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Belgien demonstriert für illegale Einwanderer

Spanien sorgte mit seiner Legalisierungskampagne im Jahr 2005 für viel Aufmerksamkeit für die Situation illegaler Flüchtlingen. Mehr als 700.000 Menschen nutzten damals die Gelegenheit, sich endlich gültige Papiere zu besorgen. In Belgien sollen rund 200.000 so genannte Sans-Papiers leben. Jetzt machen immer mehr durch Demonstrationen auf ihre Situation aufmerksam und werden dabei von den Belgiern unterstützt. Ein Beitrag von Ruth Reichstein.

19.06.2006
    Die Stimmung war ausgelassen am Brüsseler Südbahnhof. Wenn der Anlass nicht so ernst gewesen wäre, hätte man die Menschenmasse auch für eine riesige Party halten können: Menschen aus allen Herren Ländern tanzen zusammen, schwenken bunte Tücher und klatschten in die Hände. Aber die Forderungen auf den Plakaten war klar: Legalisiert die Illegalen! Gebt ihnen ihre Identität zurück!

    Rund 200.000 Illegale leben in Belgien. Bis vor kurzem war das eine eher verschwiegene Realität. Aber seit einigen Monaten kommen die Sans-Papiers aus ihren Verstecken und besetzen nach und nach mehr als 40 Kirchen, Moscheen und Parteizentralen in ganz Belgien, um auf ihre verzweifelte Situation aufmerksam zu machen.

    Einer davon ist Ali, der seinen richtigen Namen lieber nicht nennen will. Er ist vor knapp sechs Jahren aus Nigeria gekommen – dort sei er wegen seiner politischen Ansichten verfolgt worden, sagt er. Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Seitdem lebt er in der Illegalität.

    "Ich habe ein sehr schwieriges Leben. Ich muss meine Frau und zwei Kinder ernähren. Meine Miete kostet 500 Euro. Ich habe keine Papiere, kein Einkommen. Ich bin also gezwungen, schwarz zu arbeiten und mich ausbeuten zu lassen."

    Ali zieht seinen Geldbeutel aus der Tasche: fünf Euro hat er noch für die kommenden Tage. So wie ihm geht es den meisten Sans-Papiers, die zur Demonstration gekommen sind. Schon im Februar haben sie ein erstes Mal für ihre Legalisierung demonstriert. Seitdem ist die Bewegung stark angewachsen – auch mit der Unterstützung der Belgier.

    "Ich bin hier, weil ich denke, dass es meine Pflicht ist, die Illegalen zu unterstützen. Warum haben die nicht das Recht, in unserem Land zu sein? Wir können nicht tolerieren, dass sie unter menschenunwürdigen Bedingungen leben. Wenn ich gezwungen wäre, woanders hinzugehen und so behandelt würde wie sie, das wäre schrecklich."

    Auch bei den Besetzungen im ganzen Land helfen die Nachbarn den Illegalen, erzählt dieser Priester, der selbst einige Afrikaner in seiner Kirche wohnen lässt:

    "Ich bin nicht mit allem einverstanden, aber ihre Forderung nach Papieren ist legitim. Und das meinen immer mehr Belgier – auch Nachbarn rund um meine Kirche, die helfen. Da sage ich mir: Die Brüderlichkeit hat gewonnen!"

    Die Forderungen der Illegalen sind klar: Sie wollen ihre Papiere und sie wollen ein klares Asylgesetz, sagt Oskar, der sich seit Jahren für die Illegalen einsetzt. Seine Eltern kommen aus Chile, aber er hat die belgische Staatsbürgerschaft:

    "Zurzeit ist das Gesetz sehr wage. Man versteht nicht, nach welchen Kriterien Asyl vergeben wird. Es hängt also sehr von der Entscheidung des Ministers ab, wer bleiben darf. Wir wollen ein klares, transparentes Gesetz mit festen Kriterien für die Regularisierung. Und eine unabhängige Kommission soll darüber entscheiden. "

    Aber der belgische Innenminister Patrick Dewael lehnt das bisher strikt ab. Im Gegenteil: Er will das Asylgesetz weiter verschärfen, die Duldung der Illegalen erschweren und sogar diejenigen mit Gefängnis bestrafen, die ihnen helfen.

    Bis zur Entscheidung im Parlament äußert sich Dewael nicht mehr vor dem Mikrofon zu dem Projekt. Diese Woche soll es eine weitere Debatte mit den Abgeordneten geben.

    Die Organisationen, die die Illegalen unterstützen, haben unterdessen fünf Kriterien ausgearbeitet, nach denen entschieden werden soll, ob eine Person in Belgien bleiben darf oder nicht. Besonders diejenigen, die schon seit mehr als zehn Jahren im Land sind, hier eine Familie gegründet haben oder einen festen Arbeitsplatz haben, sollen nicht mehr ausgewiesen werden.

    Doch ob diese Forderung von der Politik aufgenommen wird, ist ungewiss. Solange wird sich am Status der Sans-Papiers nichts ändern. Nach der Demonstration am Samstag haben sich die meisten Illegalen schnell in ihre Verstecke oder Kirchen zurück gezogen – zu groß ist die Angst, von der Polizei festgehalten zu werden, sagt Ali:

    "Die Angst ist alltäglich. Ich habe keine Papiere bei mir und immer, wenn ich einen Polizisten sehe, bekomme ich Gänsehaut. Wenn ich am Bahnhof bin und zwei Polizisten entdecke, befürchte ich, dass sie mich nach meinen Papieren fragen. Wir haben ständig Angst, ins Gefängnis zu wandern oder sogar ausgewiesen zu werden!"