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Bergbau in Peru
Hunger nach Rohstoffen zerstört ein Land

Ganze Dörfer wurden in Peru umgesiedelt. Morococha ist eines davon. Die Einwohner fühlen sich betrogen, weil sie der neuen Kupfermine weichen mussten. Abfindungen, Eigenheime, Jobgarantie – keines dieser Versprechen der chinesischen Betreiberfirma wurde gehalten.

Von Sebastian Ehl | 04.01.2014
    Morococha ergibt sich nicht, Morococha verteidigt sich. Immer wieder rufen die Bewohner der kleinen peruanischen Berggemeinde ihre eindringlichen Parolen in dieStraßenschluchten Limas hinein. Kinder mit ihren Eltern und alte Frauen und Männer drängeln sich um bunte Spruchbänder und machen ihrem Ärger Luft.
    "Man hat uns Häuser an einem Ort versprochen, der zu feucht ist, um dort zu leben, nah an einer Lagune, wie in einem Moor. Außerdem liegt die neue Stadt zu dicht an der Mine und der offenen Grube. Die Luft da wird bald verschmutzt sein, und das Wasser vergiftet."
    "Seit drei Wochen kann ich nicht mehr in meine Schule gehen, denn die Polizei hat sie zu gemacht. Einfach so. Man will uns mit Gewalt zwingen, in die neue Stadt zu gehen, aber das wollen wir nicht."
    Morococha muss der größten Kupfermine im Land weichen
    Analudschia ist 14, und sie hat Angst vor ihrer Zukunft, erzählt sie. Die neue Stadt – wie sie es nennt – soll ab jetzt ihre Heimat sein. Zumindest, wenn es nach dem chinesischen Bergbaukonzern Chinalco und der peruanischen Regierung geht. Ihr bisheriger Heimatort Morococha nämlich muss der größten Kupfermine im Land weichen, in der schon in wenigen Monaten die Förderung beginnen soll. Für die Bewohner hat die Betreiberfirma aus China eine neue Ortschaft errichtet, ein paar Kilometer weiter. Viele Familien wollen aber nicht dorthin ziehen, so wie die von Gamarra Sanchez, der Wortführerin der Protestbewegung. Der Druck zu gehen werde immer größer, sagt sie:
    "Die Polizei attackiert uns, sie schlägt und beschimpft uns. Sie behandelt uns nicht wie menschliche Wesen, sondern schlimmer als Tiere und ohne Respekt."
    Gamarra Sanchez und etwa 100 weitere Bewohner von Morococha haben den weiten Weg über die Anden bis in die Hauptstadt Lima auf sich genommen. Zu Hause, rund sieben Autostunden weit weg, herrscht Unruhe, die Nerven liegen blank:
    Menschen fühlen sich betrogen
    Krisensitzung, eine von vielen, in der kleinen Dorfkirche von Morococha auf gut viereinhalbtausend Metern Höhe. Hier, in der so genannten "neuen" Stadt, fühlen sich die Menschen genauso betrogen wie ihre früheren Nachbarn in der "alten" Stadt, die gerade in Lima gegen die Umsiedlung protestieren. Abfindungen für die 600 Familien hatte es geben sollen, neue Eigenheime, sogar eine Jobgarantie – keines dieser Versprechen wurde gehalten. Frustriert räumt der hiesige Erzbischof Pedro Baretto ein, die Gesprächspartner aus China offenbar unterschätzt zu haben:
    "Die Kirche wird zusammen mit den zivilen Organisationen in der Gegend besonders darauf achten, wie es mit dem Tagebau hier in Morococca weitergeht und sich dafür einsetzen, dass es keine Verletzungen der Menschenrechte und Umweltschäden gibt."
    Das reicht Pater Jaime nicht - er betreut die Andengemeinde seit über fünf Jahren als Pfarrer und kennt die Menschen hier gut. Eigentlich ist Pater Jaime ein sehr ruhiger Mann. Heute aber treibt es dem jungen Dorfpfarrer die Zornesfalten auf die Stirn:
    "Es gab einen Rahmenvertrag, der alles regeln sollte, aber den haben die Unternehmen in ihrem Sinne manipuliert. Und die Regierung stellt die Interessen der Unternehmen über die der Bevölkerung und schafft dafür sogar extra Gesetze."
    Zum Beispiel viel zu lasche Umweltbestimmungen, findet Pater Jaime. Grenzwerte für Schadstoffe in Luft, Wasser und Böden, die es den Bergbau-Unternehmen nicht gerade schwer machen, umso mehr dafür aber den Menschen, die in dieser Umgebung leben müssen.
    "Die Kinder hier im Dorf sind bei Größe und Gewicht ganz klar unter den Normalwerten, viele sehen aus wie 7 oder 8 Jahre, sind aber fast doppelt so alt. Das liegt daran, dass die meisten Familien hier keine eigenen Leitungen haben und das verseuchte Wasser aus dem Fluss trinken müssen."
    Die Firma Chinalco kennt die Vorwürfe. Stellung beziehen will sie dazu aber nicht:
    Eine Verabredung zum Interview wird kurzfristig und ersatzlos abgesagt.
    Einige Kilometer weiter östlich, in La Oroya: Schon von Weitem ist die Werkssirene zu hören, sieht man die Schornsteine der Hochöfen in den Himmel ragen. Hier steht eine der ältesten Schmelzhütten des Landes, in der seit über 90 Jahren wertvolle Rohstoffe aus Gestein gewonnen werden. Doch im verseuchten Montaro Fluss daneben schwimmt kein Fisch mehr, und die Berghänge der Anden sind kalkweiß, weil das Schwefeldioxid aus den Schornsteinen der Schmelzhütte alle Bäume, Büsche und das Gras abgetötet hat:
    "Hier an dieser Stelle im Hochofen wird das Blei aus den Erzen rausgeschmolzen. Es ist heiß, es stinkt aus allen Ecken, die Arbeiter haben Gasmasken auf. Es sieht alles sehr provisorisch aus mit Wellblechen, die vor den Öfen einfach so aufgestapelt sind."
    Susanne Friess vom katholischen Hilfswerk Misereor berät mehrere Partnerorganisationen, die sich vor Ort für Umweltschutz und Menschenrechte einsetzen. Denn wenn die peruanische Regierung selbst zu schwach ist, dann muss Druck von außen helfen, sagt sie.
    "Wir wollen, dass die Menschen hier die Protagonisten ihres Schicksals sind, dass hier die Bauern nicht als Menschen 2. Klasse rumgeschubst werden und sie sich allen Wirtschaftsinteressen unterordnen müssen. Und wenn die sagen, der Bergbau beeinträchtigt unsere Entwicklungsmöglichkeiten, weil wir unsere Produkte nicht mehr verkaufen und unsere Kinder krank sind, dann mischen wir uns ein."
    La Oroya war jahrelang der am stärksten verschmutzte Ort - und zwar weltweit:
    Unabhängige Messungen der Universität Missouri wiesen um das tausendfach erhöhte Bleiwerte im Blut der Kleinkinder nach. Ebenso brachten die Wissenschaftler eine extreme Brustkrebsrate bei Frauen mit der Anlage in Verbindung. Wegen der starken Verseuchungen musste die Betreiberfirma „Doe Run“ ihre Schmelzhütte ab dem Jahr 2009 kurz ruhen lassen, heute läuft sie wieder - Weil jetzt alles besser ist, erklärt Unternehmens-Sprecherin Rosio Chavez Pimentel:
    "Die neue Verwaltung ist sich ihrer sozialen Verantwortung sehr bewusst, deshalb setzen wir auf Fortbildungen, zum Beispiel was eine bessere Hygiene der Kinder betrifft und was zu tun ist, wenn die Messungen die zulässigen Grenzwerte überschreiten."
    Gründliches Händewaschen, das ist der Tipp der Firma gegen Kontamination und Vergiftung. Eine Wiedergutmachung für die Umwelt- und Gesundheitsschäden in der Vergangenheit dagegen – abgelehnt.
    Die gesetzlichen Grundlagen seien für derartige Verpflichtungen einfach zu schwach, gibt sogar die peruanische Regierung zu: Vize-Umweltminister Mariano Castro wünscht sich etwas mehr Verständnis für das Dilemma, in dem die Regierung steckt. Schließlich sprudelten durch die Konzessionen für den Bergbau jedes Jahr viele Milliarden Dollar an Devisen in die Staatskasse. Diese Branche sichere Peru fast zwei Drittel seiner Export-Einnahmen. Doch die internationalen Konzerne würden bei strengeren Richtlinien für den Bergbau einfach aus dem Land abziehen:
    "Hier in Peru hapert es bei der Umweltpolitik noch an vielen Ecken und Enden – etwa bei den Standards und der Frage, wie wir DIE dann hinterher auch kontrollieren können. ABER: Im Moment arbeiten wir an einem konkreten Plan, und der richtet sich nach internationalen Richtwerten und Umwelt-Standards zum Beispiel der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung."
    Scharfe Kritik erntet Castro von einem seiner Amtsvorgänger: José de Echave nahm wegen der vielen ungelösten Bergbaukonflikte als stellvertretender Umweltminister seinen Hut und gründete die Organisation Cooper-Accion, die vor allem gegen den ungezügelten Bergbau und für schärfere Gesetze kämpft:
    "Die Regierung kümmert sich weder um die sozialen Themen noch um die Umweltthemen. Der peruanische Staat ist schwach und gleichzeitig sind die Politiker korrupt. Der Druck vonseiten der Wirtschaft ist einfach zu groß."
    Auch deutsche Unternehmen für Misere verantwortlich
    Einen Zusammenhang zwischen Menschenrechtsverletzungen in Peru und dem weltweiten Wirtschaftsgeflecht sieht der zuständige Referent bei Misereor, Armin Paasch: Auch das Verhalten deutscher Unternehmen und hier speziell der Automobilindustrie sei für Missstände in Ländern wie Peru mitverantwortlich:
    "Demnach müssen die Unternehmen nicht nur in den eigenen Operationen, sondern auch entlang der gesamten Lieferkette die Menschenrechte achten, also auch von ihren Zulieferern einfordern. Das sind die internationalen Normen und das fordern wir auch von der deutschen Automobilindustrie."
    Paasch warnt in diesem Zusammenhang auch vor der anstehenden Rohstoffpartnerschaft zwischen Deutschland und Peru, die schon fertig ausgehandelt in der Schublade liegt und wohl innerhalb der kommenden Wochen von der neuen Bundesregierung auf den Weg gebracht wird. Es ist das dritte Vertragswerk dieser Art nach den Abkommen mit der Mongolei und Kasachstan, die seit zwei Jahren in Kraft sind. Der Vertrag mit Peru, so Armin Paasch, werde offenbar hauptsächlich Sicherheiten auf Export-Kredite beinhalten, etwa für deutsche Firmen, die Maschinen oder sonstige Technologien liefern und kräftig am Bergbau mitverdienen sollen:
    "Was wir daran problematisch finden, ist, dass an diese staatliche Förderung nicht die Verpflichtung gekoppelt ist, die menschenrechtliche Sorgfalt walten zu lassen. Wenn Deutschland diese menschenrechtliche Verpflichtung nicht verankert in dieser Rohstoffpartnerschaft, dann läuft es Gefahr, Menschenrechtsverletzungen zu fördern, das heißt, sie selber zu begehen."
    Yanacocha ist die größte Goldmine Amerikas
    Die Bagger und Laster von Yanacocha, der größten Goldmine Amerikas und einer der größten weltweit. Der offene Tagebau prägt seit über zwanzig Jahren das Bild der Gegend in der Nähe der Provinzhauptstadt Cajamarca im Norden von Peru. Yanacocha liegt etwa 3.000 Meter hoch oben in den Anden – Die sehen von hier aus wie ein gigantischer Schweizer Käse: Mehrere Hundert Meter tiefe Löcher haben die Bagger der Mine laut ratternd in die Hänge gefressen, um rauszuholen, was möglich ist:
    Am Kraterrand steht der Pressesprecher des US-amerikanischen Bergbauunternehmens "Newmont", den Sicherheitshelm tief ins Gesicht gezogen. Begeistert deutet er mit den Armen von rechts nach links und berichtet stolz von den Früchten, die der Schoß des Berges abwirft: Hunderttausende Tonnen Gestein täglich werden hier aus dem Krater herausgebaggert und -gesprengt. Geröll, aus dem mithilfe von giftigem Zyanid in einem komplizierten chemischen Verfahren Gold gewonnen wird. In Deutschland ist dieses Verfahren streng verboten, weil es zu viele Risiken für Mensch und Umwelt birgt.
    Einen Steinwurf nur vom abgesperrten Minengelände entfernt leben die Brüder Julio und Andres Flores mit ihrer Familie in der 45-Seelen-Gemeinde La Pachuela – hier wohnen ausschließlich Kleinbauern mit ihren Ziegen und Schafen:
    "Früher floss das Wasser direkt hier unter dem Haus her, heute fehlt es uns, weil die Mine Yanacocha das Wasser oben am Berg umleitet und für sich verwendet. Darüber haben wir uns bei den Minenleuten beschwert, aber sie haben uns bedroht und zusammengeschlagen und hätten uns fast ins Gefängnis gesteckt. Hilfe ist von denen nicht zu erwarten."
    Tiere sterben an verseuchtem Wasser
    "Den Tieren geht es schon sehr schlecht, vor Kurzem sind 17 unserer Schafe auf einen Schlag gestorben, weil sie vom verseuchten Wasser getrunken haben. Die Firma Yanacocha hält sich da raus und sagt, damit hat sie nichts zu tun. Auch unsere Gesundheit ist schon sehr stark betroffen, weil der ganze Staub von dort oben von der Mine zu uns herüberweht und wir das Zeug einatmen. Ich habe oft Kopf- und Magenschmerzen und mir ist schwindelig, das war früher nicht so."
    Immer mehr Gesundheitsschäden bei den Bewohnern in dieser Region beobachtet auch Milton Deza. Er ist in Cajamarca aufgewachsen und arbeitet heute als Biologie-Professor an der dortigen Universität:
    "Wir haben hier keine Krebsklinik und wer es sich leisten kann, muss sich in Lima behandeln lassen. Mehr als 30 von 100.000 Einwohnern sterben jedes Jahr an Magenkrebs, und das ist nur die Zahl der Toten, noch nicht einmal die Zahl der Neuerkrankungen."
    Professor Dezas Blick verfinstert sich, als er am Rande des Sperrzauns zur Yanacocha-Mine über das zerfurchte Land schaut. Als er ein kleiner Junge war, erzählt er, gab es in den Bächen und Flüssen hier jede Menge Forellen. Heute sei das Wasser so tot wie die Berge drum herum:
    Berge und Wasser sind tot
    "Hier ist der Boden schon von ätzenden Säuren verseucht. Und darunter leiden wiederum die Quellen in der Umgebung und das Grundwasser. Und wie man hier drüben sehen kann, hat man auf dem kompletten Berghang außerdem alle Bäume für die Mine abgeholzt."
    Menschen werden vertrieben
    Daran haben sich die Bewohner der Bergdörfer fast schon gewöhnt, die Jüngeren kennen es gar nicht anders. Denn "Yanacocha" ist längst Teil ihrer Geschichte. Dazu gehört auch das, was damals, im Jahr 1992, passiert ist. Mehrere kleine Dörfer waren dem Minenprojekt im Weg. Pablo Sanchez erinnert sich an die Vertreibung der Menschen: Teils mit Gewalt, teils mit Tricks und falschen Versprechungen, wie er sagt, wurde Platz geschaffen für die Goldmine:
    "Das Problem war, dass die meisten Bauern gar nicht lesen und schreiben konnten. Mitarbeiter der Mine haben sie zu Notaren geschleppt und irgendetwas unterzeichnen lassen, was letztlich gar nicht abgesprochen war. Viele dieser Menschen mussten dann ihr Land verlassen und hier in der Stadt Cajamarca neu anfangen. Aber weil es nicht genug Arbeitsplätze gab, wurden ganze Familien ins Unglück und in die Armut gestürzt."
    Pablo Sanchez ist 38 und stammt aus dem benachbarten Cajamarca. Er arbeitet für die zivile Organisation „Grufides“, die die Minenbetreiber selbst und die Öffentlichkeit immer wieder mit den Missständen konfrontiert. Auf den Image-Schaden hat Yanacocha jetzt mit einer Charme-Offensive reagiert. Denn Bilder von Schlägertrupps, die aus firmeneigenen Kleinbussen springen und Demonstranten verprügeln, machen sich in den Fernsehnachrichten nicht gut, so etwas soll aus den Köpfen der Menschen verschwinden. Deshalb räumt der Umweltingenieur der Mine, Scott Lewis, im Namen seines Unternehmens Fehler ein und gelobt Besserung:
    "Wir waren keine guten Zuhörer, das ist so. Aber wir ändern das gerade, zum Beispiel mit einem neuen Management. Das ist für uns ein sehr wichtiger Punkt und unsere Tür steht für alle offen. Wenn Wissenschaftler oder die Universität von Cajamarca mit uns zusammenarbeiten wollen, dann würden wir sehr gerne mit ihnen darüber reden."
    Ein Gesprächsangebot, das bei den protestierenden Bergbaugegnern nicht auf fruchtbaren Boden fällt: Zu groß ist das Misstrauen gegenüber den Minenbetreibern.
    Ökologische Katastrophe
    Volksfeststimmung auf dem Hauptplatz von Cajamarca. Eine Bühne, eine Handvoll Informationsstände, ein paar Frauen und Männer in grünen T-Shirts sammeln Spenden und Unterschriften. In erster Linie richtet sich der Widerstand gegen das vom Yanacocha-Konsortium geplante nächste Megaprojekt namens "Conga": Für zwei Gold- und Kupferminen will es mehrere Lagunen im peruanischen Hochland trockenlegen. Umweltschützer sprechen von einer bevorstehenden ökologischen Katastrophe. Immer wieder kommt es bei Protesten gegen "Conga" zu Zusammenstößen mit der Polizei. Ein Jahr ist es her, dass dabei in einer Nachbargemeinde Schüsse fielen. Fünf Demonstranten starben. Für die Bergbaugegner hier in Cajamarca nur ein weiterer Grund, ihre Proteste fortzusetzen: Denn aufgeben im Kampf gegen die übermächtige Minenfirma, das kommt für sie nicht infrage.