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Band Trümmer
Sehnsucht nach Selbstverwirklichung

Die lebendige Szene junger deutscher Bands vereint besonders ihre Haltung, denn sie sind aufmüpfig und treffen den Ton ihrer Generation. Die Band Trümmer aus Hamburg widmet sich in ihrem Debütalbum der Gentrifizierung, Sänger Paul Pötsch kämpft derzeit selbst um sein Mietrecht in der Wohnung auf St Pauli.

Von Dennis Kastrup | 23.08.2014
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    Laute Gitarrenklänge vereinen die Newcomerbands in der deutschen Musikszene. (dpa / Oliver Berg)
    Der Blick auf Verwüstung und Trümmer ruft sofort eine Emotion hervor: Erschrecken über die Zerstörung vor den eigenen Augen. Ein logischer zweiter Gedanke sollte sein: Wie funktioniert der Neuaufbau? Und genau da setzt die Band Trümmer an. Sie vereint beide Stimmungen. Sie sind...
    "Angetrieben von dem Gefühl, dass es halt so wie es ist nicht länger weiter gehen kann und eh dem Ende zugeht. Aus dieser Gewissheit heraus schreiben wir halt, so wie so ein geheimes Wissen, das man schon hat."
    Sänger Paul Pötsch weiß: Dieses "Geheimnis" ist das Herz des Trios. Und es wurde vor ein paar Jahren von vielen Enttäuschungen und der großen Wut über die existierenden Verhältnisse gefüttert. Die Weltanschauung schweißte die Freunde zusammen. Aus dem Hamburger Umfeld heraus entstanden dann die ersten Songs. Die Gitarren sperrten sich damals noch klassisch in der Pose des Punks. Das Raue provozierte, wie Tammo Kasper berichtet.
    "Irgendwann haben wir dann gemerkt, man kann das auch ganz anders spielen, auch aus musikalischen Fertigkeiten, die sich irgendwie, wenn man viel probt, halt entwickeln: "Ey, es gibt auch eine Musik, die vielleicht nicht laut ist." Vielleicht funktioniert das Laute auch viel besser, wenn es davor mal leise ist. Dann war da auch so ein Interesse, wie eigentlich Songs funktionieren? Wie funktionieren Popsongs? Dieser Ur-Moment der Wut und der Lautstärke sind uns nach wie vor sehr, sehr wichtig, aber eben nicht nur."
    Rock, der nicht zum Pogo-Tanzen animiert
    So wurden die Stücke in ein glänzendes Gewand gesteckt. Der Klang reibt nicht auf und eckt nicht an. Sofort kommt der Vergleich mit der Spätphase von Blumfeld auf. Es ist gut produzierter Rock, der nicht zum Pogo-Tanzen animiert. Muss er auch nicht. Denn für den Aufruhr sind ganz alleine die Texte von Pötsch zuständig.
    "Das ist die Idee des Albums eigentlich, tatsächlich: Dass die Form zugänglich ist, die Inhalte aber eben deswegen nicht beliebig sind. Dass es einfach schon clever ist und teilweise auch radikal vielleicht und gesellschaftlich auf irgendeine Art. Also ein Popsong, der dich erst einmal so abholt, aber wenn du dich mit dem beschäftigst, wenn du dich mit dem beschäftigen willst, siehst du da eben auch eine andere Ebene."
    Worte mit kraftvollem Statement
    Und so kreisen sie dann um ihre Befindlichkeiten herum und erschaffen mit Worten ein kraftvolles Statement. "If You want to fight the system, you have to fight yourself" heißt es in dem Stück "1000. Zigarette". Es ist ein Zitat von Ai Weiwei und stellt für Trümmer die Konformität in einer kapitalistischen Gesellschaft infrage. Wie kann das Individuum sich entfalten oder darf es überhaupt Individuum sein?
    "Ich glaube, das ist schon ein sehr neues Phänomen, dass man recht schnell funktionieren muss; dass die Dinge, die man macht, sehr schnell verwertbar sein müssen auch. Das führt natürlich auch dazu, dass ein ganz großer Teil des Lebens einfach weg ist plötzlich, nämlich das Experiment oder auch eine gewisse Form von Exzess vielleicht, all das, was eben nicht sofort verwertbar ist...oder schlicht und ergreifend auch vielleicht: Spaß!"
    Die Sehnsucht nach Selbstverwirklichung, Veränderung oder auch dem Zerfall durchzieht die Songs des Debütalbums. Zeilen bleiben hängen:
    "Ja ich weiß, alles wird zugrunde gehen, ich habe damit gar kein Problem".
    An anderer Stelle wird leise die Revolte ausgehaucht:
    "Lasst uns zur Sonne rennen, aus Worte werden Taten. Ich will lieber verbrennen, als ewig hier zu warten".
    Protestplatte des Jahres
    Auf den Alltag angewendet bedeutet das: Paul Pötsch kämpft derzeit in einem Rechtsstreit um sein Mietrecht in der Wohnung auf St Pauli. So darf auch ein klassisches Thema auf dem Album nicht fehlen: Die Gentrifizierung.
    "Eine Stadt ist halt ein Ort, wo Diversität wichtig ist. Ich habe eben das Gefühl, dass das immer mehr dahin geht, dass das nicht so ist: Dass es Gettos für die Künstler gibt, es gibt Gettos für die Reichen, es gibt Gettos für Immigranten und so weiter. Es gibt viel zu wenig Vermischung. Ich will diese Begegnung haben. Ich will, wenn ich in der Stadt bin, die Begegnung haben mit etwas, das nicht nur ich selbst bin. Ich will nicht nur mit irgendwelchen Künstlertypen rumhängen."
    Trümmer haben mit ihrem Album die wohl zärtlichste Protestplatte des Jahres eingespielt. Während die Melodien beim Hören zum Mitsummen animieren macht sich im inneren eine große Unruhe breit. Der ganze Körper schreit, wie sie es formulieren würden: "Ist das alles, wo bleibt die Euphorie? Jetzt oder nie!"
    "Ich hoffe eben, dass das Album dahingehend gelungen ist, dass es Energie erzeugt und dass man, wenn man die Songs hört, auch einfach Bock hat, also dass diese Gedanken, die wir da in diesem Kunstraum Musik formulieren, dass die echt werden können, indem andere das hören, annehmen und dadurch mit einer gewissen Energie ausgestattet sind. Das finde ich, ist das Versprechen von Pop schlechthin."