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BDI-Präsident Grillo
"Auch ein Präsident Trump wird erkennen, dass Freihandel wichtig ist"

Der Bundesverband der Deutschen Industrie will sich auch nach der US-Wahl weiterhin für das umstrittene EU-Freihandelsabkommen TTIP mit den USA einsetzen. Abschottung sei keine Lösung, sagte BDI-Präsident Ulrich Grillo im DLF. Europa und Deutschland müssten die Entwicklung in den USA allerdings als Warnschuss verstehen.

Ulrich Grillo im Gespräch mit Chrisoph Heinemann | 10.11.2016
    BDI-Präsident Ulrich Grillo spricht am 06.10.2016 in Berlin beim Tag der Deutschen Industrie 2016 des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI).
    BDI-Präsident Ulrich Grillo (dpa)
    Grillo forderte einen reibungslosen Übergang auf die neue Präsidentschaft von Donald Trump und "Klarheit über die Programme, die kommen". "Ich erwarte ein Ende der Wahlkampfrhetorik", sagte der Präsident des Bundes der Deutschen Industrie mit Blick auf die Äußerungen Trumps zur wirtschaftlichen Abschottung der USA. Ein abgeschotteter US-Markt würde der europäischen Wirtschaft Probleme bereiten. "Ein großer Teil unserer Beschäftigung hängt davon ab", betonte Grillo. Er vertraue darauf, dass auch ein Präsident Trump erkenne, wie wichtig der Freihandel für Amerika sei. Immerhin sei Trump Geschäftsmann. Grillo äußerte sich zuversichtlich, dass der designierte neue US-Präsident seine im Wahlkampf angekündigten Maßnahmen nicht durchsetzen werde.
    Grillo appellierte an die deutsche Politik und die Wirtschaft, den Erfolg Trumps und die Entwicklung in den USA als Warnschuss zu verstehen. In den USA und auch in Deutschland herrsche große Unzufriedenheit der Bürger mit dem "Establishment", mit der Politik und auch mit der Wirtschaft. Es grassierten Ängste vor Digitalisierung und Globalisierung. "Die Bürger müssen mehr mitgenommen werden."

    Christoph Heinemann: Die USA sind der weltweit größte Absatzmarkt für Waren aus Deutschland. Zwei Hausnummern dazu: Wir reden über Exporte im Wert von 114 Milliarden Euro, 1,5 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland hängen von diesen Exporten ab. Das heißt, mit größtem Interesse blickt die Industrie auf den wirtschaftspolitischen Kurs der künftigen Regierung. Am Telefon ist jetzt Ulrich Grillo, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, guten Morgen!
    Ulrich Grillo: Guten Morgen, Herr Heinemann!
    Heinemann: Herr Grillo, ist die deutsche Wirtschaft verunsichert?
    Grillo: Na ja, wir hatten sicherlich gestern eine, wie man so schön sagt, Schockstarre, aber sie ist jetzt gewichen einer Verunsicherung, die wiederum gepaart ist mit einer gespannten Erwartung. Also, ich erwarte schon ein Ende der Wahlkampfrhetorik, dass die Themen Rassismus, Chauvinismus, Populismus, Sexismus und alles, was da vorgefallen ist, das muss ein Ende haben. Auch die Äußerung zum Antifreihandel, Antiglobalisierung, zur Abschottung, all diese Themen, die müssen einer Vernunft weichen. Wir brauchen jetzt einen reibungslosen Übergang auf den neuen Präsidenten und vor allen Dingen natürlich eine Klarheit über die Person und Programme, die kommen.
    "Amerika exportiert immerhin Waren und Dienstleistungen im Wert von über 500 Milliarden Euro nach Europa"
    Heinemann: Wird Amerika protektionistisch?
    Grillo: Also, ich vertraue darauf, dass auch ein Präsident Trump erkennt, wie wichtig Freihandel, wie wichtig Globalisierung für Amerika ist. Amerika exportiert immerhin Waren und Dienstleistungen im Wert von über 500 Milliarden Euro nach Europa und ich bin mir sicher, darauf kann er nicht verzichten. Die USA braucht die Technologie, die Zwischenprodukte, gerade die Ingenieurtechnologie aus Deutschland. Und letztlich, Trump ist ein Businessman, ist ein Geschäftsmann. Er wird schnell erkennen und er weiß, worauf es ankommt.
    Heinemann: Aber er hat ganz klar gesagt, das Freihandelsabkommen TTIP landet in der Tonne.
    Grillo: Also, ich bin da sehr viel optimistischer. Ich werde weiter, wir werden weiterhin für TTIP kämpfen und auch ein Geschäftsmann, ein Präsident Trump wird erkennen, dass Freihandel wichtig ist. Insofern bin ich relativ zuversichtlich, dass wir einen Präsidenten Trump kennenlernen werden, der völlig anders agiert, als er als Kandidat Trump aufgetreten ist.
    Heinemann: Deklinieren wir mal seine Wahlkampfforderungen durch: Neue Zölle, Subventionen für die heimische Wirtschaft, ein abgeschotteter Binnenmarkt – was würde das für die europäische Wirtschaft und für deutsche Unternehmen bedeuten?
    Grillo: Ja, das würde schon für die europäische Wirtschaft und für deutsche Unternehmen schwierig werden. Sie haben es vorhin erwähnt, wir exportieren Waren und Dienstleistungen in Höhe von 114 Milliarden Euro in die USA, wir haben einen Großteil … ein großer Teil unserer Beschäftigung hängt davon ab. Aber ich bin zuversichtlich, dass die im Wahlkampf angekündigten Maßnahmen nicht so durchgesetzt werden. Und wir haben ja gestern schon einen Auftritt erlebt, der sehr viel vernünftiger war als im Wahlkampf. Und ich sehe die Börsen immer als ganz guten Seismografen an und wir haben gestern gesehen, dass sie am Anfang um fünf Prozent gesunken sind, und sie sind dann am Tagesende mit plus ein Prozent in Deutschland und auch in den USA rausgegangen. Das heißt, man hat doch gewisse positive Erwartungen und das muss umgesetzt werden.
    "Wir müssen diese Entwicklung in Europa und Deutschland als Warnschuss verstehen"
    Heinemann: Herr Grillo, wenn Trump nicht hielte, was er versprochen hat, dann verhielte er sich genauso, wie er es dem sogenannten System ja immer vorgeworfen hat. Kann er sich das erlauben?
    Grillo: Ich glaube nicht, dass er sich das erlauben kann, und ich bin auch der Meinung, er wird es nicht so machen. Das System, das sogenannte System, was er anspricht, das ist sicherlich schwierig. Aber mir ist wichtig: Wir müssen ja auch daraus lernen. Also, wir müssen schon in Europa, in Deutschland diese Entwicklung verstehen als Warnschuss. Man stellt fest, dass in Amerika – und das ist auch bei uns festzustellen – eine große Unzufriedenheit mit dem Establishment, mit der Politik, vielleicht auch mit der Wirtschaft da ist, das heißt, der Bürger muss mehr mitgenommen werden, wir müssen die Probleme offen ansprechen. Es gibt eine gewisse Angst, eine Furcht bei den Bürgern. Ob das bei Digitalisierung ist, Globalisierung, die Probleme Europa, Flüchtlinge … All diese Themen müssen offener, ernster angesprochen werden, und diesen Warnschuss müssen wir hoffentlich auch, gerade die Politik in Deutschland, verstehen und richtig umsetzen.
    Heinemann: Ist Trump das Ergebnis des Reichtums weniger und der Armut vieler?
    Grillo: Trump ist das Ergebnis einer Unzufriedenheit, einer Unsicherheit, einer Angst in der Bevölkerung. Mit den sozialen Medien heute ist die Bevölkerung viel näher an den Problemen, an den Geschehnissen dran, und das müssen wir realisieren, das müssen wir ernst nehmen, das muss die Politik vor allen Dingen ernst nehmen und darauf reagieren. Und da ist Trump ein hervorragendes Beispiel dafür, dass man das ernst nehmen muss.
    Heinemann: Haben die Amerikaner Kapitalismus und Marktwirtschaft abgewählt?
    Grillo: Kapitalismus und Marktwirtschaft … Kapitalismus ist ein negativ besetztes Wort, Marktwirtschaft ist ein positives Wort. Wir leben in Deutschland seit vielen Jahrzehnten erfolgreich die soziale Marktwirtschaft, aber das müssen wir dem Bürger auch klarmachen, dass das das einzig vielversprechende Modell ist.
    Heinemann: Digitalisierung und Globalisierung, das sind die beiden Feinde der nicht so gut ausgebildeten Menschen. Wie nimmt man die mit?
    Grillo: Na ja, indem man sie aufklärt, indem man ihnen sagt, dass gerade in Deutschland Globalisierung und Digitalisierung Zukunftswerte sind, die große Chancen für uns sind, die nicht bedrohlich sind, in denen Chancen sind, die langfristig auch für Beschäftigung und damit für Wohlstand sorgen. Aber das reicht nicht, wenn ich das weiß, wenn Sie das wissen, das müssen wir den Bürgern klarmachen. Wir aus der Wirtschaft, aber auch die Politik. Und da haben wir eine große Aufgabe.
    "Wir müssen ganz klarmachen, wie wichtig die Grundwerte der Demokratie sind"
    Heinemann: Aber das Ergebnis genau dieser beiden Begriffe ist, dass zunehmend Leute in Armut rutschen.
    Grillo: Nein, das sehe ich nicht so. Wir haben viele Zahlen, dass die Armutsgrenze gestiegen ist, dass wir wesentlich weniger Menschen in Armut haben in den letzten Jahren. Aber diese Erkenntnisse, diese Werte müssen wir dem Bürger mitteilen, wir müssen ganz klarmachen, wie wichtig die Grundwerte der Demokratie sind, das müssen wir hier und auch auf der anderen Seite des Atlantiks klarmachen, dass wir eine offene Gesellschaft brauchen und dass auch Digitalisierung, dass auch Globalisierung die Chancen sind für die Zukunft und mehr Chancen als Risiken haben.
    Heinemann: Warum ist der Nationalismus so attraktiv zurzeit?
    Grillo: Na ja, man ist … Wenn es viele Probleme gibt, wenn Ängste da sind, wenn Verunsicherung da ist, dann zieht man sich gern in sein Schneckenhaus zurück und meint: Mach mal die Tür zu, dann passiert mir nichts. Und das ist ein menschliches Verlangen und da müssen wir gegenarbeiten, weil langfristig das Thema Nationalisierung, das Thema Abschottung überhaupt keine Lösung ist.
    "Grundsätzlich bin ich optimistisch, dass es möglich ist, den Bürger aufzuklären und mitzunehmen"
    Heinemann: Aber diese Nachricht oder diese Botschaft scheint ja in Europa im Moment nicht anzukommen.
    Grillo: Das ist völlig richtig und deswegen habe ich auch gesagt, dass es ein Warnschuss ist, das müssen wir sehr ernst nehmen. Wir müssen versuchen – und wenn ich "wir" sage, ist das wie gesagt die Politik, die Wirtschaft, alle Stakeholder, alle Beteiligten –, müssen den Bürger ernst nehmen und müssen wir ihn mitnehmen und müssen wir ihn aufklären. Ich bin schon zuversichtlich, dass 95 Prozent der Bürger aufgeklärt werden wollen und die Probleme auch diskutieren. Es gibt immer gewisse Gruppierungen, die gegen alles sind, die gar nicht verstehen wollen, was los ist, aber grundsätzlich bin ich optimistisch, dass es möglich ist, den Bürger aufzuklären und mitzunehmen.
    Heinemann: Verfügen Sie über Kontakte ins Trump-Lager?
    Grillo: Nein.
    Heinemann: Wie kommunizieren Sie jetzt mit der neuen Regierung?
    Grillo: Na ja, also, die neue Regierung muss sich erst mal finden, wir müssen vernünftigen Übergang haben, wir müssen erst mal die Personen kennenlernen, die müssen ja erst mal benannt werden. Und dann werden wir selbstverständlich Kontakte aufnehmen und miteinander reden. Seit der Erfindung der Sprache kann man viel damit regeln, das ist immer mein Motto.
    Heinemann: Genau, und davon profitiert vor allen Dingen das Radio, von der Erfindung der Sprache! Ulrich Grillo, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Grillo: Vielen Dank, Herr Heinemann!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.