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Belgien
Ringen um regierungsfähige Mehrheit

Fast drei Monate nach der Parlamentswahl beginnen in Belgien jetzt die Koalitionsverhandlungen. Angestrebt wird ein Mitte-Rechts-Bündnis aus vier Parteien. Von einer Kamikaze-Regierung sprechen vor allem die frankophonen Belgier, die die Beteiligung der Neu-Flämischen Allianz beunruhigt.

Von Annette Riedel | 18.08.2014
    Die Neu-Flämische Allianz mit ihrem Vorsitzenden Bart de Wever (M.) feiert ihren Sieg bei der Parlamentswahl in Belgien.
    Die flämische N-VA des charismatischen Antwerpener Bürgermeisters, Bart De Wever (M.), war der eigentliche Wahlsieger. (dpa / picture-alliance / Olivier Hoslet)
    Schwedische Koalition, politische Abenteurer, Kamikaze-Regierung - je nach eigener politischer oder regionaler Verortung etikettiert die belgische Öffentlichkeit die sich abzeichnende neue föderale Regierung sehr unterschiedlich. Wenn sie sich so zusammensetzt, wie sich vor den heute offiziell beginnenden Koalitionsverhandlungen abzeichnet, wird sie einige Besonderheiten aufweisen.
    Das fing schon bei den Sondierungsgesprächen an.
    "L'image de jour c'était deux hommes..."
    Vom Bild des Tages sprach die Moderatorin der französisch-sprachigen Fernsehnachrichten: Der belgische König hatte erstmal nicht einen, sondern zwei Berichterstatter beauftragt, Koalitionschancen zu sondieren.
    "Kris Peters et Charles Michel..."
    Der Eine ist Kris Peeters.
    "Wir haben bilateral mit allen gesprochen."
    Christdemokrat und Liberaler führten Sondierungsverhandlungen
    Kris Peeters, flämischer Christdemokrat, der CD&V, langjähriger Ministerpräsident in Flandern, aussichtsreichster Aspirant, neuer belgischer Premierminister zu werden – und damit Nachfolger von Elio DiRupo von den französisch-sprachigen Sozialisten.
    Der zweite, vom König Christdemokrat Peeters an die Seite Gestellte, ist er: Charles Michel, von den französisch-sprachigen Liberalen, der MR. Peeters CD&V und Michels MR waren zweite und dritte Sieger bei den Wahlen, haben 20 bzw. 18 von 150 Sitzen im föderalen Parlament gewonnen.
    Die flämische N-VA des charismatischen Antwerpener Bürgermeisters, Bart De Wever, war der eigentliche Wahlsieger, gewann 33 Sitze. Er war mit seinen Sondierungsbemühungen für eine regierungsfähige Mehrheit gescheitert. Es fanden sich nicht genug Koalitionswillige, die mit ihm eine Regierung schmieden wollten. Zu sehr ist sein Name verbunden mit Bestrebungen, den belgischen Staat tendenziell mehr oder weniger in seine Einzelteile, das flämische Flandern und die französisch-sprachige Wallonie zu zerlegen.
    Nun wird aber letztlich wohl doch seine N-VA - Besonderheit Nummer zwei - erstmals auf der nationalen Ebene mitregieren, in einer Mitte-Rechts Koalition. Die Koalitionäre in spe eint, dass sie die Sozialisten erstmals seit 1988 in die Opposition schicken wollen. Das wäre Besonderheit Nummer Drei. N-VA, CD&V, MR, sowie die vierte Partei im Bunde, die Open VLD, die flämische Liberalen, Schwesterpartei der MR, sie passen wirtschafts- und sozialpolitisch ganz gut zusammen. Findet auch De Wever:
    "Ich denke, es besteht genug gegenseitiges Vertrauen, um zu einer kohärenten Regierungsbildung zu kommen. Die Parteien passen logisch zueinander, sie ergänzen sich. Natürlich gibt es Differenzen, die aber zu machbaren Kompromissen für eine gute Regierung führen sollten."
    "Schwedische" Koalition
    Schwedisch kann man die Koalition nennen, weil sie an die schwedische Fahne erinnert – gelb wie die Farbe der N-VA, blau ist die Farbe der Liberalen und das Kreuz Symbol für die Christdemokraten. Kamikaze-Koalition nennen sie all diejenigen Belgier, vor allem die Frankophonen, die die Beteiligung der N-VA de Wevers beunruhigt. Die Frankophonen fühlen sich marginalisiert, weil es nur mehr eine ihrer Parteien im angestrebten neuen Vierer-Bündnis geben wird. In der noch amtierenden Regierung sind drei von sechs Parteien französischsprachig. Zudem wird Charles Michels MR zwar bei sämtlichen Gesetzen ein Vetorecht haben, kann aber de facto eigentlich nur für 25 Prozent der Frankophonen sprechen, die sie gewählt haben. Michel muss sich zudem des Vorwurfs erwehren, dass er wortbrüchig geworden ist, hatte er doch im Wahlkampf noch ausgeschlossen, mit der N-VA gemeinsame Sache zu machen:
    "Natürlich beteiligen wir uns nicht an einem Projekt zur Auflösung Belgiens. Aber es geht ja hier darum, dass sich Parteien zusammenfinden, die Lust haben, gemeinsame Sache bei dringend anstehenden Reformen zu machen. Und ich stelle fest, dass zuletzt alle Akteure der N-VA betont haben, sich auf sozio-ökonomische Fragen konzentrieren zu wollen."
    Und derer gibt es viele. Der mögliche künftige belgische Premier Peeters benennt sie:
    "Wir werden heute mit den konkreten Verhandlungen über die Themen Haushalt, Konkurrenzfähigkeit, Pensionen, soziale Sicherheit für die Regierungsvereinbarung beginnen."
    "Auch für diese Entscheidung werden wir noch einige Wochen Zeit benötigen, um gute Beschlüsse zu fassen, und das wird auch geschehen."
    In der Logik der Verteilung von Positionen zwischen flämischsprachigen und französischsprachigen Politikern müsste eigentlich der amtierende Außenminister Didier Reynders von der MR der Kandidat mit den besten Chancen auf das Amt sein.