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Berlin
Gunther von Hagens "Menschen Museum" eröffnet

In Berlin am Alexanderplatz hat "Menschen Museum" seine Türen geöffnet - die erste ständige Ausstellung des Leichen-Präparators Gunther von Hagens. Es werden 20 Ganzkörperplastinate und 200 Teilplastinate gezeigt. Dort erwarte den Besucher keine grelle Sensationen, Ekel-Spektakel oder andere Dienstleistungen für platten Voyeurismus, so unser Autor Arno Orzessek.

Von Arno Orzessek |
    Plastinator Gunther von Hagens kommt zur Eröffnung des Berliner Körperwelten-Museums "Menschen Museum".
    Plastinator Gunther von Hagens bei der Eröffnung des Berliner "Menschen Museums" (picture alliance / dpa - XAMAX)
    Keine Frage, der Alexanderplatz ist ein auffallend hässlicher Abszess im Berliner Stadtkörper. Was aber nichts daran ändert, dass zwischen diesem Platz und dem Brandenburger Tor die touristische Schlagader der Hauptstadt pulsiert - zumindest tagsüber. Allein der Fernsehturm verzeichnet jährlich über eine Million Besucher.
    Insofern ist es leicht erklärlich, warum Gunther von Hagens sein privatwirtschaftlich geführtes "Menschen Museum" am Fuß des umwimmelten Turms eröffnet hat.
    Seine plastinierten Leichen pflastern hier praktisch den Weg der internationalen Laufkundschaft und laden gegen ordentliches Eintrittsgeld zur Besichtigung des menschlichen Inneren ein. Falls, wie angestrebt, täglich 400 bis 500 Besucher kommen, avanciert das Haus zum größten Privatmuseum Berlins.
    Wer allerdings auf grelle Sensationen, Ekel-Spektakel oder andere Dienstleistungen für platten Voyeurismus aus ist, kann sich den Eintritt sparen. Genauso jeder, dem der Anblick Toter Lustgefühle bereitet.
    Im "Menschen Museum" geht es nämlich gar nicht um die Sichtbarkeit des Todes, sondern um die Sichtbarkeit des Lebendigen in seiner stupenden Komplexität. Ja, es stimmt - von Hagens präsentiert die 20 Ganzkörperplastinate ein weiteres Mal in ausgesuchten Posen.
    Da hockt der "Denker", als hätte sich Rodins berühmter Grübelkollege nur ein bisschen umgesetzt; die "Ballett-Tänzerin" strahlt auch plastiniert ein sattes Quantum Anmut aus - so wie der "Bogenschütze" Konzentration und Können; das "Paar in Umarmung" zeugt von der Liebe, ihre enthäutete Nähe desgleichen von Sex.
    Erzählerisch sind die Posen, einige sind circensisch, anatomisch aufschlussreich sind sie alle - und deshalb attraktive Alternativen zu herkömmlichen wissenschaftlichen Konservierungs-Objekten, die durch formaldehyd-getränkte Gleichförmigkeit auffallen.
    Betont aufklärerisch und erzieherisch
    Zur Beförderung wohligen Gruselns oder grausiges Schauerns taugen von Hagens Plastinate jedenfalls weit weniger als etwa die Exponate im Medizin-historischen Museum der Charité. Die gesamte Inszenierung, die neben den Ganzkörperplastinaten auch 200 Teilplastinate umfasst, ist betont aufklärerisch und erzieherisch.
    Die Wandtexte in den darm-artig verschlungenen, künstlich beleuchteten Räumen könnten von Krankenkassen gesponsert sein - so hartnäckig wird gesunde Ernährung und vermehrte Bewegung empfohlen und auf die krankhaften Folgen von Zuwiderhandlung hingewiesen.
    Und überhaupt ist die Plastinats-Show in reichlich Popular-Philosophie über Wesen und Leben des Menschen gebettet. Teils klingt 's phrasendrescherisch, teils fühlt man sich an antike Weisheits- und Mäßigungslehren erinnert. In staatlichen Museen erlebt man vergleichbare Pendel-Ausschläge.
    Wer aus religiösen Gründen Vorbehalte hat, wer in den Plastinaten verunstaltete Leichname sieht, wer überhaupt zur emotionalen Verstörung neigt, weil das Objekt dort tatsächlich mal ein echter Mensch war - der wird das "Menschen Museum" tunlichst meiden. Er würde nichts anderes darin sehen als makabren Totentanz.
    Für freiere Geister gibt's wenig zu tadeln. Natürlich handelt es sich bei den Plastinaten um eine starke Ästhetisierung des Inneren der menschlichen Gestalt, die ansonsten allenfalls äußerlich als ästhetisch wertvoll gilt. Aber umso fester steht: Auf dem hässlichen Alexanderplatz gehören Gunther von Hagens verblüffende Plastinate zum Schönsten überhaupt.