Jürgen Liminski: Seit Wochen schon tobt in den Medien ein Krieg um die Frage wie gut oder wie schlecht sind Krippen für das Kind. Die Befürworter und Gegner halten sich dabei jeweils Forschungsergebnisse unter die Nase nach dem Motto "Wissenschaft ist unantastbar". Aber wenn die Wissenschaft das eine und jeweils ein Gegenteil behauptet, kann etwas nicht stimmen. Vermutlich ist die Sache mit den Krippen und der Betreuung doch viel differenzierter zu sehen, als es manche Politiker weismachen möchten. Der Diplompädagoge und Betreuungsforscher Burghard Behncke hat darüber jüngst in der Fachzeitschrift "Psyche" einen zusammenfassenden Aufsatz veröffentlicht. Ihn haben wir nun am Telefon. Guten Morgen Herr Behncke.
Burghard Behncke: Guten Morgen Herr Liminski!
Liminski: Herr Behncke, in einer großen Tageszeitung war gestern zu lesen, Professor Fthenakis, der als Papst der Frühkindforschung gelte, bewundere die Familienministerin von der Leyen. Nun könnte man sagen, sag mir wen du bewunderst und ich sage dir wo du stehst. Bewundern Sie auch jemanden?
Behncke: Auf jeden Fall! Auf dieses Thema bezogen möchte ich vor allen Dingen die Hausfrau und Mutter nennen, denn sie findet doch im Augenblick in der Öffentlichkeit, vor allen Dingen in der Politik wenig Anerkennung, obwohl sie wirklich oft großartige und ganz wichtige Arbeit von hohem Wert leistet und dieser Wert wird wie gesagt oft nicht genügend anerkannt, obwohl in der Wissenschaft sehr wohl schon seit langen Jahren.
Liminski: Und in der Wissenschaft selber haben Sie da auch jemanden, den Sie als bewunderungswürdig einstufen würden?
Behncke: Besonders imponiert hat mir der Kinderarzt und auch Pädagoge Herr Matejcek. Das ist ein tschechoslowakischer Forscher gewesen, jetzt verstorben, der auch einen Film gedreht hat mit dem Titel "Kinder ohne Liebe". Er hat es fertig gebracht, aus den damals desolaten Erziehungsbedingungen etwa in Heimen und verschiedenen anderen Erziehungseinrichtungen heraus Bewegung zu bringen, dass man eine radikale Änderung herbeiführte, zum Beispiel die Familien wieder stärkte, Mütter die zu Hause bleiben für drei Jahre unterstützte und auch eine Verbesserung in diesen Einrichtungen erreichte. Das war also hervorragende Arbeit.
Liminski: Herr Behncke, Sie selber forschen seit Jahren im Bereich Bindung, Betreuung und Frühkindalter. Sie kennen die einschlägigen Studien. Dem unkundigen Laien fällt auf, dass in den Medien so eine Art Studienkrieg tobt. Auf jede Studie wird mit einer anderen geantwortet. Ist das intellektuelle Aufrüstung, wissenschaftliche Kraftmeierei oder hat das doch einen ernsten Hintergrund? Welchen Studien kann man trauen?
Behncke: Sie haben sehr wohl Recht. Es gibt viele Einzelstudien von unterschiedlichster Qualität, wo meistens nur spezifische Aspekte erforscht werden, und die Gefahr ist dann, dass die verallgemeinert werden. Eine große Forschung, an der keiner vorbei kommt, ist die NICHD-Studie, die es in den USA seit 1991 gibt. Das ist ein Forschungsprojekt an mehr als 1000 Kindern und ihren Familien, die aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen und kulturellen Bereichen kommen. Man untersucht eben die Wirkung von frühkindlicher, außerfamiliärer Betreuung, ist jetzt so weit, dass man Ergebnisse bis zum Schuleintritt veröffentlicht hat.
Liminski: Etwas was berufstätige Eltern besonders interessiert sind die Zeitangaben. Professor Fthenakis zum Beispiel sagt in einem Zeitungsinterview, es gebe eine große amerikanische Studie, eben die von Ihnen gerade zitierte Studie namens NICHD, nach der außerfamiliäre Betreuung auch in Krippen den Kindern nicht schade, diese sogar stärke. Deshalb befürworte die Forschung die Fremdbetreuung ab sechs Monaten. Gibt es diese einheitliche Linie in der Forschung überhaupt?
Behncke: Nein, keinesfalls gibt es die. Ich kenne zwei kürzlich veröffentlichte Interviews mit Herrn Fthenakis und in einem meint er, dass Forschung eine Fremdbetreuung mit einem Kind ab einem halben Jahr befürwortet. Er persönlich rät dann zu einer Fremdbetreuung ab einem Jahr. Er zitiert dann auch gerne die NICHD-Studie. Das Problem ist, dass er doch eine Auswahl von Ergebnissen trifft, die sich nur auf Einrichtungen von hoher Qualität beziehen, die es sowohl in den USA wie auch bei uns doch nur sehr selten gibt, und andere Ergebnisse werden verschwiegen, die dann teilweise auf Risiken dieser Fremdbetreuung hindeuten.
Ich will nur zwei Punkte kurz nennen. Je früher ein Kind in Fremdbetreuung kommt und je länger pro Woche und in den Jahren es fremdbetreut wird, umso mehr Verhaltensauffälligkeiten können solche Kinder zeigen. Das Risiko ist umso größer, dass dort schwieriges Verhalten erkennbar wird. Und genauso: Je früher und je länger eine Fremdbetreuung vorhanden ist, umso mehr kann eine Mutter-Kind-Beziehung leiden, in den ersten drei Jahren bei ganz normalen Mutter-Kind-Beziehungen. Ein besonderes Risiko ist dann vorhanden, wenn Mütter selbst schon relativ unsensibel von vornherein sind. Dann kann diese Beziehung noch schlechter werden, sogar schon ab 10 Stunden Fremdbetreuung pro Woche.
Liminski: Also ist das doch individuell verschieden?
Behncke: Es ist individuell sehr verschieden, aber man muss, wenn man Forschungsergebnisse darstellt, auch die Risiken nennen. Es muss dann jeweils auch geprüft werden bei dem jeweiligen Kind, wie es auf Fremdbetreuung reagiert.
Liminski: Forschung und Wissenschaft funktioniert heute grob gesagt nach dem Denkmuster: Jetzt machen wir mal eine Untersuchung und schauen was herauskommt. Gibt es denn Untersuchungen im großen Stil, also nicht nur bei Naturvölkern, aus denen man dann allgemeine Erkenntnisse auch für unsere Verhältnisse in Industrieländern ableiten könnte?
Behncke: Ich habe ja eben diese NICHD-Studie genannt. Diese Studie ist langfristig angelegt, aber sie haben erst Zwischenergebnisse. Dann fällt mir im Augenblick eine Studie ein, die allerdings dann doch in einen anderen Kulturkreis in Hawaii über 40 Jahre gemacht worden ist, wo man Kinder jetzt nicht speziell auf Krippenerziehung untersucht hat, sondern die aus schwierigen, teilweise desolaten häuslichen Verhältnissen kamen. Da gab es eben einen Teil der Kinder, die sich trotzdem recht gut entwickelt haben. Warum? Da hat man festgestellt: Diese Kinder haben eine Bezugsperson gefunden, die ihnen relativ früh eine individuelle gute Zuwendung gegeben hat. Das waren Bedingungen, aus denen heraus sie sich dann auch positiv entwickeln konnten.
Liminski: Das Baby und Kleinkind lebt mit und von Emotionen. Das macht ja auch seine Bindung aus. Welche Rolle spielen denn die Emotionen als Forschungsobjekt?
Behncke: Die Emotionen als Forschungsobjekt werden mehr und mehr erforscht und gewinnen an Bedeutung. Man weiß gerade auch um den hohen Stellenwert von einem emotionalen Austausch für die Entwicklung von Kleinkindern. Das bestätigt übrigens auch die Hirnforschung. Die Zuwendung, die ein Kleinkind erfährt, Körperkontakt, liebevolle Worte, Einfühlung, Engagement, Stützung, sind ganz wesentlich für ein Kind und man weiß, dass es wenn es diese kontinuierlich bekommt dann Schritt für Schritt in die Welt hinausgehen kann mit Vertrauen, Optimismus und Mut und sich dann auch erprobt in der Welt und Erfolg haben kann. Man weiß aber auch umgekehrt, wenn das nicht vorhanden ist, dass dann Schwierigkeiten auftauchen können, die oft gerade im emotionalen Bereich später, wenn das Kind älter ist, sehr schwer zu korrigieren sind.
Liminski: Weiche Faktoren für ein hartes Leben sozusagen. Das war der Betreuungsforscher Burghard Behncke. Besten Dank für das Gespräch, Herr Behncke.
Behncke: Danke auch!
Burghard Behncke: Guten Morgen Herr Liminski!
Liminski: Herr Behncke, in einer großen Tageszeitung war gestern zu lesen, Professor Fthenakis, der als Papst der Frühkindforschung gelte, bewundere die Familienministerin von der Leyen. Nun könnte man sagen, sag mir wen du bewunderst und ich sage dir wo du stehst. Bewundern Sie auch jemanden?
Behncke: Auf jeden Fall! Auf dieses Thema bezogen möchte ich vor allen Dingen die Hausfrau und Mutter nennen, denn sie findet doch im Augenblick in der Öffentlichkeit, vor allen Dingen in der Politik wenig Anerkennung, obwohl sie wirklich oft großartige und ganz wichtige Arbeit von hohem Wert leistet und dieser Wert wird wie gesagt oft nicht genügend anerkannt, obwohl in der Wissenschaft sehr wohl schon seit langen Jahren.
Liminski: Und in der Wissenschaft selber haben Sie da auch jemanden, den Sie als bewunderungswürdig einstufen würden?
Behncke: Besonders imponiert hat mir der Kinderarzt und auch Pädagoge Herr Matejcek. Das ist ein tschechoslowakischer Forscher gewesen, jetzt verstorben, der auch einen Film gedreht hat mit dem Titel "Kinder ohne Liebe". Er hat es fertig gebracht, aus den damals desolaten Erziehungsbedingungen etwa in Heimen und verschiedenen anderen Erziehungseinrichtungen heraus Bewegung zu bringen, dass man eine radikale Änderung herbeiführte, zum Beispiel die Familien wieder stärkte, Mütter die zu Hause bleiben für drei Jahre unterstützte und auch eine Verbesserung in diesen Einrichtungen erreichte. Das war also hervorragende Arbeit.
Liminski: Herr Behncke, Sie selber forschen seit Jahren im Bereich Bindung, Betreuung und Frühkindalter. Sie kennen die einschlägigen Studien. Dem unkundigen Laien fällt auf, dass in den Medien so eine Art Studienkrieg tobt. Auf jede Studie wird mit einer anderen geantwortet. Ist das intellektuelle Aufrüstung, wissenschaftliche Kraftmeierei oder hat das doch einen ernsten Hintergrund? Welchen Studien kann man trauen?
Behncke: Sie haben sehr wohl Recht. Es gibt viele Einzelstudien von unterschiedlichster Qualität, wo meistens nur spezifische Aspekte erforscht werden, und die Gefahr ist dann, dass die verallgemeinert werden. Eine große Forschung, an der keiner vorbei kommt, ist die NICHD-Studie, die es in den USA seit 1991 gibt. Das ist ein Forschungsprojekt an mehr als 1000 Kindern und ihren Familien, die aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen und kulturellen Bereichen kommen. Man untersucht eben die Wirkung von frühkindlicher, außerfamiliärer Betreuung, ist jetzt so weit, dass man Ergebnisse bis zum Schuleintritt veröffentlicht hat.
Liminski: Etwas was berufstätige Eltern besonders interessiert sind die Zeitangaben. Professor Fthenakis zum Beispiel sagt in einem Zeitungsinterview, es gebe eine große amerikanische Studie, eben die von Ihnen gerade zitierte Studie namens NICHD, nach der außerfamiliäre Betreuung auch in Krippen den Kindern nicht schade, diese sogar stärke. Deshalb befürworte die Forschung die Fremdbetreuung ab sechs Monaten. Gibt es diese einheitliche Linie in der Forschung überhaupt?
Behncke: Nein, keinesfalls gibt es die. Ich kenne zwei kürzlich veröffentlichte Interviews mit Herrn Fthenakis und in einem meint er, dass Forschung eine Fremdbetreuung mit einem Kind ab einem halben Jahr befürwortet. Er persönlich rät dann zu einer Fremdbetreuung ab einem Jahr. Er zitiert dann auch gerne die NICHD-Studie. Das Problem ist, dass er doch eine Auswahl von Ergebnissen trifft, die sich nur auf Einrichtungen von hoher Qualität beziehen, die es sowohl in den USA wie auch bei uns doch nur sehr selten gibt, und andere Ergebnisse werden verschwiegen, die dann teilweise auf Risiken dieser Fremdbetreuung hindeuten.
Ich will nur zwei Punkte kurz nennen. Je früher ein Kind in Fremdbetreuung kommt und je länger pro Woche und in den Jahren es fremdbetreut wird, umso mehr Verhaltensauffälligkeiten können solche Kinder zeigen. Das Risiko ist umso größer, dass dort schwieriges Verhalten erkennbar wird. Und genauso: Je früher und je länger eine Fremdbetreuung vorhanden ist, umso mehr kann eine Mutter-Kind-Beziehung leiden, in den ersten drei Jahren bei ganz normalen Mutter-Kind-Beziehungen. Ein besonderes Risiko ist dann vorhanden, wenn Mütter selbst schon relativ unsensibel von vornherein sind. Dann kann diese Beziehung noch schlechter werden, sogar schon ab 10 Stunden Fremdbetreuung pro Woche.
Liminski: Also ist das doch individuell verschieden?
Behncke: Es ist individuell sehr verschieden, aber man muss, wenn man Forschungsergebnisse darstellt, auch die Risiken nennen. Es muss dann jeweils auch geprüft werden bei dem jeweiligen Kind, wie es auf Fremdbetreuung reagiert.
Liminski: Forschung und Wissenschaft funktioniert heute grob gesagt nach dem Denkmuster: Jetzt machen wir mal eine Untersuchung und schauen was herauskommt. Gibt es denn Untersuchungen im großen Stil, also nicht nur bei Naturvölkern, aus denen man dann allgemeine Erkenntnisse auch für unsere Verhältnisse in Industrieländern ableiten könnte?
Behncke: Ich habe ja eben diese NICHD-Studie genannt. Diese Studie ist langfristig angelegt, aber sie haben erst Zwischenergebnisse. Dann fällt mir im Augenblick eine Studie ein, die allerdings dann doch in einen anderen Kulturkreis in Hawaii über 40 Jahre gemacht worden ist, wo man Kinder jetzt nicht speziell auf Krippenerziehung untersucht hat, sondern die aus schwierigen, teilweise desolaten häuslichen Verhältnissen kamen. Da gab es eben einen Teil der Kinder, die sich trotzdem recht gut entwickelt haben. Warum? Da hat man festgestellt: Diese Kinder haben eine Bezugsperson gefunden, die ihnen relativ früh eine individuelle gute Zuwendung gegeben hat. Das waren Bedingungen, aus denen heraus sie sich dann auch positiv entwickeln konnten.
Liminski: Das Baby und Kleinkind lebt mit und von Emotionen. Das macht ja auch seine Bindung aus. Welche Rolle spielen denn die Emotionen als Forschungsobjekt?
Behncke: Die Emotionen als Forschungsobjekt werden mehr und mehr erforscht und gewinnen an Bedeutung. Man weiß gerade auch um den hohen Stellenwert von einem emotionalen Austausch für die Entwicklung von Kleinkindern. Das bestätigt übrigens auch die Hirnforschung. Die Zuwendung, die ein Kleinkind erfährt, Körperkontakt, liebevolle Worte, Einfühlung, Engagement, Stützung, sind ganz wesentlich für ein Kind und man weiß, dass es wenn es diese kontinuierlich bekommt dann Schritt für Schritt in die Welt hinausgehen kann mit Vertrauen, Optimismus und Mut und sich dann auch erprobt in der Welt und Erfolg haben kann. Man weiß aber auch umgekehrt, wenn das nicht vorhanden ist, dass dann Schwierigkeiten auftauchen können, die oft gerade im emotionalen Bereich später, wenn das Kind älter ist, sehr schwer zu korrigieren sind.
Liminski: Weiche Faktoren für ein hartes Leben sozusagen. Das war der Betreuungsforscher Burghard Behncke. Besten Dank für das Gespräch, Herr Behncke.
Behncke: Danke auch!