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Baustelle Heimat in Portugal (5/5)
Garten der Sehnsucht

Überwiegend Männer sind aus dem Landesinneren Portugals ausgewandert, wo es kaum berufliche Perspektiven für sie gab. In den Dörfern blieben die Frauen manchmal alleine zurück und mussten mit ihrer Einsamkeit zurechtkommen.

Von Tilo Wagner | 25.01.2019
    Gracinda Monteiros Mann und ihre zwei Kinder lebten viele Jahre im Ausland - sie blieb in der Nähe ihres Gartens und ihrer Eltern
    Gracinda Monteiros Mann und ihre zwei Kinder gingen für viele Jahre ins Ausland - sie blieb in der Nähe ihres Gartens und ihrer Eltern (Deutschlandradio / Tilo Wagner)
    Gracinda Monteiro rupft Kohlblätter von einer hoch gewachsenen Pflanze und wirft das Grünzeug über einen Zaun zu ihren Gänsen. Ihr schlauchartiger, lang gestreckter Garten liegt am Rande von Lardosa, einem Dorf in der Region Beira Baixa in der Nähe der portugiesisch-spanischen Grenze.
    "Das sind meine Haustiere", sagt die 59-jährige Frau mit den runden Pausbacken und blinzelt in die milde, tief stehende Wintersonne. "Die schlachte ich nicht." Der Garten mit Gemüse und Obst, mit den Gänsen, Kaninchen, Tauben, Schweinen und Ziegen ist für Gracinda Monteiro auch immer ein Zufluchtsort vor der Einsamkeit gewesen. Denn vor über zehn Jahren war die Mutter von zwei Kindern plötzlich ganz auf sich alleine gestellt.
    "Die Tage gingen schnell vorbei. Ich pflanzte hier Salat, da den Kohl, dort drüben die Blumen. Dann kümmerte ich mich um die Tiere. Ich bin nie jemand gewesen, der sein Leid mit Nachbarn oder Freunden geteilt hat – ich bleibe lieber hier in meinem Garten. Aber die Abende waren besonders schwierig; da spürte ich die Einsamkeit, und das war hart."
    Die Familie ging in die Schweiz, sie blieb
    Aufgewachsen in einer Bauernfamilie hatte Monteiro jung geheiratet und sich mit ihrem Mann Stück für Stück den Traum von einem eigenen ruhigen Familienleben aufgebaut. Sie kümmerte sich um Haus und Kinder und ihren großen Garten.
    Nach dem Beitritt Portugals zur Europäischen Gemeinschaft Mitte der 80er-Jahre war der Wirtschaftsaufschwung auch in der Provinz spürbar geworden. Viele Männer fanden einen Job im boomenden Baugewerbe, darunter auch Monteiros Ehemann Joaquim. Doch der Boom dauerte nicht ewig an, junge Familien zogen in die Städte an der Küste und in der Provinz schwanden die Chancen auf einen festen Arbeitsplatz:
    "Mein Sohn ist sehr früh schon in die Schweiz gegangen, wo mein Schwager arbeitet. Er war gerade mal 18, und natürlich habe ich mir Sorgen gemacht. Aber er hat das alles auf die Reihe bekommen: Essen kochen, Wäsche waschen, bügeln. Ein paar Jahre später dann hat mein Mann kaum noch Aufträge bekommen, und mein Sohn hat ihm gesagt: Komm doch in die Schweiz, hier kriegst du einen Job. Er ging, und meine Tochter ging mit. Sie war noch in der Schule, und ich habe sie gefragt: Was willst du in der Schweiz? Sie sagte: Ich mach dort die Schule fertig – hier will ich nicht bleiben."
    Sohn und Ehemann kamen später zurück
    Gracinda Monteiro ging nicht mit ihrer Familie in die Schweiz. Zuerst blieb sie wegen einer schweren Krankheit, später weil sie sich um ihre Eltern kümmern wollte, die immer mehr auf ihre Hilfe angewiesen waren. Und sie habe es nicht übers Herz gebracht, erzählt sie, den Garten und die Tiere in Portugal aufzugeben, um in eine winzige Wohnung am Genfer See zu ziehen, wo die Winter kalt und grau seien.
    Gracindas Ehemann kommt aus einem der Schuppen und bleibt kurz stehen. Gut zehn Jahre lang hat er in der Schweiz gearbeitet, bis er Anrecht auf eine kleine Frührente hatte. Dann hat er seine Sachen gepackt und ist zurückgekehrt zu seiner Frau in die portugiesische Provinz. Und auch der Sohn sei wieder da, erzählt Gracinda Monteiro:
    "Mein Sohn kam immer zweimal im Jahr in den Ferien nach Portugal: im Sommer und zu Weihnachten. Immer, wenn er ankam, legte sich ein Lächeln auf seine Lippen, und wenn er wieder zurück in die Schweiz musste, war es immer ein großes Drama. Er weinte und weinte, und ich sagte ihm: Wenn's dir nicht mehr dort gefällt, dann komm doch zurück. Aber in Portugal verdiene ich doch nichts, sagte er. Im vergangenen Jahr hat er seine Zelte in der Schweiz dann trotzdem abgebrochen. Zum Glück geht's uns gerade wieder etwas besser in Portugal, und er hat hier im Dorf sofort einen Job in einer Baufirma gefunden. Er verdient viel weniger als in der Schweiz, aber es reicht zum Leben. Und er sagt zu mir: Schau, Mama, dafür haben wir hier fast immer diese wunderschöne Sonne."
    Landwirtschaft im kleinen Stil lohnt sich nicht
    Die kleine Frau wird plötzlich ernst. Ihr Sohn habe einen Sohn in der Schweiz, erzählt sie. Die Ehe ging in die Brüche, der Enkel lebt nun bei seiner Mutter - der Kontakt sei abgebrochen. Und den Enkel, erzählt Monteiro, habe sie seit zwei Jahren nicht mehr gesehen. Das würde ihr sehr wehtun.
    Sie läuft am Schweinestall vorbei in den hinteren Teil ihres Gartens. Zwischen alten, knorrigen Olivenbäumen hat sie Salat, Kräuter und Kartoffeln gepflanzt.
    Kein Düngemittel, keine Pestizide, das alles sei rein ökologisch angebaut, sagt Monteiro. Die Generation ihrer Eltern habe fast ausschließlich vom Land gelebt, erzählt sie, doch mittlerweile würden die Äcker brach liegen, die Oliven am Baum hängen bleiben, die Bohnen nicht gesät werden:
    "Die jüngere Generation hat mit Landwirtschaft nichts mehr zu tun. Als mein Sohn zurückkam, spielte er mit dem Gedanken, Landwirt zu werden. Doch mein Mann sagte: Wie willst davon leben? Als Kleinbauer geht das nicht. Du brauchst Geld und musst dich um Zuschüsse bemühen, um einen großen Betrieb aufmachen zu können. Wir haben zwar einen Traktor, aber das reicht nicht."
    Ein Baum im Garten vertritt die Tochter
    Am Rande des Olivenhains steht ein Johannisbrotbaum. Ein paar dicke Hummeln sitzen in den Blüten, Gracinda Monteiro streckt sich und pflückt kleine orangerote Beeren von den Ästen. Den Baum hat sie mit ihrer Tochter gepflanzt, kurz vor ihrem Umzug in die Schweiz.
    "Meine Tochter ging hier in der Nähe auf eine Schule, und dort sah sie die Johannisbrotbäume. Sie sagte mir: 'Mama, du musst eine von diesen Pflanzen kaufen, die sind so schön.' Also haben wir das gemacht und den Baum hier in die Erde gesetzt. Meine Tochter kommt uns immer im Sommer besuchen, aber der Baum blüht erst jetzt im Winter so schön. Ich erzähle meiner Tochter am Telefon immer, ob die Beeren reif sind oder die Knospen aufgehen. Dieser Baum wird für mich immer der Baum meiner Tochter sein."