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Axel Hacke
"Fußball ordnet die Welt"

Die Welt sei wahnsinnig kompliziert geworden. Deshalb brauche die Gesellschaft etwas einfaches wie den Fußball, sagte der Autor und Kolumnist Axel Hacke im Deutschlandfunk. Er erfülle viele Funktionen, die früher die Kirchen gehabt hätten.

Axel Hacke im Gespräch mit Sandra Hoffmann |
    Der Autor und Kolumnist Axel Hacke, aufgenommen am 01.06.2014 in Köln.
    Der Autor und Kolumnist Axel Hacke. (picture alliance / dpa / Horst Galuschka)
    Sandra Hoffmann: Axel Hacke, Fußball vor 40 oder 50 Jahren, so weit reichen Ihre Erinnerungen etwa zurück, Fußball 2014, und nur als Beispiel, worüber Sie auch schreiben, Thomas Hitzlsperger, der erste deutsche Fußballer, der sich öffentlich dazu bekennt, schwul zu sein: Warum braucht man soviel nachvollziehbare Erfahrung, um heute einigermaßen fundiert und umfassend über Fußball schreiben zu können?
    Axel Hacke: Naja, der Fußball hat sich sehr verändert. In meiner Kindheit vor 50 Jahren war das schon noch eine Sportart für eine bestimmte gesellschaftliche Schicht und auch für Männer vorwiegend. Heute ist der Fußball eigentlich ein gesamtgesellschaftliches Ereignis. Es gibt fast niemanden, der sich dem entziehen kann. Wenn man in München ins Stadion geht, dann sieht man auch ganz viele Leute, die mit Fußball gar nicht soviel am Hut haben, aber sie müssen schon auch ein bisschen dabei sein, sie müssen was drüber wissen, weil der Fußball etwas ist, was die gesamte Gesellschaft zusammenbindet, auch die Leute, die sich nicht mit Fußball auskennen, müssen ein klein bisschen da mitreden können. Unsere Politik ist wahnsinnig kompliziert geworden, unsere Wirtschaft ist wahnsinnig kompliziert geworden, die Technik kapiert auch kein Mensch. Fußball ist etwas ganz einfaches, und ist deshalb etwas, was unsere Gesellschaft braucht. Wir brauchen so einfache Dinge. Es hat ja fast was Religiöses der Fußball, er erfüllt viele Funktionen, die früher die Kirchen gehabt haben: hat seine Rituale, hat seine hohen Feiertage, hat seine Choräle im Stadion, die hohen Priester, die vorher sagen, wie alles kommen wird, und die hinterher sagen, warum’s doch nicht so gekommen ist, all das, was die Kirche uns früher geboten hat, bietet uns heute der Fußball.
    Früher waren Männer nur auf Fußballplätzen emotional
    Hoffmann: Ich zitiere sie jetzt mal "Alle Möglichkeiten menschlichen Verhaltens werden hier Mal um Mal vorgeführt, in einem nie endenden, immer neu beginnenden Gottesdienst, der uns lehrt, dass es keine Sicherheit gibt im Leben, dass sich jederzeit, im Zehntel einer Sekunde alles ändern kann." - Kann man mit Fußball die Welt beschreiben?
    Hacke: Also ein bisschen schon, es gibt im Fußball das Gute und das Böse, es gibt das, wofür man eintritt, und wogegen man ist, also Fußball ordnet die Welt. Und es gibt die schlimmen Fußballer, die man hasst sogar, und die man irgendwie bekämpft, und es ist eine große gesellschaftliche Leistung, dass der Fußball es schafft, einen Urtrieb in uns, nämlich die Aggression, die der Mensch einfach hat, und mit der er umgehen muss, dass der Fußball es schafft, das zu ritualisieren, einzuhegen und in eine Form zu bringen. Das ist das, was der Fußball leistet.
    Hoffmann: Sie beschreiben in Ihrem Buch mehrere Momente aus Ihrer Kindheit, in denen ein Spieler, ein Fußballspiel oder -Ereignis starke Emotionen bei Ihnen ausgelöst hat. Kommt man zum Fußball durch ein Initiationserlebnis, oder ist der Fußball für Jungs einfach schon immer da?
    Hacke: Ja, also dieses Erlebnis gehört schon dazu. Also früher war das so. Wir haben halt auf der Straße Fußball gespielt, so ist man zusammen gekommen mit den anderen. Wer nicht Fußball spielen konnte, der war halt ein bisschen draußen, der gehörte nicht wirklich dazu. Aber es gehörte eben auch zum Fußball dazu, für mich jedenfalls, dass mein Vater mich mitgenommen hat ins Stadion, oder mein Onkel. Mein Onkel war Ordner bei den Bundesligaspielen, das war eine großartige Sache, den hielt ich für einen großartigen wichtigen Mann, weil der so 'ne blaugelbe Schirmkappe auf hatte und die Masse teilte. Die einen mussten links gehen und die anderen rechts, das war mein Onkel. Mein Vater nahm mich mit zu den Spielen, wo der Sohn seines Freundes spielte, und das war in den sechziger Jahren ja nicht so, dass man seinem Vater besonders nah war, aber beim Fußball war das eben so, der nahm mich mit, der nahm mich an der Hand, ich konnte mich auf seine Schultern setzen, damit ich besser sehen konnte. Also beim Fußball war ich mit meinem Vater zusammen und vielleicht war ich ihm da am nächsten überhaupt. Das war ja auch eine Zeit, wo Männer nur auf Fußballplätzen emotional waren. Und das so ein bisschen zu erleben, gehörte, eben dazu, das war die Initiation, ja.
    Das ganze Spiel ist sehr viel intelligenter geworden
    Hoffmann: Sie waren einmal Sportreporter, haben sich also auf ganz direkte Weise über den Fußball äußern müssen: Gibt es eine andere Fußballsprache als vor 20 Jahren, hat sich die Fußballsprache verändert?
    Hacke: Ja, also die direkte Fußballsprache der Reporter wird wohl immer so ein bisschen gleich bleiben, das hat was ganz Simples und muss auch so sein, glaub ich, das gehört irgendwie dazu. Aber die Art, wie man über Fußball insgesamt redet, die hat sich schon verändert, die ist sehr viel intelligenter geworden, das ganze Spiel ist sehr viel intelligenter geworden. Und auch die Spieler sind intelligenter geworden, wir sind, glaube ich, alle intelligenter geworden, damit ist der Fußball mitgewachsen.
    Hoffmann: Es gibt eine ganze Reihe von Schriftstellern, die über Fußball schreiben, es gibt sogar eine Autoren- Fußballnationalmannschaft. Was meinen Sie, woher kommt diese Nähe von Schriftstellern oder Autoren zum Fußball?
    Hacke: Naja, das ist so eine Emotionalität, die Leute lockt, die sonst den ganzen Tag rational sind, die sich von dieser manchmal ja richtig primitiven Emotionalität angezogen fühlen. Ich glaub, das war immer so. Es gibt viele deutsche Intellektuelle, bei Walter Jens angefangen, die sich für Fußball interessiert haben und sehr viel darüber gewusst haben, und ich glaube, diese Einfachheit des Fußballs, die zieht die Leute an, denn Fußball, der ist ja nicht schwer zu verstehen.
    Gerd Müller war das Gegenteil von einem Bomber
    Hoffmann: Was macht einen Fußballhelden, oder sagen wir, eine Ikone, wie der von Ihnen ausführlich beschriebene Berti Vogts oder Jürgen Klinsmann, aber auch Gerd Müller oder Günther Netzer aus?
    Hacke: Also wir haben ja eine ganze Generation gehabt von Fußballern in den 70er-Jahren, die bis heute die großen Ikonen des Fußballs sind. Gerd Müller, Günther Netzer, und jeder von denen hat etwas ganz Unvergleichliches geleistet, jeder von denen war ein bestimmter Typus, nicht, Netzer der große intelligente Spielgestalter, Müller, der schlichte einfache Mensch, der einfach jeden Ball reingetan hat, in einer ganz unverwechselbaren Weise. Es ist ja völlig verrückt, dass man den Gerd Müller, den Bomber Müller genannt hat, der hat überhaupt nie gebombt, der hat nie aus dreißig Metern Entfernung so’n Ding da reingezimmert, der hat immer aus dem Gewusel heraus, teilweise mit dem Hintern Tore erzielt, das ist das Gegenteil von bomben!
    Hoffmann: Haben Fußball, also "den Ball in Bewegung halten", wie sie schreiben, und Schreiben etwas gemeinsam?
    Hacke: Nein, hab ich noch gar nicht so drüber nachgedacht. Beim Schreiben sollte man tunlichst auch den Ball in Bewegung halten, vor allem selber in Bewegung bleiben, aber Schreiben ist ja eine Sache, die auf sehr viele verschiedene Weisen stattfindet, je nachdem, was man schreibt. Ich bin kein Romanautor, ich bin ein Autor der eher kurzen Form, da ist Schreiben schon was anderes, als wenn man einen Roman schreibt. Das lässt sich vielleicht alles eher mit der Leichtathletik vergleichen. Ich bin eher ein Sprinter und ein Romanautor ist ein Marathonläufer. Es ist lustig, mich fragen die Leute immer, ja warum schreiben Sie nicht mal endlich einen Roman? Dann sag ich immer: Na, wenn ein Hundertmeterläufer ins Ziel kommt, dann fragen Sie doch auch nicht, wann laufen Sie endlich mal Marathon. Das ist eben so.
    Hoffmann: Als Mensch, der sich nur ganz peripher mit Fußball auskennt, hat man nach der Lektüre Ihres Buches tatsächlich das Gefühl, dass man mit dem Erzähler Axel Hacke einen ganzen Kosmos durchdrungen, hat. Was sagt der Autor: Ist das nun ein Sachbuch oder eine große Fußballerzählung geworden?
    Hacke: Ich hab's nicht so mit diesen Einordnungen, weil das ist letztendlich was für Buchhändler, nicht, die überlegen sich, wo sollen sie das ins Regal stellen, aber ich find's eigentlich nicht wirklich ein Sachbuch, sondern es ist eher so ein Versuch zu erzählen, was mich selbst bewegt beim Spiel und was die Menschen da bewegt. Also diesen Gefühlskosmos des Fußballs, von der Wut über die Liebe über den Hass, das alles mal abzuschreiten und bei sich selbst zu beschreiben, und auch bei anderen zu beschreiben, das ist der Versuch das zu machen. Na, und eingeordnet wird’s wahrscheinlich beim Sachbuch, aber eigentlich find ich, dass es das nicht ist. Sachbuch klingt mir zu trocken, zu staubig, zu emotionslos für dieses Buch, das ja ein tief emotionales Buch ist, eigentlich.
    Axel Hacke: "Fußballgefühle"
    Kunstmann Verlag, 16 Euro