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Sophia Fritz, Martin Bechler: „Kork“
Süffige Bacchantenliteratur

Trinken und Totlachen im Hicks et nunc: Sophia Fritz und Martin Bechler finden im Wein die Wahrheit über Gott, die Welt und den Weltuntergang. Eine köstlich hochprozentige Verkostung.

Von Dorothea Dieckmann |
Sophia Fritz und Martin Bechler: „Kork“
Außer Tresen nix gewesen? Von wegen. Sophia Fritz und Martin Bechler führen in „Kork“ vor, wie Gelage, Gelaber und Alltagsweisheit zusammenhängen. (Foto: privat/ Cover: kanon Verlag)
Als Sprachrohr für ihre rasanten Tiraden über das falsche Leben haben Sophia Fritz und Martin Bechler zwei Figuren erfunden: Sophia und Martin, wie im richtigen Leben. Schauplatz ihrer Mono- und Dialoge ist ein Weinlokal namens Bacchus, Treibstoff für den Erzählfluss der Wein selbst, und den Plot gibt die Entwicklung ihrer Tresenbeziehung ab: Sophia am Ausschank, Martin auf dem Barhocker.
Mit diesen Vorgaben erfüllt das Gemeinschaftswerk „Kork“ die Bezeichnung Roman, obwohl es weit eher einer Kolumne gleicht, in der Existenznot und Alltagsweisheit, Banalitäten und Philosophie, Sinnsuche und Nonsens kompiliert werden. Ein paar Zeilen reichen etwa, um den Homo sapiens abzuwatschen:
„Sophia und ich waren uns im Kern immer einig, dass der Mensch doch ein recht zweifelhaftes Gestrüpp sei, auch wenn wir in den jeweiligen Einzelbetrachtungen zu recht unterschiedlichen, bis zuweilen maximal konträren Ergebnissen kamen, wie damit zu verfahren sei. Im Casus Umwelt, Toleranz und Achtsamkeit allerdings herrschte seit eh und je zwischen uns große Einigkeit. Denn was die lachhaften, quergewickelten Abbiege-Darwinisten lange versucht haben, als Krone der Schöpfung zu verticken, entpuppt sich nach gerade mal einer Handvoll tausend Jährchen als fehlentwickeltes Ego-Schweinchen (...) Aktuell 359 aktive Kriegs- und Konflikthandlungen weltweit, Diskriminierungen aller Mannigfaltigkeiten, Mikroplastik. Bilanz nur so semi, könnte man sagen.“

Turborhetorik aus der Comedyvergärung

Die rotzig-treuherzige Mischung aus Understatement und Turbo-Rhetorik passt ins Bühnenformat „kritische Comedy“ - ganz ohne eingespielte Lacher, wenn reihenweise Pointen und Bonmots geprägt werden wie: „Pesto ist kein Nahrungsmittel, sondern eine frühmittelalterliche Verzweiflungstat.“
Seelische Schusswunden werden mit Weltschmerzpflastern beklebt, nazidumpfe Vorgenerationen durch den braunen Kakao gezogen, die heillose Gegenwart mal wütend, mal sarkastisch vorgeführt. Glanzpunkte setzt das Duo bei der Typisierung der Weine – sei es ein schlechter Pinot Grigio, den Sophia mit ihrer Affäre Kai und dessen fataler Affinität zu Christian Lindner vergleicht, oder Barbera, Martins Lieblingswein:
„Barbera ist schlicht und bescheiden. Das mag ich. Ich kann mich weintechnisch durchaus an einer sophisticated Supergranate erfreuen, die sich quasi minütlich nach Sauerstoffkontakt in ihren Nuancen und ihrer Erzählkraft wandelt, aber manchmal will ich halt auch einfach nichts erzählt bekommen, und zwar egal von wem. Vor allem nicht den Oberquark der Marketingfritzen, die von zimtigen Wurzelholz-Noten und frischem Pfiff aus Kies und Mergel faseln (...). Barbera ist süße Medizin. Barbera heißt: Halt doch einfach die Fresse. Schalt mich ab.“

Der Tresenjob füllt die innere Leere

Das ist ganz Martin: ein Mann um die 50, der am Tresen über Songtexten und Aktienkursen brütet und sein Inneres - inklusive seiner Zuneigung zu Sophia - ungern preisgibt. Diese, halb so alt, hat ihre Bachelorarbeit abgebrochen und fühlt sich in der Kneipe eher zuhause als in ihrer Wohnung. Der Tresenjob füllt jedoch auch die innere Leere ihrer Generation, die mangels revolutionärer Ideale lieber an Befindlichkeiten herumschraubt - eine Haltung, die ironisch konterkariert wird, als Sophias Therapeut im Bacchus auftaucht und sich seinerseits als milder Psychofall erweist.
Obwohl sich die beiden ungleichen Figuren am Ende aus den Augen verlieren, formuliert Martin ein Credo der Freundschaft. Er entnimmt es einem früher absolvierten Tauchkurs:
„Gerät nun unerfreulicherweise einer der Buddys in Not und es geht jemandem in der Tiefe die Luft aus, können Sie ihm somit kinderleicht aus der Patsche helfen aka erfreulicherweise das Leben retten. Lassen Sie uns das Buddy-System mitnehmen in unsere scheinbaren Genusswelten und ihre systemimmanenten Gefahren, auf die wir offenbar weder verzichten können noch wollen. Und wenn Sie Ihren Buddy/Ihre Buddyline in Not sehen, weil die Dinge, in welcher Form auch immer, aus den Fugen geraten – handeln Sie. Somit möchte ich diese Zeilen inmitten einer strunznaiven Rotweinpropaganda als ernst zu nehmenden Beipackzettel und Warnung vor einem hinterhältigen Charmeur en Promille verstanden wissen. Dann kommen wir da im besten Fall heile durch (...).“

Den Teufel mit einem 2019er Barolo besänftigen

Spätestens mit dieser nur halb veralberten Alkoholwarnung beweisen die Autoren bei aller schnoddrigen Poesie eine geradezu trollingerhafte Bravheit. Die süffige Wirkung des Parcours durch die Weinkarte wäre nach der Lektüre schnell verrauscht, würden nicht einige Höhenflüge episches Talent beweisen, darunter eine Hommage an Puccinis „Tosca“ und ein Besäufnis, bei dem der Teufel höchstselbst mit einer Flasche 2019er Barolo besänftigt wird. Es endet mit dem filmreifen Dialog: „Kommste morgen rein? Ich hab spät. – Fifty-fifty. Morgen Umsatzsteuer.“ Allein dieser Wortwechsel lohnt die Lektüre.
Sophia Fritz, Martin Bechler: „Kork“
Kanon Verlag, Berlin
215 S., 23 Euro.