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"Bahn wusste von Kostenexplosion"

Die Finanzierung des Bahnhofsprojekts Stuttgart 21 scheint auf der Kippe zu stehen. Der Stuttgarter Rathauschef Fritz Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen) spricht von einer Vertrauenskrise mit der Bahn und wehrt sich gegen Vorwürfe, das Projekt ausbremsen zu wollen.

Fritz Kuhn im Gespräch mit Bettina Klein | 07.02.2013
    Bettina Klein: Und jetzt kommt eine wieder einmal wichtige Frage: Wie weiter mit Stuttgart 21? Nachdem neue Informationen aus dem Bundesverkehrsministerium über das Stuttgarter Bahnhofsprojekt herausdrangen, wonach die Kosten erheblich steigen dürften, fühlen sich die Kritiker bestätigt. Das ganze Großprojekt droht, trotz des seinerzeit positiven Volksentscheids womöglich doch noch zu kippen. Und am Telefon begrüße ich jetzt den Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart, den Grünen-Politiker Fritz Kuhn. Guten Morgen!

    Fritz Kuhn: Guten Morgen!

    Klein: Herr Kuhn, Sie gehörten ursprünglich ja auch zu den Kritikern des Projektes. Haben Sie sich doch ein kleines bisschen gefreut, als die Zahlen aus dem Ministerium bekannt wurden, verbunden mit erheblichen Zweifeln, ob man noch an dem Projekt festhalten könne?

    Kuhn: Es ist keine Frage der Freude, sondern eine Frage, genau hinzugucken, ob die Bahn in der Lage ist, das Projekt durchzuführen, technisch-administrativ, und letztlich, ob sie es sich leisten kann. Wir sind in einer schweren Vertrauenskrise, denn die Bahn hat zu allem zurückgehalten. Noch im Oktober hat sie im Lenkungskreis erzählt, 4,5 Milliarden, der Kostendeckel gilt und wird nicht gerissen. Und am zwölften Dezember vergangenen Jahres, 2012, hat sie dann gesagt, 1,1 Milliarden teurer und 1,2 zusätzliche Risiken. Also, das ist schon ein Punkt, der eine Vertrauenskrise aufwerfen muss.

    Klein: Und die Bahn hat wissentlich zu geringe Angaben erstellt? Oder was ist der Hintergrund Ihrer Meinung?

    Kuhn: Das kann ich so nicht sagen und bestätigen, jedenfalls hat sie offensichtlich schon früher gewusst, dass die Kosten explodieren. Und sie hat die Finanzierungspartner, also Land, Region und Stadt Stuttgart, darüber nicht aufgeklärt. Dass so etwas eine Vertrauenskrise auslösen muss, ist doch logisch. Und mir ist wichtig als Stuttgarter Oberbürgermeister, festzustellen, dass auch Befürworter des Projektes in Stuttgart damit nicht einverstanden sind. Denn sie müssen sich ja auch darauf verlassen können, dass es seriös zugeht. Und das Dossier, das jetzt für die Staatssekretäre im Aufsichtsrat geschrieben wurde im Hause von Herrn Ramsauer, macht ja ganz klar deutlich, dass man mit der Bahn da nicht einverstanden ist.

    Klein: Was muss als Erstes passieren, um diese Vertrauenskrise, von der Sie wiederum nun sprechen, zu bewältigen?

    Kuhn: Nun, der Aufsichtsrat muss sagen, ob er der Meinung ist, das Projekt fortsetzen zu können. Dazu gehört auch, dass er die Kostenrisiken übernimmt. Denn es gibt einen Finanzierungsvertrag zwischen den Finanzierungspartnern und der Bahn, der klar sagt, 4,5 Milliarden. Das Land hat beschlossen, nicht mehr, und auch die Stadt Stuttgart hat diesen Gemeinderatsbeschluss aus 2009 dargelegt. Und deswegen kommt man da nicht dran vorbei. Also, erster Schritt sind Klarheit über die Zahlen, dann muss die Schuldzuschreibung anders laufen. Die Bahn hat den Begriff des bürokratischen Schwergangs … behördlichen Schwergangs aufgestellt, das heißt, sie tut so, als würden durch die städtischen und ländischen und durch die Behörden des Landes zusätzliche Kosten entstehen. Das ist mitnichten der Fall. Das Bundeseisenbahnamt ist unterausgestattet, eine Behörde des Bundes, und wir hören überall und können auch nachweisen, dass die Bahn in vielen Stellen gar nicht in der Lage ist, die Unterlagen für das Planfeststellungsverfahren richtig einzureichen, und damit selbst das, was sie Schwergang genannt hat, eben hervorruft. Also, was in Ihrer Sendung vorher die Herren Bareiß und Barthle gefragt haben, dass das Land oder die Stadt blockieren, das ist völlig an den Haaren herbeigezogen. Und wenn man weiterkommen will, muss die Bahn jetzt Klarheit schaffen, ob sie in Zukunft das auch wirklich kann.

    Klein: Gut, also die Bahn muss noch mal eine klare Zahl auf den Tisch legen, das wird vermutlich dann im März passieren. Dennoch bleibt es ja bei der Frage: Wenn es um Mehrkosten in Milliardenhöhe geht – und das ist ja auf gar keinen Fall auszuschließen, danach sieht es im Augenblick aus –, ist ja die Frage, wo soll das Geld herkommen? Im Augenblick habe ich so ein bisschen den Eindruck, man spielt sich gegenseitig so ein bisschen den Ball zu, wir sind im Stadium gegenseitiger Schuldzuweisungen. Soweit bekannt ist, ist ja im Vertrag auch festgehalten, dass, wenn noch mehr Kosten kommen, man noch mal verhandelt. Schließen Sie jetzt komplett schon heute aus, dass das Land auch nur einen Cent mehr übernehmen wird?

    Kuhn: Also, in dem Vertrag von 2009 ist klar festgelegt, 4,5 Milliarden mit Risikopuffern, die da enthalten sind. Und ich kann nur sagen, die Stadt Stuttgart hat beschlossen, dass sie nicht mehr zahlen kann. Für das Land kann ich nicht reden. Natürlich steht da eine Sprechklausel drin, die wird man gegebenenfalls auch ziehen müssen, aber dann wird …

    Klein: Also, Sprechklausel heißt, man berät eventuell doch noch mal miteinander und verhandelt neu?

    Kuhn: Nein, das heißt, dass man fragt, wie es weitergeht. Aber dann muss die Bahn die Kosten auf den Tisch legen, die Risiken genau darstellen, und sie muss wissen, dass sowohl Land wie Stadt beschlossen haben, dass sie nicht weitergehen können. Man kann ja nicht einfach nur Geld beschließen, sondern man muss das Geld auch haben. Und nur so kann es weitergehen. Die Bahn muss die Risiken tragen, es ist vom Land und von der Stadt großzügig mit finanziert worden, aber eben bis zu einem bestimmten Deckel, der nun gerissen worden ist. Und was noch schlimmer ist: Wenn man gar nicht als Finanzierungspartner richtig aufgeklärt wird über den Kostenüberschuss, dann ist halt eine Vertrauenskrise da. Und die gilt in Bezug auf die Bahn-Gegner in Stuttgart, aber auch in Bezug auf sehr, sehr viele Befürworter des Projektes. Und deswegen muss da jetzt ein klarer Schnitt vom Aufsichtsrat gemacht werden.

    Klein: Herr Kuhn, würden Sie denn dafür werben, dass man versucht, die Mittel bereitzustellen, sei es vom Land oder von sonst woher, um das Projekt doch noch umzusetzen?

    Kuhn: Von sonst woher kann man nicht Geld bekommen, sondern …

    Klein: Von der Bahn zum Beispiel!

    Kuhn: … es muss solide finanziert sein. Und die Bahn muss über die Risiken Aufschluss geben und dann sagen, dass sie es finanzieren kann und wie sie es finanzieren kann. Und das Geld schneit nicht vom Himmel runter, auch in Stuttgart nicht!

    Klein: Wann, würden Sie sagen, ist für Sie definitiv Schluss und Sie würden sich auch dafür einsetzen, dass ganze Projekt zu stoppen?

    Kuhn: Darüber will ich jetzt überhaupt nicht spekulieren. Wir sind in einer Phase, wo der Aufsichts…, der Vorstand der Bahn hat dem Aufsichtsrat etwas vorgeschlagen, der Aufsichtsrat hat dies bisher nicht bestätigt. Und der Aufsichtsrat – da ist ja auch die Bundesregierung vertreten – muss jetzt sagen, ob sie die finanziellen Risiken übernehmen will oder nicht. Und erst dann kann man weiter erörtern und diskutieren. Der ganzen Lage in Stuttgart helfen die vielen Spekulationen überhaupt nicht weiter, diese andauernden Wenn-Danns, sondern der Ball liegt jetzt klar beim Aufsichtsrat und bei der Bundesregierung und die müssen beantworten, wie sie die Fragen sehen.

    Klein: Abschließend, Herr Kuhn: Ihr Parteikollege, der Landesverkehrsminister in Baden-Württemberg Winfried Hermann, sieht die Gefahr, dass Stuttgart 21 am Ende ein noch größeres Desaster werden würde – das war jetzt ein Zitat – als das Flughafenprojekt in Berlin. Stimmen Sie da zu?

    Kuhn: Das will ich … Das will ich nicht kommentieren. Ich stelle fest, dass ein Projekt in Stuttgart stattfinden soll über viele Jahre, vielleicht Jahrzehnte, das nicht finanziert ist bisher. Und jetzt muss die Bahn sagen und der Bund, wie sie das finanzieren wollen. Das sind die Fakten. Und an denen habe ich mich als Oberbürgermeister zu orientieren.

    Klein: Und wenn es ein Stuttgart 24 wird, das heißt, wenn sich die Eröffnung noch mal um einige Jahre hinauszögert, damit wären Sie auch einverstanden?

    Kuhn: Nein! Das wäre natürlich schlecht, weil, das bringt zusätzliche Kosten. Und ich muss noch mal sagen: Das Projekt findet in Stuttgart statt, und wenn es hinausgezögert wird immer wieder, dann ist das natürlich schlecht für die Stadt, weil das eine Baustelle im Herzen unserer Stadt ist. Und deswegen muss jetzt entschieden werden, ob und wie es weitergeht!

    Klein: Der Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn heute Morgen im Deutschlandfunk. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Kuhn!

    Kuhn: Ich danke Ihnen, Frau Klein!

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