zu etwas mehr als zwei Dritteln ausgelastet, wie aus einer Auswertung des Datenspezialisten Marklines hervorgeht.
Die Konzerne beklagen schwache Verkaufszahlen, vor allem bei Elektroautos, und hohe Kosten für den Umstieg auf den E-Antrieb. Das lässt die Gewinne schrumpfen. Volkswagen meldete im ersten Halbjahr 14 Prozent weniger Überschuss, bei BMW ging es um fast 15 Prozent nach unten, bei Mercedes-Benz waren es fast 16 Prozent. Dazu kommt eine starke Konkurrenz. Neue Wettbewerber wie Tesla und Hersteller aus China drohen den deutschen Autobauern den Rang abzulaufen.
Angst vor Stellenabbau bei Volkswagen
Das schlägt sich im Geschäftsklima wieder. Laut Ifo-Institut ist die Stimmung in der Autoindustrie „im Sturzflug“. Grund seien die äußerst pessimistischen Erwartungen für die kommenden sechs Monate. „Die Unternehmen der deutschen Autoindustrie leiden unter einem Mangel an neuen Aufträgen – insbesondere aus dem Ausland“, sagt ifo-Expertin Anita Wölfl. Und das zeige sich mittlerweile auch in der Personalplanung.
Besonders bei Deutschlands größtem Autobauer Volkswagen drohen massive Einschnitte. Im Rahmen des Sparprogramms bei der Kernmarke VW könnte es erstmals seit 30 Jahren zu betriebsbedingten Kündigungen und Werksschließungen kommen. Das hatte das Management Anfang September angekündigt.
Und auch bei den Zuliefererbetrieben ist die Krise angekommen. Der Automobilzulieferer ZF plant in den kommenden vier Jahren bis zu 14.000 Stellenstreichungen in Deutschland. Auch andere Zulieferer und Konzerne müssen sparen.
Warum steckt die Autobranche in der Krise?
Die deutsche Autoindustrie steht angesichts der Transformation hin zur klimaneutralen Mobilität unter Druck. Ab 2035 dürfen in der Europäischen Union nur noch Autos neuzugelassen werden, die kein CO2 ausstoßen. Verbrenner, die mit Benzin oder Diesel betankt werden, erhalten hingegen keine Neuzulassung mehr.
Allerdings ist der Absatz von Elektroautos in den vergangenen Monaten deutlich eingebrochen. Laut Kraftfahrt-Bundesamt wurden bis August dieses Jahres rund 22,4 Prozent weniger Neuwagen mit Elektroantrieb zugelassen als in den acht Monaten des Vorjahres. Ein Grund für die Absatzflaute: das abrupte Ende der staatlichen Kaufprämie für Elektroautos im Dezember 2023.
Branchenexperten wie Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management sehen die Autoindustrie selbst in der Verantwortung: Sie habe den Trend zur Elektromobilität verschlafen. Mit Blick auf die E-Auto-Krise bei VW sagt Bratzel, der Konzern sei zu spät und mit zu wenig Geschwindigkeit in die große Transformation in Richtung Elektromobilität gegangen. Auch Ifo-Wirtschaftsforscherin Anita Wölfl moniert, die deutsche Autoindustrie habe bei der Elektromobilität sehr spät reagiert.
Zu viele Luxusfahrzeuge, zu wenige Kleinwagen
Nach Meinung von Technikhistoriker Kurt Möser müssen auch die Käufer in den Blick genommen werden. Was die Konzerne produzierten, gehe an den Bedürfnissen der Menschen vorbei. Zu viele Luxusfahrzeuge, zu wenige Kleinwagen, kritisiert Möser. Es müssten wieder Pkw gebaut werden, die sich die Menschen auch leisten könnten: „Bezahlbare, vernünftige Autos mit hohem Nutzwert und hohem Langzeitnutzwert, das ist eigentlich die Aufgabe.“
Auch die Gewerkschaft IG Metall zeigt im Fall der VW-Krise auf den Konzern. Schuld seien vor allem Managementfehler und eine falsche Modell- und Elektrostrategie, sagt Thorsten Gröger, Bezirksleiter in Niedersachsen. Deshalb werde man nicht akzeptieren, dass die Lösung dieser Probleme auf den Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden. Die Gewärkschaft spricht sich für ein Förderpaket für E-Autos aus.
Was fordern Vertreter der Autobranche?
Der Verband der Automobilindustrie (VDA) beklagt hingegen Strukturprobleme in Deutschland und fordert "international wettbewerbsfähige Standortbedingungen". Am Rande einer Pressekonferenz zur IAA Transportation in Hannover kritisiert VDA-Präsidentin Hildegard Müller zu viel Bürokratie und zu hohe Energie- und Arbeitskosten. „Wenn immer gefragt wird, warum bauen andere Länder günstigere Autos, dann hat das genau mit diesen Themen zu tun“, so die Lobbyistin. Das liege nicht in der Hand und der Verantwortung der Hersteller.
Um Verbraucher vom Elektroauto zu überzeugen, fordert der VDA zudem deutliche Entlastungen. „Elektromobilität muss in der Gesamtbilanz einen klaren Kostenvorteil bieten“, heißt es in einem Positionspapier, aus dem die Deutsche Presseagentur zitiert. Unter anderem spricht sich der Lobbyverband für günstigeren Ladestrom aus, etwa durch mehr Wettbewerb oder weniger Steuern und Abgaben. Auch für andere erneuerbare Kraftstoffe müsse der Preis gedrückt werden.
Wie reagiert die Politik auf die Forderungen?
Angesichts der angespannten Lage in der Autoindustrie hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am 23.09.2024 zu einem Gipfel eingeladen. Dieser ging ohne konkrete Ergebnisse zu Ende. Der Grünen-Politiker sagte nach dem digitalen Treffen mit Autoherstellern, Zulieferern, Verbänden und Gewerkschaften, man habe verschiedene Maßnahmen besprochen. So wolle er sich unter anderem dafür einsetzen, dass die von der EU vorgegebenen CO2-Grenzwerte für die Autoindustrie früher als geplant überprüft werden. Bisher ist diese Überprüfung für 2026 geplant, die Autoindustrie möchte das um ein Jahr vorziehen. Thema waren auch Maßnahmen, um den Verkauf von Elektroautos anzukurbeln.
Die SPD hatte sich nach Informationen des „Stern“ im Vorfeld des Gipfels für eine Umtauschprämie ausgesprochen. Wer seinen Verbrenner zugunsten eines neuen E-Autos abschafft, soll demnach einen Bonus von 6.000 Euro erhalten. Beim Wechsel zu einem gebrauchten E-Auto schlagen die Wirtschaftspolitiker der Fraktion 3.000 Euro als Bonus vor. Im Raum steht außerdem ein staatlicher Zuschuss zum E-Auto-Leasing für Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen sowie eine Förderung für private Ladeboxen, Speicher und Ladesäulen. Habeck sagte dazu, man habe über verschiedene Vorschläge gesprochen. Die Gespräche würden fortgesetzt.
Unionschef Friedrich Merz sieht die Ursache für die Krise bei VW in einer einseitigen Festlegung auf E-Mobilität. Fraktionsvize der Union, Ulrich Lange, hat sich im "Stern" für Technologieoffenheit ausgesprochen und verlangt außerdem finanzielle Entlastungen und Erleichterungen bei den europäischen Schadstoffgrenzwerten für Autos.
Was spricht gegen staatliche Hilfen?
Moritz Schularick, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel, hat im ARD-Interview vor einem staatlichen Eingreifen in der VW-Krise gewarnt. Subventionen seien häufig nicht zukunftsgerichtet und bewirkten genau das Gegenteil. Das liege daran, „dass der Staat nicht gut darin ist, die Gewinner von morgen zu finden, aber dass die Verlierer von gestern sehr gut darin sind, den Staat zu finden", so die Einschätzung des Wissenschaftlers. Statt staatlicher Hilfen plädiert er dafür, sich offen für ausländische Investoren zu zeigen. Auf diese Weise könnte der technologische Rückstand zu anderen Herstellern in der Welt aufgeholt werden.
Auch Wirtschaftsjournalistin Ursula Weidenfeld ist der Meinung, der Staat solle sich heraushalten. Wie die gesamte hiesige Industrie stecke die Autobranche in einer „Anpassungskrise“ an neue globale Herausforderungen: „Deutschlands Wirtschaft ist wie keine andere vom Frieden, vom Freihandel, von niedrigen Energiepreisen und von dem riesigen Absatzmarkt in China gut behandelt worden. Das ist nun vorbei.“
Die Autohersteller mit staatlichen Kaufprogrammen oder subventionierten Energiepreisen zu unterstützen, hält sie für einen Fehler. „Wenn die Konzerne weniger Druck haben, ihre Produkte besser, sparsamer und preiswerter zu machen, werden sie ja nicht schneller, sondern sie kommen langsamer voran.“
Stattdessen solle sich der Staat auf die Schwächen des Industriestandorts Deutschland insgesamt konzentrieren: „Die Investitionen sind überall zu niedrig, nicht nur bei den Autoherstellern. Es gibt zu wenig Arbeitskräfte, darunter leidet die gesamte Volkswirtschaft, die Produktion ist zu teuer, nicht nur bei den Verbrennermotoren.“
Wie steht es um die Zukunft deutscher Autobauer?
Trotz der angespannten Lage blickt Ifo-Expertin Anita Wölfl zuversichtlich auf die Zukunft der Branche: In der Vergangenheit habe sich die Autoindustrie in Krisen sehr resilient und stark bei Innovationen gezeigt, zum Beispiel im Umgang mit den Lieferkettenschwierigkeiten der vergangenen Jahre oder bei der Entwicklung der Patente zum Elektro-Antriebsstrang.
Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sagt, die deutschen Autobauer hätten weiterhin „alle Möglichkeiten und Fähigkeiten, sich im globalen Wettbewerb zu behaupten“. Gleichwohl mahnt DIW-Präsident Marcel Fratzscher: „Dafür müssen sich die Automobilhersteller jedoch neu erfinden und ihre Innovationsstärke verlagern und nutzen, um den Umstieg auf E-Mobilität und autonomes Fahren schneller und besser umzusetzen.“
Die Behauptung, der Verbrennungsmotor sei zukunftsfähig, sei „ein gefährlicher Irrglaube“, sagt Fratzscher. Die Entscheidung für das E-Auto sei weltweit längst gefallen.
irs