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Befragung zu Musik-Streaming
Es kommt zu wenig bei den Künstlern an

Fast ein Jahr lang befragten Abgeordnete des britischen Unterhauses Musiker, Manager und Tech-Bosse nach den wirtschaftlichen Auswirkungen und langfristigen Folgen von Streaming, der Abschlussbericht zeigt nun: Sie sind katastrophal. Deshalb fordert der Ausschuss grundlegende Änderungen.

Von Niklas Rudolph |
Das Logo von Spotify wird auf einem Smartphone angezeigt.
Nur etwa jeder zehnte Dollar aus Streaming-Einkünfte kommt überhaupt bei den Künstlerinnen und Künstlern an. (picture alliance/onw-images/Marius Bulling)
"Democratization, which is happening in the digital world, is not helping musicians."
Ivan Ilić ist Pianist und einer der wenigen Musiker, die genau über ihre eigenen Verdienste bei Spotify, Apple Music und Co. Bescheid wissen.
"I don't think that for me, streaming would become a main source of revenue, it's still pretty small."
Wie die meisten klassischen Musiker könnte auch Ivan Ilic nicht von seinen Streaming-Einkünften leben. Normalerweise hat Ivan Ilic auf Spotify um die 5.000 Abrufe für Titel, ein guter Schnitt für die meisten klassischen Musiker. Aber mit einem Track hat Ilic einen Glückstreffer gelandet: Etwa eine Million Mal ist die Etüde von Anton Reicha innerhalb weniger Monate abgerufen worden. Künstlerisch ein Erfolg für Ilic. Aber finanziell? Er rechnet vor: Apple Music zum Beispiel zahle für jeden Stream einen US-Cent. Zuerst geht das Geld an den Vertrieb, der die Musik auf Spotify und Co. einstellt. Der behält schonmal 20-30 Prozent ein. Dann an die Plattenfirma, die die Rechte an der Musik hält. Und erst zum Schluss an die Musikerinnen und Musiker.
In dieser Fotoillustration wird das Logo des Musikstreamingdienstes Spotify auf einem Smartphone angezeigt.
Proteste vor Spotify-Standorten - Musiker fordern ihren Anteil
Mit einem weltweiten Aktionstag wollen Musikerinnen und Musiker ihren Forderungen Nachdruck verleihen und einen größeren Anteil an Spotifys Einnahmen aus dem Streaminggeschäft. Auch in Berlin wurde protestiert.

Nur jeder zehnte Dollar kommt bei Künstlern an

Und da liegt das Problem, das die britischen Parlamentarier anprangern: Nur etwa jeder zehnte Dollar aus Streaming-Einkünfte kommt überhaupt bei den Künstlerinnen und Künstlern an. Dieses Modell stamme aus einer Zeit, in der die Labels ihre CDs oder Schallplatten noch aufwändig herstellen und verpacken mussten. Ein veraltetes Modell, monieren die Abgeordneten und fordern nicht weniger als 50 Prozent für die Künstlerinnen und Künstler.
Sie werden die Ergebnisse dieses Berichts sorgfältig prüfen, das schreibt der Verband der britischen Musikindustrie, der die großen Labels wie Sony, Universal und Warner vertritt. Und spricht dabei eine klare Drohung aus: "… es ist wichtig, dass alle politischen Vorschläge unbeabsichtigte Folgen für Investitionen in neue Talente vermeiden und den außerordentlichen weltweiten Erfolg des Landes in der Musik nicht gefährden."
Diese Reaktion war voraussehbar. Denn der Parlamentsbericht wendet sich explizit an die drei großen Player Sony, Universal und Warner. Gemeinsam gehören ihnen drei Viertel des britischen Musikmarkts.
"Diese Marktmacht der großen Unternehmen ist halt auch ein echtes Problem", sagt Anne Haffmans, Chefin des britischen Indie-Labels Domino.
"Die konkurrieren schon auf dem Markt, aber eben in ihrem Umgang mit Streaming Services, so wie früher mit Handelsketten, haben sie schon gemeinsame Interessen. Und ich bin mir sicher, dass sie auch sehr viel gemeinsam verhandeln und agieren bei dem Aushandeln von Konditionen und Abgaben.

Parlamentarier wollen "Quasi-Monopol" brechen

Das sehen auch die britischen Parlamentarier so. In ihrem Abschlussbericht fordern sie die Regierung auf, die Kartellbehörden einzuschalten und das Quasi-Monopol zu brechen. Damit würden sich automatisch die Margen auf dem Markt verbessern, hofft Anne Hafmanns:
"Ich arbeite bei einem Label, was einen Künstler (…) unter Vertrag nimmt und für den einen Markt findet. (…) Und es gibt eben den umgekehrten Fall. So arbeiten die meisten Majors, die suchen sich Nischen im Markt (…) und sagen: Wir suchen jetzt einen Künstler, der da genau reinpasst. Und das (…) ist eben mit sehr viel Aufwand und sehr viel finanziellenm Einsatz verbunden."
Neben der Dominanz der großen Player seien es vor allem die Algorithmen der Streaming-Dienste, die unabhängigen Labels das Leben schwer machen. Durch die Empfehlungen und Playlists der Streaming-Anbieter erhalten Userinnen und User meist viel vom Gleichen. Alles, was da nicht reinpasst, fällt durch das Raster – und auch durch die Abrechnungen. Bei Spotify, sagt Labelmanagerin Anne Haffmans, gehe es zu wie an der Börse:
"Das ganze Geld wird gepoolt und die, die am meisten streamen, kriegen zunächst mal die Einnahmen. Und der kleine Rest, der da bleibt, wird dann auf diese riesige Anzahl von keine Ahnung 95 Prozent der Interpreten irgendwie aufgeteilt."
Ein großes Spotify-Plakat hängt an der Fassade der New York Stock Exchange.
Kampagne "Justice at Spotify" - Musiker fordern Fairness vom Streaming-Riesen
Der Streamingdienst Spotify gibt an, fast 30 Prozent mehr Nutzer zu haben als 2019. Die Macht des Dienstes wächst. Dagegen und gegen – aus ihrer Sicht – zu geringe Beteiligung an den Einnahmen wollen Musikerinnen und Musiker angehen.

Was gibt es für Alternativen?

Im Ausschuss des britischen Unterhauses sind Alternativen zu diesem Modell besprochen worden: Userinnen und User könnten mit ihren Abonnements nur die Künstlerinnen und Künstler unterstützen, die sie tatsächlich auch hören.
"Ich persönlich (…) würde mich wesentlich besser damit fühlen, wenn ich mit meinem 9,99 Euro (…) im Monat nicht auch noch (…) deutsche Hip-Hopper, deren Texte ich frauenverachtend oder antisemitisch finde, (…) bezahlen müsste. Weil das ist das, was passiert."
Und überhaupt dieser Preis. Für knapp zehn Euro im Moment erhalten Millionen von Nutzerinnen und Nutzern Zugriff auf eine quasi unendliche Musikbibliothek. Zehn Euro, soviel oder gar mehr hat früher eine einzige CD gekostet.

Musik darf nicht zum Hobby werden

"Am Ende müssen eben auch die Künstlerinnen und Künstler so gut vergütet werden, dass sie überhaupt in die Lage versetzt werden, Musik zu machen, dass also Musik nicht einfach nur ein Hobby ist."
Martin Lücke ist Professor für Musikmanagement an der Hochschule Macromedia in Berlin. Er fordert eine gesellschaftliche Debatte über den Wert von Musik – als Kultur-, aber auch als Wirtschaftsgut.
"Ich glaube, die meisten Nutzerinnen und Nutzer haben sich darüber noch gar keine großartigen Gedanken gemacht. Was ihnen übrigens nicht vorzuwerfen ist. Die zahlen ihre (…) 10 Euro monatlich und denken: Ja, dann kommt das Geld doch da an, wo es soll, nämlich (…) bei meinen Idolen."

Nutzer müssen wissen, was mit ihrem Geld passiert

Erst, wenn die Nutzerinnen und Nutzer wüssten, was mit ihrem Geld passiert, könnten sie sich freier entscheiden. Der britische Vorstoß ist für ihn ein Schritt in die richtige Richtung. Nur: Die Ursache des Problems löse er nicht. Martin Lücke fordert, dass die Nutzerinnen und Nutzer bereit sein müssen, angemessen zu bezahlen. Ob das mit 10 Euro im Monat klappen kann?
"Es ist eine gute Frage, wie lange sich das aufrecht erhalten lässt. Und ich glaube, wenn man so ehrlich ist und sagt, dass alle angemessen und vernünftig vergütet werden sollen, dass man dann entweder über deutlich höhere Nutzerraten zu sprechen hat oder eben über höhere Abonnement-Gebühren."
Der Ball liegt nun bei der britischen Regierung. Sie muss die Forderungen des Ausschusses prüfen und dann ggf. eine Gesetzesinitiative ins Parlament einbringen. Auf der ganzen Welt werden Musikerinnen und Musiker mit ihren Labels ganz genau hinsehen. Denn die Musikindustrie arbeitet genau wie die großen Streaming-Konzerne global. Martin Lücke:
"Letztendlich geht es nur gemeinsam. Also Künstler, Urheber, Labels, Verlage müssen sich an einen Tisch setzen mit den Streaming-Anbietern und gemeinsam überlegen, wie eine für alle Seiten angemessene und faire Vergütung am Ende aussehen kann."