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Berlinale
Westliches Leben trifft auf islamische Tradition

Filme aus der muslimischen Welt, von muslimischen Filmemachern oder zu Themen des Islams sind wichtiger Bestandteil des Filmprogramms der Berlinale. Ziel ist es, den westlichen Zuschauer mit islamischer Tradition und Kultur zu konfrontieren.

Von Kirsten Dietrich | 12.02.2014
    Die Exotik von 1001 Nacht – sie gehört bei der Berlinale genauso der Vergangenheit an wie die schlichte Dokumentation muslimischen Lebens mit dem Blick des Ethnologen. Aber die Konfrontation westlichen Lebens mit islamischer Tradition und Kultur, daraus lässt sich allemal noch Fallhöhe für einen Film gewinnen. Der Wettbewerbsfilm "Zwischen Welten" macht diesen Konflikt zum titelgebenden Thema: Er begleitet Soldaten der Bundeswehr beim Einsatz in Afghanistan.
    Deutsche Bürokratie trifft auf afghanische Stammestradition – da sind Missverständnisse vorprogrammiert. "Zwischen Welten" spürt dem Befremden nach und zeichnet ein so pittoreskes wie hoffnungsloses Bild davon, was das Leben in einer absolut islamisch geprägten Gesellschaft wie Afghanistan bedeuten kann. Das wirft vor allem ethische Fragen auf wie die nach der deutschen Verantwortung für die afghanischen Dolmetscher. Doch der Film kommt über die Darstellung bekannter Fronten nicht hinaus. Muslime beten viel, schießen noch mehr und behandeln ihre Frauen schlecht – da kann die Auseinandersetzung vielleicht inzwischen doch differenzierter sein.
    Dem Leben hinter der Pittoreske spürt der türkische Film "Kuzu" nach: Kuzu heißt Lamm und ein solches muss eine arme Familie dringend auftreiben, um die Beschneidung ihres Sohnes angemessen feiern zu können.
    "Eigentlich wollte ich den Film in meinem Heimatdorf spielen lassen. Aber als wir endlich drehten, ergab das keinen Sinn mehr, also musste ich das Ganze nach hoch oben in die Berge verlegen, wo die Menschen wirklich noch isoliert leben. Die Modernisierung verursacht eine Menge gesellschaftliche Spannung, aber das ist natürlich ein fruchtbarer Boden für Künstler."
    Gesellschaftliche Spannungen sind fruchtbarer Boden für Künstler
    Regisseur Kutlug Ataman spielt in Kuzu mit den Motiven aus der Geschichte von Abraham und Isaak beziehungsweise von Ibrahim und Ismael, wie der Koran sie nennt: Im Film heißt der Vater Ibrahim, und wenn der kein Lamm auftreiben kann, so erzählt man seinem Sohn, werde er stattdessen ihn schlachten. Ataman webt eine komplexe Geschichte aus traditionellen Erzählungen, psychologischen Motiven und türkischer Wirklichkeit – in der das Fest der Beschneidung zwar nicht zu einer Debatte nach deutschem Muster führt, aber doch zum Schauplatz einer grundsätzlichen Neubestimmung der Rollen von Religion und Tradition.
    "Für mich ist die entscheidende Frage: Wie verhandeln wir über persönliche Freiheiten, welche Rechte hat die Gesellschaft und wie bestimmen wir dann einen Gesellschaftsvertrag?"
    Aufnahmen vom Kairoer Tahrir-Platz, im September 2011: Auf einmal stellten wir fest, dass wir uns alle liebten und schätzten – der Erzähler staunt selber über so viel Einheit in der Vielfalt. Es gab keinen Unterschied mehr zwischen Muslimen und Christen. Wir waren alle einfach da. Der Dokumentarfilm "Al Midan" zeichnet die Geschehnisse vom Tahrir-Platz über die Zeit von zwei Jahren nach, zunächst überwältigt von revolutionärer Begeisterung, dann sehr schnell ernüchtert. Denn natürlich bestehen all die alten Fronten weiter fort.
    Eine der Hauptfiguren ist ein junger Muslimbruder. Für seine Überzeugungen hat er im Gefängnis gesessen, im Laufe der zwei Jahre steht er mit seiner religiösen Gruppe mal auf der Seite der Protestierer, mal auf der der scheinbaren Gewinner – Misstrauen schlägt ihm dabei immer entgegen. Auch für Muslime stellt sich die Welt nicht nur schwarz-weiß dar, das Bemühen, dies zu zeigen, ist bei vielen Filmen muslimischer Regisseure spürbar.
    Nah dran an den Bärten der Imame
    Noch vielschichtiger bildet der iranische Regisseur Mehran Tamadon die muslimische Gegenwart ab. Er hat vier streng konservative Imame gewonnen, ein Wochenende mit ihm in seinem Landhaus zu verbringen. Man grillt, diskutiert über Musik und Bücher und vor allem über die Frage, für die Mehran Tamadon brennt: Können sich Muslime eine ideale Gesellschaft vorstellen, die auch Platz für säkulare Menschen bietet, die an nichts glauben?
    "Mir geht es nicht darum, dass ich sie ändere, ich möchte auch nicht darum kämpfen, dass ich sie ändere, sondern mir geht’s darum, dass unterschiedliche Leute mit unterschiedlichen Meinungen im selben Bild sind."
    Das Bild und damit der Film selbst ist schon ein Sieg über den Fundamentalismus. Denn auch wenn die Geistlichen in der Sache nicht einen Millimeter nachgeben – die Menschen werden nie reif genug sein, um eine säkulare Gesellschaft aushalten zu können, sie brauchen die Führung der Religion, zur Not auch mit Zwang – das sagt einer der Beteiligten dem Regisseur direkt ins Gesicht. Aber dennoch sind die Männer im Gespräch zu sehen, und das nicht nur für jene, die ohnehin überzeugt sind. So nah wie in der Dokumentation "Iranien", sind westliche Zuschauer strenggläubigen Geistlichen aus dem Iran vermutlich noch nie gekommen, weder ihren Gedanken noch ihren Bärten.
    "Die Erfahrung für die Zuschauer ist natürlich, dass sie sich mit mir identifizieren und durch mich den Protagonisten gegenüber sitzen. Und manchmal wollen natürlich Zuschauer gar nicht so nah dabei sein und so nah vor den Protagonisten sitzen. Aber das haben wir in der Postproduktion, mit dem Schnitt, mit dem Licht, mit dem Ton versucht, dass wir die Grenzen ständig abbauen und eine größtmögliche Nähe von Zuschauern und Protagonisten kreieren."
    Als die Geistlichen schließlich wieder abreisen, legt der Regisseur erst einmal Musik einer iranischen Sängerin auf – als brauche es jetzt ein säkulares Gegengift. Mehran Tamadon hat für seinen Film einen hohen Preis bezahlt: Er darf auf unabsehbare Zeit nicht mehr in den Iran einreisen. Auch das ist die Gegenwart des islamischen Films.