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Baustelle Heimat in Portugal (3/5)
Heimkehr in ein fremdes Land

Kinder portugiesischer Emigranten gehen eigentlich eher selten nach Portugal zurück. Ein in Paris geborener Portugiese ist in das Dorf seiner Eltern gezogen, um seinen eigenen Wein zu machen – und stößt dabei auf Hindernisse.

Von Tilo Wagner | 23.01.2019
    Nach eine ersten Leben als Portugiese in Frankreich hat sich António Madeira als Weinbauer in der Heimat seiner Eltern niedergelassen
    Nach einem ersten Leben als Portugiese in Frankreich hat sich António Madeira als Weinbauer in der Heimat seiner Eltern niedergelassen (Deutschlandradio / Tilo Wagner)
    Nördlich von Portugals höchstem Bergmassiv Serra da Estrela liegt unten im Tal ein kleines Dorf. Santa Marinha. Steinhäuser mit dicken Granitwänden entlang der Landstraße, Rauch steigt aus den Schornsteinen in den blauen Winterhimmel, auf den Wiesen grasen Schafe.
    João Nogueira steht vor seiner Olivenpresse und raucht eine Zigarette. Aus dem flachen Gebäude dringen Lärm und der beißende Geruch des ausgepressten Olivenbreis. Nogueiras Familie ist seit mehr als 75 Jahre im Geschäft. Und deshalb musste sie nicht, wie viel so viele Familien aus der Region, ihr Glück woanders suchen:
    "In den 50er- und 60er-Jahren haben viele Leute unser Dorf verlassen. Portugal war damals eine Diktatur. Wir wurden unterdrückt und es herrschte große Armut. Deshalb sind die Menschen ausgewandert – auf der Suche nach einem besseren Leben. Später sind viele im Rentenalter wieder zurückgekommen, aber ihre Kinder sind im Ausland geblieben."
    Das spüre man noch heute, sagt João Nogueira: In der Region fehlten gut ausgebildete Arbeitskräfte. Und dann erinnert sich der stämmige Mann mit dem freundlichen Gesicht doch noch an einen Emigrantensohn, der zurückgekehrt ist, in die Heimat seiner Eltern.
    Ein junger Winzer, aufgewachsen in Frankreich. Nogueira zeigt nach Westen, wo die Landstraße aus dem Ort herausführt.
    In einer nagelneuen Lagerhalle steht António Madeira zwischen großen Stahlbehälter und Eichenfässern und probiert mit einem Kunden einen neuen Wein, der erst seit ein paar Monaten im Fass liegt. Die Trauben stammen von einem der 25 Weinberge, die Madeira gepachtet hat. Der 40-Jährige hat seine Leidenschaft für den Wein in Paris entdeckt, wo er als Unternehmensberater tätig war und mit Kollegen einen Wein-Club gegründet hat.
    Die Lebensgeschichte von António Madeira ist ein Beispiel dafür, dass auch Emigrantenkinder Erfolg haben können. Sein Vater, der schon als Elfjähriger in Portugal in einer Textilfabrik arbeiten musste, flüchtete Anfang der 70er-Jahre vor der Salazar-Diktatur nach Paris und holte später seine Frau aus seinem Heimatdorf nach.
    Ein Frankreich Portugiese, in Portugal Franzose
    Die Kinder wuchsen in einer Dienstwohnung in einem großbürgerlichen Viertel in Paris auf, wo Antónios Mutter als Concierge arbeitete. António besuchte deshalb die besten Schulen zusammen mit den Sprösslingen der französischen Oberschicht, und das öffnete ihm später auch die Türen zu Frankreichs Elite-Universitäten. Im Sommer verbrachte er die Ferien in dem kleinen Dorf am Fuße der Serra da Estrela:
    "In Paris haben sie mich ausgegrenzt. Ich habe einen sehr portugiesisch klingenden Namen. Meine Schulkameraden sagten: 'Hey, du Portugiese... geh doch zurück nach Portugal!' Und wenn ich hier in Portugal war, dann riefen mir die Dorfkinder zu: 'Du, Franzose, geht doch zurück nach Frankreich.' Es schien, als ob ich irgendwo dazwischen zu Hause war. Vielleicht in Spanien! Dieses eingeschränkte, stumpfsinnige Denken hat mich immer verfolgt. Und deshalb sagen mir Nationalitäten heute gar nichts mehr. Ich bin Europäer."
    Madeira ging dennoch seinen Weg, war beruflich in Paris sehr erfolgreich. Doch der Traum von der eigenen Weinproduktion zog ihn in das Land seiner Eltern.
    "Man macht mir das Leben wirklich schwer"
    Der schlanke Mann mit dem dunklen Fünftagebart läuft durch den kleinen Weinberg direkt hinter dem Lagerhaus. Madeira macht Naturwein ohne Zusatzstoffe, aus unbehandelten, alten Rebsorten, die zum Teil seit Jahrhunderten in dem Tal rund um den Fluss Dão angebaut werden. Er bekommt seine Trauben auch von Dorfbewohnern, die inzwischen zu alt geworden sind, um noch so wie früher ihren eigenen Wein zu produzieren. Doch die Idee, einen Naturwein aus alten herkömmlichen Sorten zu produzieren, findet unter den mächtigen Weinbauern in der Region keine Unterstützung.
    "Ich bin ein bisschen naiv gewesen. Ich habe das alles hier aus purer Leidenschaft aufgebaut. Aber die großen Weinbauern haben ihre eigenen Interessen und sehen mich als Bedrohung an. Man macht mir das Leben wirklich schwer. Ich habe in Frankreich alles aufgegeben, um hierher zu kommen. Ich habe meine Pariser Wohnung verkauft und habe das ganze Geld hier in die Region investiert, obwohl das gar nicht meine richtige Heimat ist. Und die Leute helfen mir nicht dabei, nein, sie tun das Gegenteil. Sie wollen mich und meinen Betrieb zugrunde richten."
    Der Frust steht Madeira tief ins Gesicht geschrieben – über die fehlende Unterstützung und über den Neid, den er auch im Dorf zu spüren bekommt.
    Der Erfolg seines Weins macht ihm Mut
    Manchmal, sagt er, denke er daran, alles hinzuschmeißen und aufzugeben. Doch der Erfolg, den er mit seinem Wein hat, macht ihm Mut. Die 20.000 Flaschen Wein, die er jährlich produziert, setzt er in 15 Ländern ab; und sein Wein wird mittlerweile in Feinschmeckerrestaurants in Paris serviert.
    Und dann ist da noch etwas, was ihn an das Dorf seiner Eltern bindet: Hier in der portugiesischen Provinz kann er seinen Kindern ein Leben bieten, von dem er als Junge immer nur geträumt hat:
    "Wenn ich früher in den Sommerferien hier in die Region kam, war das für mich wie im Paradies. Ich verbrachte jedes Jahr zwei Monate hier und habe mich so frei wie nie gefühlt. In Paris habe ich immer in einer winzigen Wohnung gelebt, wie einem Käfig. Aber hier war ich von früh morgens bis spät abends mit meinen Cousins unterwegs. Wir kletterten auf Bäume, wir machten, was wir wollten. Es war die pure Freiheit."