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Frauenfußball in England
Kein Spiel für alle

Mit Ausnahme des französischen Nationalteams repräsentiert keine Auswahl bei der EM die Vielfalt ihrer Gesellschaften. Besonders deutlich wird das beim englischen Team, dessen Startformation komplett weiß ist.

Von Ronny Blaschke |
Die englische Frauen-Nationalmannschaft
Die englische Nationalmannschaft (AFP/Damien Meyer)
Im europäischen Fußball gilt England als Sinnbild für die Förderung von Mädchen und Frauen. Doch nicht alle können daran teilhaben. Bei der WM 2007 gehörten fünf schwarze Spielerinnen zum englischen Team – jetzt, bei der heimischen EM, sind es nur noch drei: Jessica Carter, Nikita Parris und Demi Stokes – eine sportlich prägende Rolle spielt keine von ihnen.

Kaum Vorbilder vorhanden

Das sei ein Problem, schreibt die frühere Nationalspielerin Anita Asante in einem Gastbeitrag für den Guardian: „Jungen Mädchen, die niemanden sehen, der so aussieht wie sie, fehlen die Heldinnen, denen sie nacheifern können.“ Dieses Verhältnis steht im starken Kontrast zum Männerfußball.
Bei der Europameisterschaft im vergangenen Jahr gehören zehn schwarze Spieler zum englischen Team. Laut dem Netzwerk „Black Footballers Partnership“ sind in der Premier League 43 Prozent der Spieler nicht weiß. In der Women‘s Super League, der höchsten Spielklasse der Frauen, sind dagegen nur 9,7 Prozent der Spielerinnen nicht weiß. Anita Asante formuliert es im Guardian so: „Das englische Scouting-System für Frauen hat nicht genügend Leute vor Ort. Es mangelt an Ressourcen und Einfallsreichtum, um an den richtigen Stellen zu suchen.“
Eine Konferenz in Manchester, wo im Nationalen Fußballmuseum über das Thema diskutiert wurde.
Eine Konferenz in Manchester, wo im Nationalen Fußballmuseum über das Thema Diversität diskutiert wurde. (Deutschlandradio/Ronny Blaschke)

Talentstützpunkt außerhalb der Großstädte

Die zunehmende Professionalisierung führt also nicht zu diverseren Teams. Im Gegenteil: Als sie vor zwanzig Jahren ihre Karriere beginnt, fehlen zwar Strukturen und Geld – die wichtigsten Teams seien aber divers gewesen, schildert Asante. Als 2010 die Women’s Super League eingeführt wird, übernimmt der Frauenfußball aber zunehmend die Fördermodelle aus der Premier League, berichtet die Sportsoziologin Anika Leslie-Walker: „Einige Talentstützpunkte und Fußballinternate liegen weit außerhalb der großen Städte. Das erschwert den Zugang für Kinder aus Familien mit niedrigem Einkommen. Es gibt viele Mädchen aus Minderheiten, die gern Fußball spielen. Aber oft fehlt ihnen der Unterstützerkreis, um den nächsten Schritt zu gehen.“
Hinzu kommen „kulturelle Barrieren“, wie es Eartha Pond formuliert. Die Sportlehrerin hatte einst selbst gespielt, unter anderem für Chelsea, Everton und Tottenham. Jetzt berät sie den englischen Fußballverband FA bei der Frauenförderung. Sie sagt: „Es ist nicht selbstverständlich, dass Eltern aus schwarzen Communities ihre Kinder wochenlang woanders übernachten lassen. Daher sollten Vereine und Verbände behutsam mit den Familien sprechen. Damit sich auch die Eltern wohlfühlen, wenn sie ihre Töchter in fremde Obhut geben.“
Viele Eltern und Großeltern sind nach dem Zweiten Weltkrieg aus den Karibikstaaten, Westafrika oder Südasien nach Großbritannien gekommen – und sie erlebten oft Rassismus. Bis in die 90er-Jahre hinein lernen sie den Fußball als Umfeld kennen, in dem die rechtsextreme National Front kräftige Männer rekrutieren will. Und in dem die wenigen schwarzen Spieler mit Bananen beworfen werden. 

Nationaltrainer diskriminiert Spielerin

Im neuen Jahrtausend wollten Premier League und FA das Vertrauen schwarzer Menschen zurückgewinnen, mit härteren Sanktionen gegen Rassismus und mit Prävention. Die Zahl schwarzer Spieler steigt. Doch in den Entscheidungspositionen, bei Managern, Trainern, Schiedsrichtern, verläuft der Weg zu mehr Diversität schleppend.
Das gilt auch für den Mädchenfußball, berichtet die ehemalige Profispielerin Fern Whelan: „Die Gegend, wo ich aufgewachsen bin, war überwiegend weiß. In meinen Jugendteams war ich meist die einzige schwarze Spielerin. Wir hatten damals noch keine starke Stimme. Als ich später für England spielte, hat sich das geändert. Dort habe ich Spielerinnen wie Lianne Sanderson, Rachel Yankey und Mary Phillip kennengelernt. Wir haben uns gegenseitig unterstützt. Die jungen Spielerinnen von heute brauchen ebenfalls ein Umfeld, in dem sie sich wohlfühlen.“
Vor zehn Jahren bestreitet Fern Whelan drei Länderspiele für England. Die Nationaltrainerin ist damals Hope Powell, die selbst Rassismus erlebt hatte. Powell bleibt 15 Jahre im Amt und begeistert viele Mädchen für Fußball. Anders als ihr Nachfolger Mark Sampson. 2017 sagt die Nationalspielerin Eniola Aluko, dass Sampson sie rassistisch beleidigt habe. Danach fühlt sich Aluko als Opfer nicht ausreichend unterstützt.

Neues Mentorenprogramm

Ihre frühere Mitspielerin Fern Whelan will das Vertrauen mit konkreten Ideen zurückgewinnen. Sie arbeitet inzwischen für die Profivereinigung PFA und sagt: „Wir möchten die nächste Generation junger Spielerinnen aus ethnisch diversen Hintergründen begeistern. Dafür wollen wir in einer Kampagne den Fokus auf Spielerinnen legen, die bereits erfolgreich sind. Zudem wollen wir ein Mentorenprogramm auflegen, in dem junge Spielerinnen von den Erfahrenen lernen können.“ 
In England gibt es mehr Projekte für Diversität als in Deutschland, Schweden oder den Niederlanden, also in Ländern, in denen die Fußballerinnen ebenfalls nicht die Vielfalt spiegeln. Im deutschen Team spielen zum Beispiel nur zwei Spielerinnen mit Migrationshintergrund.