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Befragung zur Bildung
Klare Schüler-Mehrheit gegen Ganztag für alle

Für das ifo-Bildungsbarometer wurden erstmals auch Jugendliche befragt. Die Meinungen von Erwachsenen und Jugendlichen gehen teilweise deutlich auseinander, sagte Ludger Wößmann vom ifo-Zentrum für Bildungsökonomik im Dlf. Konfliktthemen seien etwa Ganztagsschulen, Klassengrößen und Lernmittel.

Ludger Wößmann im Gespräch mit Jörg Biesler | 13.09.2018
    Schüler lernen im Englisch-Unterricht an einer Realschule in Niedersachsen.
    Zu Bildungsthemen wurden jetzt auch mal die Jugendlichen gefragt (picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
    Jörg Biesler: Das Münchener ifo-Institut für Wirtschaftsforschung befragt jedes Jahr die Bevölkerung, was sie in Sachen in Bildung denkt. Ergebnis ist das Ifo-Bildungsbarometer, sozusagen ein Instrument zur Bestimmung der bildungspolitischen Großwetterlage. Das bezieht in der heute vorgestellten Fassung nun erstmals Jugendliche mit ein, die ja in Sachen Bildung durchaus eine Meinung haben dürften. Professor Ludger Wößmann ist Leiter des ifo-Zentrums für Bildungsökonomik. Guten Tag, Herr Wößmann!
    Ludger Wößmann: Guten Tag!
    Biesler: Heute in der Studie zum ersten Mal auch Jugendliche. Warum sind Sie nicht schon früher auf die Idee gekommen?
    Wößmann: Ja, das ist eine gute Frage. Es ist natürlich irgendwie offensichtlich, dass man zu Bildungsthemen auch die Jugendlichen befragen möchte. Wir sind gestartet eigentlich mit einem großen Projekt, wo wir sehen wollten, inwiefern ist eigentlich die Meinung der Wahlbevölkerung bestimmend dafür, warum bestimmte Reformen im Bildungsbereich von den Politikern umgesetzt werden oder nicht, und dafür haben wir uns halt immer auf die erwachsene Bevölkerung, die Wahlbevölkerung, konzentriert, und nun haben wir gedacht, es ist zwar eine große Herausforderung, das methodisch umzusetzen, aber wenn wir doch auch mal Jugendliche fragen könnten, was sie meinen, das wäre doch sehr spannend zu sehen, wo gibt es Gemeinsamkeiten, wo gibt es Unterschiede, was denken denn eigentlich die, die wirklich davon betroffen sind, und darum haben wir es tatsächlich diesmal geschafft, über 1.000 14- bis 17-jährige Jugendliche zu befragen, was sie denn zu verschiedenen Bildungsthemen meinen.
    Nahezu zwei Drittel lehnen Ganztagssystem ab
    Biesler: Ja, und das ist tatsächlich spannend, wenn man die Ergebnisse liest. Sie haben vor allem nach der Organisation in den Schulen gefragt, also wie soll das eigentlich alles funktionieren, und da gibt es durchaus Unterschiede bei Erwachsenen und Jugendlichen.
    Wößmann: Ja, der vielleicht frappierendste Unterschied, der mich überrascht hat, der auf den zweiten Blick gar nicht so überraschend ist vielleicht, ist die Frage nach Ganztagsschulen. Also wir haben gefragt, sind Sie dafür oder dagegen, oder bei den Jugendlichen: Seid ihr dafür oder dagegen, dass alle Schülerinnen und Schüler bis 15 Uhr zur Schule gehen sollen, dass wir so ein Ganztagssystem einführen. Unter den Erwachsenen haben wir da eine deutliche Mehrheit von 60 Prozent, das haben wir auch in den Vorjahren schon gesehen.
    Hier sieht es unter den Jugendlichen komplett anders aus. Nahezu zwei Drittel lehnen das ab, und das ist vielleicht auch dann nicht ganz unerwartet, wenn man denkt, dass es gerade dort eben tatsächlich ihre Freizeit einschränkt und die Erwachsenen vielleicht eher denken, oh, das erleichtert uns eigentlich vieles in dem Zusammenbringen von Arbeit, Berufswelt einerseits, Familienwelt andererseits, aber vielleicht ist das doch eine wichtige Erkenntnis, um zu sehen, dass wir, wenn das Ganze erfolgreich sein soll, bei einem Ganztagsschulsystem schon auch die Kinder und Jugendlichen mitnehmen müssen, abholen müssen und wahrscheinlich dafür uns viel besser einsetzen müssen, als wir das bisher tun, weil das scheint ja was zu sein, was größtenteils von den Jugendlichen abgelehnt wird.
    Biesler: Ja, zum Beispiel auch, keine überraschende Erkenntnis wahrscheinlich, die Jugendlichen kommunizieren lieber elektronisch. Das ist deren Welt.
    Wößmann: Auch bei den Erwachsenen sehen wir mittlerweile eine deutliche Mehrheit, die sagen, wir würden eigentlich gerne mehr Arbeit am Computer, selbstständige Arbeit im Unterricht sehen, aber das ist bei den Jugendlichen noch viel ausgeprägter. Zum Beispiel drei Viertel der Jugendlichen sagen, mindestens 30 Prozent der Unterrichtszeit würden sie gern am Computer verbringen. Wenn man - und das ist eine andere Frage, die wir auch gestellt haben - mal gegenüberstellt, wie sieht denn das eigentlich derzeit aus, dann ist es so, dass zwei Drittel der Jugendlichen sagen, höchstens einmal die Woche benutzen wir im Unterricht den Computer. Also die ganze Digitalisierung, die wir so stark debattieren, die ist in Schulen noch längst nicht angekommen, und das ist sicherlich etwas, was sich dringend ändern muss.
    Biesler: Ja, und Sie sagen auch, wir wollen lieber bessere Geräte haben, um zum Beispiel sowas machen zu können, als die Klassen zu verkleinern, was ja anhaltend ein Wunsch der Eltern ist.
    Mehr Lernmittel oder kleinere Klassen?
    Wößmann: In der Tat. Das ist vielleicht der zweite große Unterschied neben dem Ganztagsthema, den wir zwischen Erwachsenen und Jugendlichen sehen. Wir fragen halt, wofür, wenn wir uns vorstellen, dass wir zusätzliche Mittel im Schulsystem ausgeben, wofür sollten sie eingesetzt werden, kleinere Klassen, höhere Lehrergehälter oder neue Lernmittel, Bücher und Computer zum Beispiel, und die Erwachsenen sind dann mehrheitlich dafür, die Klassengrößen zu verkleinern, und im Gegensatz dazu sagen die Jugendlichen in viel stärkerem Anteil, sie würden lieber neue Materialien haben. Die höchste Priorität ist gar nicht, die Klassengröße noch zu verkleinern, sondern es wäre eigentlich viel wichtiger, neue Lehrmittel anzuschaffen.
    Biesler: Einigkeit herrscht hingegen bei der Einheitlichkeit. Das ist ja gerade auch ein intensives Diskussionsthema, wie viel Kompetenzen in der Bildung eigentlich bei den Ländern bleiben, wie stark das vereinheitlicht, zentralisiert werden soll. Einheitliche Prüfungen - also ich denke mal, die Motivation ist vielleicht eine größere Vergleichbarkeit - wünscht sich die große Mehrheit von Eltern und von Jugendlichen. Warum?
    Wößmann: In diesem Bereich sehen wir tatsächlich sehr große Gemeinsamkeiten. Wenn man zum Beispiel fragt, sollten wir deutschlandweit einheitliche Abschlussprüfungen im Abitur einführen, dann sind 90 Prozent der Erwachsenen dafür, 83 Prozent der Jugendlichen. Das sind überwältigende Mehrheiten, und das sieht genauso aus beim Realschul- und beim Hauptschulabschluss. Ich glaube, das ist ein großer Wunsch danach, zu sehen, dass Bildung etwas sein muss - wir leben in einer globalisierten Welt, was nicht mehr rein provinziell, regional vonstattengehen kann, sondern auch die Jugendlichen überlegen sich, was machen sie danach damit. Sie möchten vielleicht woanders studieren gehen, und wenn sie dann befürchten müssen, dass ihr Abschluss gar nicht entsprechend anerkannt wird, was ja zunehmend infrage gestellt wird, dann sagen sie, sie wollen mehr Vergleichbarkeit.
    Das ist durchaus überraschend, finde ich, dass eben auch die Jugendlichen zu einer so großen Mehrheit dafür sind, mehr Vergleichbarkeit, einheitliche Abschlussprüfungen zu haben. Ich glaube, das ist auch in vielerlei Hinsicht tatsächlich auch genau das, was dann sicherstellen würde, dass langfristig alle Kinder und Jugendlichen in Deutschland gute Bildungsergebnisse erzielen können. Es ist sogar nicht nur so, dass es diese Mehrheit gibt für die Abschlussprüfungen, sondern wir haben auch danach gefragt, sollten denn nicht jeweils eine Klassenarbeit in Deutsch und Mathe in Jahrgangsstufen wie dritte, siebte, zehnte Klasse durch einen deutschlandweit einheitlichen Vergleichstest ersetzt werden, der dann eben auch in die Schulnoten eingeht, und auch dafür finden wir nicht nur unter den Erwachsenen, sondern auch unter den Jugendlichen absolute Mehrheiten.
    Mehrheit wünscht sich Thematisierung von Gender-Themen
    Biesler: Dann haben Sie noch nach Gender-Themen gefragt, würde ich mal grob zusammenfassen, also nach inhaltlichen Themen, eben auch mit Blick auf den Hintergrund der Debatte über sexuelle Belästigung, ob das künftig stärker eine Aufgabe der Schulen sein soll.
    Wößmann: Ja, und hier sehen wir wiederum sowohl unter den Jugendlichen als auch unter den Erwachsenen sehr große Zustimmung, sehr große Offenheit, dass das doch bitteschön in den Schulen behandelt werden sollte. Also es gibt Dreiviertelmehrheiten, und zwar sowohl unter den Männern als auch unter den Frauen, sowohl unter den Mädchen als auch unter den Jungen, die sagen, wir möchten, dass Gleichstellung von Mann und Frau im Schulunterricht thematisiert wird - das ist vielleicht noch nicht so überraschend.
    Aber auch wenn man fragt, sexuelle Belästigung, sollte das Thema sein oder Gewalt und Machtmissbrauch von Männern gegenüber Frauen, bei all diesen Themen ist die Zustimmung nahezu genauso hoch. Also es ist sehr deutlich so, dass die Deutschen und auch die Jugendlichen wollen, dass wir dieses Problem, diese Themen thematisieren, diskutieren, vielleicht in der Hoffnung, dass es dann tatsächlich in Zukunft ein geringeres Problem wird.
    Biesler: Sie haben gerade gesagt, Sie haben sich selbst gewundert, warum die Jugendlichen nicht schon vorher bei Ihrer Umfrage mit dabei waren. Bleiben sie denn im Boot?
    Wößmann: Es ist tatsächlich aus wissenschaftlicher Sicht eine große Herausforderung, repräsentative Befragungen unter Jugendlichen zu machen. Das ist nicht so leicht, auch mit den Befragungsrechten, und insofern hoffe ich, dass wir das weitermachen können, aber das wird eine große Frage, inwiefern das in Zukunft weiterhin möglich bleiben wird.
    Biesler: Das ifo-Bildungsbarometer dieses Jahr erstmals zu den Unterschieden zwischen Jugendlichen und Erwachsenen in Sachen Bildung. Vielen Dank, Ludger Wößmann!
    Wößmann: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.