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Berliner FDP
Erfolg dank smartem Spitzenkandidaten

6,7 Prozent: Nach fünf Jahren in der Opposition ist die FDP zurück im Berliner Abgeordnetenhaus. Zu verdanken hat sie das unter anderem ihrem jungen Vorsitzenden Sebastian Czaja. Sein Hauptthema im Wahlkampf: Der Flughafen Tegel muss geöffnet bleiben.

Von Frederik Rother | 22.09.2016
    Der Berliner Spitzenkandidat der FDP, Sebastian Czaja und seine Frau Katharina werfen am 18.09.2016 in Berlin ihre Stimmzettel in die Wahlurne.
    Der Berliner Spitzenkandidat der FDP, Sebastian Czaja und seine Frau Katharina werfen am 18.09.2016 in Berlin ihre Stimmzettel in die Wahlurne. (dpa / Britta Pedersen)
    Ein "Ticket für Tegel" – das haben am Sonntag gut 100.000 Wähler gelöst, mit ihrer Zweitstimme für die FDP. Die Berliner Liberalen haben im Wahlkampf hauptsächlich auf den Weiterbetrieb des in die Jahre gekommenen Flughafen im Westen der Stadt gesetzt. In einem Wahlvideo klang das so:
    "Kennen Sie diesen Flughafen? Berlin Tegel! Er gehört zu Berlin und ist nicht wegzudenken. Ein Flughafen mit kurzen Wegen, ein Flughafen den wir ins Herz geschlossen haben und der unbedingt bleiben muss."
    Ein smarter Typ
    Sebastian Czaja kommt in dem Video ins Schwärmen. Der 33-Jährige steht im Terminal, dunkler Anzug, weißes Hemd, kleine Haartolle – ein smarter Typ. Smart, wie der Chef-Liberale Christian Lindner. Smart auch, wie die erfolgreichen FDP-Spitzenkandidaten bei den vergangenen Wahlen etwa in Bremen, Hamburg oder Rheinland-Pfalz.
    6,7 Prozent hat Czaja für seine Partei in Berlin geholt, nach fünf Jahren außerparlamentarischer Opposition lieferte ein bröckelnder Flughafen offenbar das überzeugende Argument. Aber jetzt muss Czaja liefern:
    "Wir werden alles dafür tun, diesen Flughafen offenzuhalten. Und wir werden das auch im parlamentarischen Raum treiben und das weiterhin auf der Tagesordnung halten."
    Das dürfte nicht leicht werden. Der Weiterbetrieb des alten Flughafens hängt mit dem Pannenairport BER am anderen Ende der Stadt zusammen. Ursprünglich sollte Tegel ein halbes Jahr nach der Neueröffnung schließen. Der bisherige Senat sagt: Daran hat sich trotz der Bauverzögerungen beim BER nichts geändert. Ein neues und langwieriges Planfeststellungsverfahren komme nicht in Frage.
    Die FDP sagt: Stimmt nicht. Politische Beschlüsse können von Politikern auch wieder geändert werden. Czaja meint:
    "Wenn Politik einen Willen hat, etwas zu bewegen, dann kann sie es."
    Mut zum Tabubruch
    Zusätzlich verweisen die Liberalen auf ein von ihnen beauftragtes Bundestags-Gutachten – das wohl zu ähnlichen Einschätzungen kommt – und auf das ihrer Meinung nach drohende Verkehrschaos, das Berlin mit nur einem Flughafen zu erwarten hat.
    "Man muss die Freiheit haben auch im Denken, innovative Ansätze in die Politik zu bringen oder Tabus zu brechen, oder den Mut aufbringen, auch Themen zu diskutieren, die vielleicht im ersten Augenblick nicht der große Wurf scheinen, aber langfristig das richtige sind."
    Sebastian Czaja beherrscht das Vokabular des modernen Liberalismus, dabei wurde er eigentlich in der CDU sozialisiert. Er war in der Schüler-Union aktiv und Kreisvorsitzender der Jungen Union in Marzahn-Hellersdorf. Immer ein paar Schritte hinter seinem Bruder Mario, der noch amtierender CDU-Sozialsenator in Berlin ist und am vergangenen Wahlsonntag mit 47 Prozent das landesweit beste Erststimmenergebnis holte – trotz herber Verluste seiner Partei.
    Plan B FDP
    Für den jüngeren Czaja-Bruder aber ist die CDU Geschichte. 2005, mit Anfang 20, wechselte er von einem auf den anderen Tag zur FDP, weil:
    "Man in der CDU permanent das Gefühl hatte, man geht konsequent, und wenn man gegen fünf Wände läuft, man geht diesen Weg und man ist nicht bereit, sich mal mit einem Plan B oder mit einem anderen Weg zu beschäftigen."
    Dieser andere Weg heißt: Tegel offenhalten. Aber es ist nicht so, dass die Liberalen die Ersten und Einzigen wären, die in Berlin daran schon einen Gedanken verschwendet hätten.
    Der Berliner Grüne Andreas Otto war jahrelang im BER-Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses aktiv. Der 54-Jährige sagt zwar: Beschlüsse kann man theoretisch ändern
    "Aber das Risiko, und das hat die FDP ja niemandem gesagt im Wahlkampf, das Risiko, dass sofort die Grundlage für BER wegfallen kann und wir wieder fünf bis zehn Jahre Gerichtsverfahren haben vor den Verwaltungsgerichten, das ist alles so ein großes Risiko und so irre, das mag ich mir nicht vorstellen."
    Für ihn und seine Fraktionskollegen ist klar, was bei den kommenden FDP-Anträgen zu Tegel zu tun ist:
    "Die lehnen wir ab."
    "Wir" – das schließt SPD und Linke mit ein. Die voraussichtlich kommende rot-rot-grüne Koalition dürfte Tegel keine Chance geben, und die CDU war bislang auch dagegen. Sebastian Czaja beeindruckt das nicht:
    "Deshalb haben wir parallel noch ein Volksbegehren initiiert und die Frage ist ja, wie lange hält Politik eigentlich dem Druck der Bevölkerung stand."
    Damit so ein Volksbegehren erfolgreich ist, brauchen Czajas Liberale gut 170.000 Unterschriften in vier Monaten. Man darf gespannt sein, ob das klappt.
    Gespaltene Meinung zu Tegel
    In der Florastraße im Bezirk Pankow sind die Flugzeuge im Minutentakt zu hören, sie fliegen nur einige Hundert Meter hoch. Die Menschen hier wohnen direkt in der Einflugschneise von Tegel. Trotz großer Lärmbelastung gehen die Meinungen zum Weiterbetrieb des Flughafens auseinander:
    "Das geht überhaupt nicht, es wird ja auch immer mehr." - "Es ist jetzt nicht so laut, aber immerhin so laut, dass es einen stört." - "Dann soll er als Regierungsflughafen bleiben, das wär in Ordnung." - "Bei Fenster geschlossen, also mehr Richtung Winter, hört man wirklich gar nichts bei uns. Wenn's offen ist na gut, ist wie 'ne verlängerte Klospülung, dauert ein bisschen länger."
    Nicht alle Menschen, die in der Einflugschneise von Tegel leben, haben sich von den Argumenten der FDP überzeugen lassen. In den betroffenen Bezirken holten die Liberalen zwischen vier und acht Prozent.
    Der Grüne Andreas Otto sieht für Tegel keine Zukunft. Zur fast monothematischen Kampagne der FDP hat er eine klare Meinung:
    "Der Wahlkampf der FDP war schon ein bissel populistisch. Wenn sie etwas dem Wahlvolk suggerieren, was nicht kommen wird, was durch Beschlüsse, Gesetze, jahrelange Gerichtsverfahren anders entschieden ist, dann finde ich das schon unredlich."
    Sebastian Czaja lässt sich davon nicht aus dem Takt bringen. Morgen ist er zu Sondierungsgesprächen beim Regierenden Bürgermeister Michael Müller von der SPD eingeladen. Via Tagespresse gibt Czaja schon mal die Richtung vor: Wenn sich die Sozialdemokraten in der Tegel-Frage nicht bewegt, dann wird das ein kurzer Kaffee.