Freitag, 19. April 2024

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Schwimmkurse für Kinder
Seepferdchen-Gutscheine in Bayern

Das Seepferdchen-Abzeichen ist oft ein Meilenstein im Leben eines Kindes. Der Freistaat Bayern bezuschusst die Schwimmkurse mit 50-Euro-Gutscheinen. Viele davon werden jedoch verfallen. Die Gründe: fehlende Hallenbäder und zu wenig Personal.

Von Michael Watzke | 01.10.2022
Kinder halten das Seepferdchen-Schwimmabzeichen in den Händen.
Viele Kinder würden gerne schwimmen lernen, aber können momentan nicht. (Symbolbild) (imago / McPHOTO)
"So, liebe Kinder: jeder setzt sich auf so ein Brettchen. Ich setz' mich dazu, und dann los!" Anfänger-Schwimmkurs in München-Giesing. Schwimmlehrer Raimund Bethmann und zwei Helferinnen erklären sechs Kindern den Beinschlag. "Immer nach vorne schauen, sonst hast Du einen krummen Rücken!"
Bethmann, 73 Jahre alt, ist Ausbildungsleiter der DLRG, der Deutschen Lebensrettungs-Gesellschaft in München-Mitte. In den letzten zehn Jahren hat der Rentner rund 300 Münchner Kinder zum Seepferdchen geführt. "Seepferdchen bedeutet: ins Wasser springen, und zwar in eine Tiefe, wo man nicht stehen kann. Weiterschwimmen, 25 Meter, bis die Bahn zu Ende ist. Ohne sich zwischendurch irgendwo anzufassen oder einfach aufzuhören."
Außerdem muss man fürs Seepferdchen die Baderegeln kennen und einen Ring vom Beckenboden fischen. Aus schultertiefem Wasser. "Deswegen schultertiefes Wasser, weil dadurch das Kind mit dem Kopf unter Wasser muss. Das ist auch ein wichtiger Bestandteil der Seepferdchen-Prüfung."

Drei von vier Kindern schaffen die Prüfung

Erst dann gibt es die Urkunde und das Abzeichen. Ein Meilenstein im Leben eines Kindes, sagt Bethmann. Etwa drei von vier Kindern schaffen die Prüfung am Ende des Kurses. "Unsere Kurse gehen über mindestens 15 Unterrichts-Einheiten von je 45 Minuten."
Nikolai, zehn Jahre alt, ist diesmal der älteste Kursteilnehmer. Im hüfthohen Wasser der Schul-Schwimmhalle planscht und spielt er besonders gern. "Einer war ein Hai, und die anderen mussten wegschwimmen und vor dem Hai flüchten. Schwimmen macht Spaß, weil man seine Arme bewegen kann und das Wasser schön angenehm ist", sagt er.
29 Grad Celsius beträgt die Wasser-Temperatur. In den meisten Münchner Bädern ist es mittlerweile kälter, weil die Stadt Heizkosten und Gas sparen muss. Für kleine Kinder in Schwimmlern-Kursen ein Problem, sagt Bethmann. "28 Grad ist so eine Toleranzgrenze. Unter 28 fangen die unheimlich schnell an zu frieren."
Blaue Lippen, Zähneklappern, schlechte Laune – bei solchen Bedingungen sei Schwimmen lernen fast unmöglich. Dabei gibt es schon jetzt zu viele Nichtschwimmer-Kinder, klagt DLRG-Präsident Manuel Friedrich: "Die Ertrinkungs-Zahlen sind nach wie vor sehr hoch. Das liegt auch daran, dass Kinder nicht mehr so viel Schwimmen lernen und keine so guten Schwimmer sind. Wir fordern ja, dass Grundschüler wirklich gute Schwimmer sein müssen. Das ist man erst, wenn man das bronzene Abzeichen hat. Das geht ein bisschen zurück. Was natürlich ein Problem ist: dass in den Gemeinden die Schwimmbäder erhalten bleiben müssen. Das ist uns ein großes Anliegen, den Bürgermeistern zu signalisieren: rechtzeitig investieren. Nicht so lange warten, bis das Bad so marode ist, dass man es abreißen muss."

Personalproblem sorgt für lange Wartezeiten

Aber fehlende Hallenbäder sind nicht der einzige Grund, warum die Wartezeit auf einen Platz im Seepferdchen-Kurs mittlerweile oft zwei Jahre beträgt. Es ist auch ein Personalproblem: die meisten Schwimmlehrer sind ehrenamtlich tätig.
Für einen Kurs mit sechs Teilnehmern braucht Raimund Bethmann mindestens zwei, besser drei Ausbilder. "Alleine mache ich das auf keinen Fall. Wenn ich allein wäre, würde ich die Kurs-Stunde absagen. Jetzt, heute, geht es zum ersten Mal in die Technik. Beintechnik wird einstudiert. Die Grundkenntnisse. Da wär’s schön, wenn wir noch mehr Ausbilder hätten. Pro Kind ein Ausbilder wäre in diesem Fall der Ideal-Zustand. Aber das können wir nicht leisten."
Immerhin – einen Personalschlüssel wie bei der DLRG gebe es in vielen privaten Schwimmkursen nicht, sagt Tina, die Mutter von Seepferdchen-Aspirant Nikolai. "Mein Favorit war die DLRG. Einfach weil’s kleinere Gruppen sind, mehr Stunden, mehr Betreuer. Was ich wichtig finde. Mit meiner Tochter waren wir in einem anderen Schwimmkurs. Und da fand‘ ich: wenn Kinder dabei sind, die nicht so flott lernen, die fallen hinten runter."

Seepferdchen-Gutschein vom Freistaat

Und das, obwohl die Kosten bei privaten Anbietern von Schwimmkursen beträchtlich sind. Bis zu 400 Euro muss man in München zahlen. Der Anfänger-Kurs bei der DLRG kostet 150 Euro – und mit einem Seepferdchen-Gutschein kann man ihn noch weiter senken, erklärt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann: "Wir haben zu Beginn des letzten Jahres diese Gutschein-Aktion gestartet. Dass wir die Kosten für Schwimmkurse entsprechend übernehmen. Für alle Kinder in dem entsprechenden Alter: Kita oder Beginn der Grundschule. Aber es konnten viele ihren Gutschein nicht einlösen, weil gar nicht so viel Kurse angeboten wurden. Deshalb haben wir die Geltungszeit bis zum Ende des Jahres verlängert."
50 Euro Ermäßigung gibt es pro Gutschein. Trotzdem wird ein Teil der Rabattkarten verfallen – weil es zu wenig Angebote gibt und viele private Schwimmschulen die Gutscheine nicht annehmen.
Wer dagegen einen Platz bei Raimund Bethmann von der DLRG in München erwischt, hat Glück. So wie Karin, Mutter von Seepferdchen-Aspirantin Marie. Für sie ist der Anfänger-Kurs tatsächlich erst der Anfang. "Genau. Das ist der erste Schritt, dass sie mal vorankommt. Sich im Wasser halten kann. Danach geht’s weiter. Ich würde nicht sagen, mein Kind ist danach eine sichere Schwimmerin. Wir würden schauen, dass wir dann die nächsten Kurse machen. Für Fortgeschrittene."
Der nächste Schritt ist das Freischwimmer-Abzeichen in Bronze. Bedingung: 200 Meter Brust- und Rückenschwimmen. Erst dann kann man in den Augen der DLRG wirklich schwimmen.