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Behinderteneinrichtung im Westjordanland
Nächstenliebe in Nahost

Die Arbeitslosigkeit im Westjordanland ist sehr hoch und Menschen mit Behinderung haben kaum eine Chance, eine Arbeit zu finden. Ein Lichtblick bei der Förderung von Behinderten ist die Einrichtung lifegate in Bait Dschala bei Bethlehem. Geleitet wird sie von von einem Deutschen.

Von Silke Fries | 28.03.2017
    Behinderte palästinensische Jugendliche arbeiten in der Keramik-Werkstatt von Lifegate in Bet Dschala bei Bethlehem im Westjordanland am 09.12.2015. Die 1991 gegründete Organisation ist ein Beispiel für die Umsetzung christlicher Nächstenliebe. Deutsche und Palästinenser arbeiten hier zusammmen, um behinderten Kindern und Jugendlichen im Westjordanland zu helfen.
    Behinderte palästinensische Jugendliche arbeiten in der Keramik-Werkstatt von Lifegate in Bet Dschala bei Bethlehem im Westjordanland (dpa / picture alliance / Sara Lemel)
    Es ist kurz vor acht, Burghard Schunkert steuert wie seit rund 30 Jahren sein Auto durch den israelischen Checkpoint, der hinter Jerusalem und der jüdischen Siedlung Gilo ins Westjordanland führt. Sein Ziel: Bait Dschala, eine mehrheitlich christliche palästinensische Stadt. So ruhig wie an diesem sonnigen Morgen war's nicht immer: Vor allem während der zweiten Intifada war die Fahrt oft nicht ungefährlich. Die Arbeit mit behinderten Menschen in lifegate aber ging weiter.
    "Auf dem Weg zur Arbeit oder auch zurück nach Hause, nach Jerusalem, hab ich manchmal tief geduckt im Auto gesessen, weil auf diese Straße geschossen wurde. Ich hatte auch teilweise 'ne schusssichere Weste an. Wir haben unsere Autos mit Folie beklebt, dass möglichst Steine nicht rein kommen. Wir haben 'ne Kefiya oben auf dem Armaturenbrett gehabt, dass zu erkennen war, dass wir keine Israelis sind. War keine einfache Zeit. Waren viele Wechselbäder."
    Leiter Burghard Schunkert aus Gießen steht neben speziell angefertigten Rollstühlen in Lifegate in Bet Dschala bei Bethlehem im Westjordanland am 09.12.2015. Die 1991 gegründete Organisation ist ein Beispiel für die Umsetzung christlicher Nächstenliebe. Deutsche und Palästinenser arbeiten hier zusammmen, um behinderten Kindern und Jugendlichen im Westjordanland zu helfen. 
    Leiter Burghard Schunkert aus Gießen steht neben speziell angefertigten Rollstühlen in Lifegate in Bet Dschala bei Bethlehem im Westjordanland (dpa / picture alliance / Sara Lemel)
    Noch immer steht am Ortseingang zu Bait Dschala ein bewaffneter israelischer Posten, langsam fährt Burghard Schunkert an den Soldaten vorbei. Durch verwinkelte Gassen lenkt er seinen Kastenwagen, vor einem Kaffeehaus sitzen Männer und grüßen. Strahlend weiß liegt der Neubau der Behinderteneinrichtung am Ende einer Sackgasse in der Sonne. Die Familien legen weite Wege bis hierher zurück, auch der Sohn von Rasha Manasrah wird hierher gebracht.
    Zumeist christlich-palästinensische Mitarbeiter
    "Im ganzen Westjordanland gibt es keine vergleichbare Einrichtung. Die Therapien hier in lifegate sind einmalig. Das ist der Grund, weshalb wir den weiten Weg von Bani Na´im hierher auf uns nehmen. Aber ich glaube, Taym wird hier am besten geholfen."
    Ihr Sohn Taym leidet an einer Fehlbildung des Gehirns. Mittlerweile kann er sich mit Hilfe aufsetzen, er lacht, er ist ein fröhliches Kind. Weil Rasha Manasrah im palästinensischen Erziehungsministerium arbeitet, wird der Vierjährige meist von seinem Vater gebracht. Er macht als Krankenpfleger Nachtschichten und schläft tagsüber in seinem Auto vor dem lifegate-Gebäude. Dass hier fast ausschließlich palästinensische Christen arbeiten – für Rasha Manasrah kein Problem.
    "Mir macht es nichts aus, dass das hier ein christliches Haus ist. Auch als Muslime werden wir hier freundlich aufgenommen. Ich habe das Gefühl, dass man sich hier liebt und schätzt."
    Schätzungen zufolge besucht nicht einmal jedes zweite behinderte Kind im Westjordanland die Schule. Geschätzt 80 Prozent werden nie ihren Lebensunterhalt verdienen können. In Bait Dschala aber alles - von der Frühförderung bis zur Berufsausbildung. Johnny Anastas ist christlicher Palästinenser aus Bethlehem, er leitet die Werkstätten, er führt in die Lederwerkstatt.
    Menschen sollen zur Persönlichkeiten werden
    "Das ist unser eigentliches Ziel: Dass die Menschen selbstständig werden. Sie sollen einmal ihr eigenes Geld verdienen und sogar ihre Familien unterstützen können, denn einige Schüler kommen aus armen Familien. Wir wollen, dass die Menschen zur Persönlichkeiten werden, die unabhängig sind und eigene Entscheidungen treffen können."
    Rasha Elias Abu-Aita arbeitet in der Lederwerkstatt, seit rund 20 Jahren ist er hier. Rasha ist psychisch krank. Gerade bückt sich der große schlanke Mann zu einem kleinen Mädchen und nimmt Maß für orthopädische Schuheinlagen.
    Orthopädieschuhmachermeister Rudolf Schöning aus Hamburg mit seinem palästinensischen Schützung Elias Abu-Aita.
    Orthopädieschuhmachermeister Rudolf Schöning aus Hamburg mit seinem palästinensischen Schützung Elias Abu-Aita. (Deutschlandradio / Silke Fries)
    "Ich fühle mich, als ob das hier mein Zuhause wäre. Ich fühle mich sicher und ich möchte immer hier bleiben. Ich bin jetzt 42 Jahre alt und liebe meine Arbeit und ich möchte noch mehr dazulernen. Menschen sind auf der Welt, um jeden Tag etwas Neues zu lernen."
    Neues hat er auch von Rudolfo gelernt, so nennt er den Orthopädieschuhmachermeister Rudolf Schöning. Die zwei lachen viel miteinander, stanzen Leder, zeichnen Skizzen. Der weißhaarige Rentner aus Hamburg ist nicht zum ersten Mal als Freiwilliger in Bait Dschala.
    Große Pläne für den Ausbau
    "Es geht ja darum, dass man jemand anderem was beibringt, dass er das weitermachen kann. Das ist das eine, da hab ich 'nen guten Mitarbeiter. Und zweitens, das System des Hauses, dass sie versuchen, die Leute auf die Beine zu kriegen. Und es ist nicht nur Verwahrung, denn einige, die verwahren die Kinder nur, und da passiert nichts."
    Die Pläne sind groß in Bait Dschala: Künftig soll für die Hotels in Bethlehem Wäsche gewaschen werden. Der Catering-Service brummt – auch die deutsche Vertretung in Ramallah bestellt hier schon mal Essen. Burghard Schunkert ist klar: Nicht alle Schüler werden später auf eigenen Füßen stehen. Aber er hofft, dass Fälle wie dieser bald der Vergangenheit angehören:
    "Gerade bei Epilepsie zum Beispiel, wenn Menschen epileptische Anfälle bekommen, haben wir große Hilflosigkeit festgestellt in den Familien, die dazu geführt hat, dass hier wirklich Leute in irgendwelche Schuppen eingesperrt wurden. Oder einmal haben wir jemanden mit einer Kette an einem Baum festgebunden gefunden, als wir durch die Dörfer gefahren sind."
    Bezahlung auch mit Olivenöl
    Rund 350 Euro monatlich kostet ein Platz in Bait Dschala, 40 Euro Eigenanteil wird von den Eltern erwartet. Wer sich das nicht leisten kann, kann mit Olivenöl bezahlen, in der Werkstatt helfen oder sticken – die bunte palästinensische Stickerei wird von lifegate in Deutschland verkauft. Den Rest decken Spenden. Zum Beispiel für Rollstühle, Prothesen und die Reisen mit dem Basketballteam.
    "Wir spielen seit Jahren mit israelischen Freunden Rollstuhl-Basketball. Wir mischen die Mannschaften: nicht Israel gegen Palästina, sondern zwei gemischte Teams. Wir waren zusammen eingeladen in die Partnerstadt von Bait Dschala, Bergisch-Gladbach. Die Menschen in Deutschland waren sehr überrascht, dass Palästinenser und Israelis sich so gut verstehen. Sie mussten auch die Spielpläne ändern. Wir haben gesagt: Wir spielen nicht Palästina-Israel, wir spielen in einer Mannschaft. Wenn man den behinderten Menschen hier im Land den Friedensprozess überlassen würde, wären wir schon ein großes Stück weiter."