Freitag, 19. April 2024

Archiv

Frauenfußball in England
EM-Sieg als Wendepunkt

Die Ekstase durch den EM-Titel der englischen Fußballerinnen wollen die Verantwortlichen auch in den Vereinsbetrieb transportieren. Erste Zeichen dafür sind positiv, der englische Frauenfußball ist möglicherweise an einem Punkt, den er seit Jahren anvisiert hat.

Von Hendrik Buchheister | 18.09.2022
Finale Frauen-Fußball-EM 2022: Jubel beim englischen Team über den Titelgewinn.
Finale Frauen-Fußball-EM 2022:3 Das englische Frauen-Nationalteam feiert mit dem Siegerpokal. (dpa-news/Sebastian Christoph Gollnow)
Ekstase bei BBC-Kommentatorin Robyn Cowen nach dem 2:1-Finalsieg nach Verlängerung gegen Deutschland. Ekstase bei den mehr als 87.000 Zuschauern im Wembley-Stadion in London. Und große Euphorie über Englands ersten Europameistertitel: Die Heim-EM im Sommer hat einen Boom des Fußballs der Frauen in England ausgelöst.
Nationalspielerinnen wie Beth Mead, Alessia Russo oder Chloe Kelly, die Siegtorschützin im Finale gegen Deutschland, wurden zu nationalen Heldinnen. Das Turnier brach Zuschauerrekorde. Auch das Fernsehen meldete Rekord-Einschaltquoten. Die Hoffnung ist groß, dass die EM mit dem glücklichen Ende für England ein Wendepunkt für den englischen Fußball der Frauen ist, dass die landesweite Begeisterung bestehen bleibt.

Gavin Makel: "Moment, auf den wir jahrelang hingearbeitet haben"

An diesem Wochenende hat die Saison der vollprofessionellen englischen Liga begonnen, der Women’s Super League, nach dem Tod der Queen mit einwöchiger Verspätung. Die Vereine wollen die EM-Euphorie nutzen, um den Fußball langfristig voranzutreiben.
Die Ausgangslage ist so gut wie noch nie, sagt Gavin Makel, der als Geschäftsführer für den Fußball der Frauen bei Manchester City verantwortlich ist: “Das erste, was man sagen muss, ist, dass wir im Moment wohl am Höhepunkt des Fußballs der Frauen in England sind. So groß waren die Möglichkeiten noch nie. Es fühlt sich fast so an, dass wir an dem Moment sind, auf den wir jahrelang hingearbeitet haben. Schon vor der EM ging es aufwärts mit einem neuen TV-Vertrag mit Sky und der BBC und Übertragungen im frei empfangbaren Fernsehen. Die Lust auf den Sport und die Sichtbarkeit sind ohnehin schon gewachsen.”
Jetzt geht es darum, den besonderen Augenblick zu nutzen, den EM-Hype nicht versanden zu lassen. Ob das gelingt, ist schwer abzuschätzen. Schon zweimal stand Englands Fußball an einem ähnlichen Punkt: 2012, nach den Olympischen Spielen in London mit Rekordzuschauerzahlen bei den Spielen des britischen Teams im Wembley-Stadion, und 2019, nach Englands Einzug ins Halbfinale der WM in Frankreich. Beide Male war die Begeisterung nur kurzfristig.

Rekorde beim Dauerkartenverkauf

Die Vereine der Women’s Super League sind gefordert, damit das diesmal anders ist, sagt Manchester Citys Geschäftsführer Makel: “Wir müssen sicherstellen, dass das Erlebnis am Spieltag stimmt, dass die Inhalte stimmen, dass die Kommunikation stimmt, dass die Leute wissen, wo man uns findet, dass sie uns leicht finden. Sie sollen einen guten Tag haben. Wir wollen nicht, dass sie nur für einzelne Momente kommen. Sie sollen regelmäßig kommen und eine Affinität zum Verein und dem Fußball der Frauen spüren.”
Erste Anzeichen deuten darauf hin, dass es gelingen könnte, die EM-Begeisterung in den Alltag zu überführen. Viele Vereine der Women’s Super League haben zur neuen Saison Rekorde beim Verkauf von Dauerkarten gemeldet. Bei Manchester City zum Beispiel sind laut Gavin Makel doppelt so viele Dauerkarten weggegangen wie in der vergangenen Saison, nämlich rund 1500. Für das Nordlondon-Derby zwischen dem FC Arsenal und Tottenham Hotspur in Arsenals Männerstadion kommende Woche Samstag sind schon mehr als 40.000 Karten verkauft worden. Der Zuschauerrekord für ein Spiel der Women’s Super League liegt bei 38.200. Auch der Hype um das Nationalteam hält an. Das Freundschaftsspiel gegen Weltmeister USA im Oktober im Wembley-Stadion war innerhalb von 24 Stunden ausverkauft.
Wie in Deutschland wird auch in England darüber diskutiert, mehr Ligaspiele in die großen Stadien der Männer zu verlegen. Gavin Makel meint, dass das hin und wieder eine gute Idee sei. Die Basis für dauerhaftes Wachstum müsse aber sein, die kleineren Frauenstadien verlässlich zu füllen: “Wir möchten erstmal regelmäßiger das Academy Stadium ausverkaufen, in dem wir normalerweise spielen, bevor wir darüber reden, öfter in den Männer-Stadien zu spielen. Es gibt natürlich operative Herausforderungen, wenn es zum Beispiel darum geht, die Spiele der Frauen mit dem Kalender der Männer in Einklang zu bringen, vor allem, wenn unsere Männer neben den nationalen Wettbewerben auch in der Champions League spielen. Wir spielen das Manchester-Derby im Dezember in unserem Männer-Stadion. Das ist der richtige Weg. 2019 haben wir das schonmal gemacht. Damals haben wir einen Zuschauerrekord mit mehr als 31.000 Zuschauern aufgestellt. Jetzt ist ein guter Moment, um das wieder zu versuchen und zu sehen, wo wir landen.”

Karen Carney soll Möglichkeiten ausloten

Die Women’s Super League ist zentral für die Entwicklung des Fußballs der Frauen in England, doch auch veränderte Strukturen sollen helfen. Die Regierung hat die 144-malige Nationalspielerin Karen Carney mit einer umfassenden Untersuchung des Sports beauftragt. Wie können mehr Zuschauerinnen und Zuschauer gewonnen werden? Wie kann das Spiel besser vermarktet werden? Wie ist es mit der Bezahlung der Spielerinnen? Solche Fragen soll Carney klären.
Der englische Verband, die FA, brachte vor knapp zwei Jahren eine Reform mit ambitionierten Zielen auf den Weg. Unter anderem sollen alle Mädchen im Grundschulalter in England bis 2024 die Möglichkeit bekommen, Fußball zu spielen, im Sportunterricht und nach der Schule. Im Moment bieten weniger als zwei Drittel der Schulen in England gleiche Möglichkeiten für Jungen und Mädchen.
Ein Ziel der Reform war übrigens auch, dass England ein großes Turnier gewinnt. Das wurde schon erreicht mit dem Triumph bei der EM.