"Er kehrt ja nicht zurück, weil er was Gutes will, gerade für die Armen in Venezuela, sondern weil er provozieren will", sagte die Bundestagsabgeordnete Simone Barrientos, stellvertretende Vorsitzende der Parlamentariergruppe "Andenstaaten", im Dlf.
Barrientos relativierte Kritik am umstrittenen Staatspräsidenten Nicolas Maduro. Viele würden auch nicht wollen, dass er die Macht abgebe. Es habe ja Wahlen gegeben, das sei noch gar nicht so lange her. Entgegen der mehrheitlichen Einschätzung europäischer Wahlbeobachter sagte sie, es habe auch Beobachter gegeben, die eine faire Wahl erlebt hätten.
"Ich finde die Betrachtung ein wenig einseitig", sagte Barrientos zur Berichterstattung über die Krise und Hyperinflation in Venezuela, durch die vielen Menschen dort das Nötigste fehlt. Barrientos meinte, nach ihren Erkundigungen funktioniere die Ausgabe von Lebensmittelpaketen nach wie vor.
Wie kam es zur Krise in Venezuela?
Dass es Ländern wie den USA in erster Linie darum gehe, die Not der Bevölkerung zu lindern, hält sie für unzutreffend. Sie argumentiert andersherum: Dass es dem Land so schlecht gehe, habe auch mit Wirtschaftssanktionen und einem fallenden Ölpreis zu tun. "Welche Macht gibt man da Nicolas Maduro, wenn man ihm sagt, dass er der einzig Schuldige ist an der Situation in Venezuela?"
Die Linken-Politikerin spricht sich für eine Vermittlung zwischen den Positionen Maduros und denen Guaidós aus: "Ein Dialogforum, das die Reihenfolge hat, erst der Dialog, dann die Verhandlungen, dann Verpflichtungen und dann die Umsetzung, und zwar ohne Vorbedingungen. Ich glaube: Jetzt Vorbedingungen zu stellen, würde die Lage nur verschärfen."
Resolutionen des UN-Sicherheitsrats sind derzeit durch die Positition Russlands blockiert. Hier hielt Barrientos den Sozialisten und ehemaligen spanischen Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero für einen geeigneten Vermittler. Der kenne das Land gut und beobachte es "mit offenen Augen", so Barrientos.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Das gesamte Interview im Wortlaut:
Sandra Schulz: Für heute hat er seine Rückkehr nach Venezuela angekündigt, der venezolanische Oppositionsführer Juan Guaidó, der sich selbst ja zum Interimsstaatschef ernannt hat – und der von den USA und vielen europäischen Staaten auch unterstützt wird. Damit könnte die nächste Zuspitzung im Machtkampf in dem bitterarmen Land bevorstehen, denn bei einer Rückkehr ins Land droht Guaidó die Festnahme. Im Moment hält er sich in Kolumbien auf, und erneut könnte es zu Zusammenstößen kommen zwischen Gegnern und Unterstützern des venezolanischen Präsidenten Maduro.
Über die weiter brisante Lage in Venezuela wollen wir in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon ist die Bundestagsabgeordnete Simone Barrientos, für die Partei Die Linke stellvertretende Vorsitzende der Parlamentariergruppe Andenstaaten. Schönen guten Morgen!
Simone Barrientos: Guten Morgen!
Schulz: Was ist Ihre Erwartung, was wird passieren, wenn Guaidó jetzt nach Venezuela zurückkommt?
Barrientos: Schwer zu sagen. Also, eigentlich müsste er natürlich verhaftet werden, weil er gegen diese Sperre verstoßen hat. Ob es klug ist, ihn zu verhaften, weiß ich nicht. Sehr unklug finde ich, wenn er zurückkehrt, weil es natürlich eine Provokation ist, das ist ja klar. Er kehrt ja nicht zurück, weil er was Gutes will gerade für die Armen in Venezuela, sondern weil er provozieren will.
Schulz: Wie kommen Sie darauf, dass er nichts Gutes will? Er setzt sich ein für Wahlen in dem Land, die sich ja so viele Menschen wünschen.
Barrientos: Na ja, es gab ja gerade Wahlen, ich war da, die sind ja gar nicht so lange her. Im Übrigen wird ja immer gesagt, es wären keine freien Wahlen gewesen und so weiter – ich verweise da immer gern an den ehemaligen spanischen Ministerpräsidenten Zapatero, der die Wahlen begleitet hat von Anfang bis Ende und das Gegenteil gesagt hat.
Schulz: Das waren aber gleichzeitig viele EU-Staaten, die diese Wahlen nicht als fair eingeschätzt haben. Es kann sein, dass es da die andere Stimme von Zapatero gibt, mehrheitlich war die Einschätzung aber eine andere. Ist es nicht nachvollziehbar, dass die Menschen sich nun mehrheitlich faire Wahlen wünschen?
Barrientos: Tun sie das? Das wäre meine Frage. Also ich kann mich erinnern, als ich nach Venezuela flog vor den Wahlen, hatte ich hier vor allen Dingen die Berichterstattung, dass die Leute nur Maduro wählen können, dass es nur einen Kandidaten gibt sozusagen. Das stimmte ja alles nicht, sondern es gab mehrere Kandidaten, es gab unter anderem Falcón von der Opposition, der ja ein beachtliches Ergebnis hatte, und die Opposition hat die Wahlen boykottiert – aus verschiedenen Gründen, wir werden das alles gar nicht auseinandernehmen können heute.
"Was jetzt passieren müsste, wäre ein Dialog"
Schulz: Ja, und da stehen ja jetzt sicherlich auch die Einschätzungen gegeneinander. Was viele Menschen ja auch ganz offenkundig wollen, ist, dass Präsident Maduro sich zurückzieht, dass er das Land aus seinen Händen entlässt. In der Lage, in der das Land sich befindet, ist nicht auch das sehr verständlich?
Barrientos: Sie sagen immer "viele Menschen", aber viele Menschen, aber viele Menschen wollen ja auch, dass er es nicht tut – wir müssen ja immer beide Seiten sehen. Ich glaube, das, was jetzt passieren müsste, wäre ein Dialog, und zwar vielleicht orientiert an den Mechanismo, dem Montevideo, der zu Anfang 2018 stattgefunden hat, nämlich ein Dialogforum – die Reihenfolge hat erst der Dialog, dann die Verhandlung, dann Verpflichtung und dann die Umsetzung, und zwar ohne Vorbedingung. Ich glaube, jetzt Vorbedingungen zu stellen, würde die Lage nur verschärfen.
Schulz: Aber erklären Sie uns noch mal genauer Ihre Unterstützung für Nicolás Maduro! Im Moment ist die Armutsquote in Venezuela geschätzt bei 90 Prozent, es fehlt vielen Menschen am Dringlichsten, viele Menschen hungern, es sind Millionen von Menschen aus diesen Gründen schon geflohen aus dem Land. Was bringt Sie dazu, diesen Mann zu unterstützen?
Barrientos: Ich unterstütze gar nicht Nicolás Maduro, sondern ich mache mir Sorgen um die Stabilität in Venezuela. Ich meine, spätestens seit Chile, seit dem Putsch in Chile dürfen wir, glaube ich, davon ausgehen, dass eine sozialistische Regierung in einem lateinamerikanischen Land auf Dauer nicht geduldet werden wird. Es gibt ja nach wie vor Lebensmittelpakete für die Menschen dort. Ich habe gerade gestern Kontakt gehabt mit jemandem in Caracas, der sagt, die werden nach wie vor ausgeliefert und so weiter. Also ich finde die Betrachtung ein bisschen einseitig, und ich solidarisiere mich überhaupt nicht mit Nicolás Maduro, sondern als Linke solidarisiere ich mich erst mal mit Bevölkerungen.
Schulz: Ja, auf dem Linken-Parteitag hat es genau diese Solidarisierungen ja durchaus gegeben. "Hands Off Venezuela!", das ist der Slogan Maduros, und das sind auch die Plakate, die auf dem Linken-Parteitag gezeigt wurden. Und jetzt auch Ihr Vergleich mit Chile, da war es ja so, das war ein Militärputsch, es wurden danach Tausende Menschen gefoltert, sind verschwunden, sind ermordet worden. Ist diese Parallele nicht ein bisschen weit hergeholt?
Barrientos: Ich fürchte nein. Ich glaube nicht, ich gehe nicht davon aus, dass da jetzt ein Militärputsch stattfinden wird, aber ich gehe schon davon aus, dass die Motive, die da im Moment dazu führen, dass die Situation eskaliert, nicht unbedingt die besten sind.
Schulz: Aber solange Nicolás Maduro die Unterstützung hat von wichtigen Partnern, wie dem russischen Präsidenten Putin und aus China, wird er sich da bewegen?
Barrientos: Er hat auch die Unterstützung von vielen Ländern Lateinamerikas, er hat die Unterstützung von afrikanischen Ländern, von anderen Ländern …
Schulz: Hat Guaidó auch.
Barrientos: Ja, aber wer will was warum, und warum machen die USA – gerade die USA, die sind da ja Vorreiter – so viel Druck, wo sind da die Motive, das müssen wir uns doch fragen.
Schulz: Aber können Sie das nicht nachvollziehen angesichts der akuten Notlage in diesem Land, das so reich an Rohstoffen, an Erdöl, dass man da Druck macht, wenn 90 Prozent der Bevölkerung arm sind?
Barrientos: Aber dass die Situation so ist, hat doch auch damit zu tun, dass man vorher immer wieder Druck gemacht hat, unter anderem mit Wirtschaftssanktionen.
Schulz: Das ist Ihre Einschätzung, über die man sicherlich jetzt auch an der Stelle noch länger streiten könnte.
Barrientos: Das ist ja nicht – ich versuche, einen Gegenposition reinzubringen. Ich möchte, dass wir das Ganze differenzierter betrachten, und ich möchte, dass wir die Menschen in Venezuela in den Fokus nehmen, und zwar, indem wir mit ihnen reden und sie fragen. Ich hab das getan, als ich dort war zu den Wahlen …
"Vermitteln könnte, glaube ich, natürlich Zapatero"
Schulz: Aber lassen Sie mich trotzdem noch mal kurz das Gegenargument sagen: Nicolás Maduro ist seit 2013 an der Macht, seit 2014 geht es massiv wirtschaftlich bergab, wir haben eine Inflation, die im Moment vom IWF geschätzt bei 1.000 Prozent liegt – da jetzt auf die USA zu schielen und zu sagen, ja, die sind ja schuld, ist das nicht ein bisschen einfach?
Barrientos: Ich halte Nicolás Maduro wirklich nicht für den größten Präsidenten aller Zeiten, aber die Tatsache, dass die Situation in Venezuela so ist, wie sie ist, hat nicht nur mit Maduro zu tun, sondern sie hat eben auch mit Sanktionen zu tun, und sie hat auch damit zu tun, dass der Ölpreis sehr gefallen ist. Welche Macht gibt man da Nicolás Maduro, wenn man ihm sagt, dass er der einzig Schuldige ist an der Situation in Venezuela?
Schulz: Ähnlich argumentiert sicherlich auch der russische Präsident Putin, daraus folgt jetzt wieder eine Pattsituation im UN-Sicherheitsrat. Das ist ein bisschen bitter, auch wenn wir jetzt beide lachen drüber. Sagen Sie mir noch: Der Sicherheitsrat ist jetzt wieder blockiert, wer kann da vermitteln?
Barrientos: Also eine Figur, die da vermitteln könnte, glaube ich, wäre natürlich Zapatero nach wie vor, der das Land gut kennt, der einerseits sehr kritisch draufschaut, aber andererseits mit offenen Augen draufschaut und nicht diesen einseitigen Blick hat.
Schulz: Sagt Simone Barrientos, stellvertretende Vorsitzende der Parlamentariergruppe Andenstaaten von der Partei Die Linke, heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank!
Barrientos: Gerne!
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