Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Berliner Hausbesetzer
Widerstand gegen die Wohnungsnot

Leerstand aus Spekulationsgründen, steigende Mieten, 20.000 Wohnungslose, Menschen, die ins Hostel oder die Kleingartenkolonie ziehen. In Berlin wollen das viele nicht mehr hinnehmen. Sie haben sich vernetzt und ein Haus besetzt. Das ist aber erst der Anfang - ein "Herbst der Besetzungen" soll folgen.

Von Lea Fauth | 17.09.2018
    Großdemonstration gegen steigende Mieten und soziale Verdrängung am 14.4.2018 in Berlin.
    Rund 25.000 Menschen gingen im April 2018 unter dem Motto "gemeinsam gegen den Mietenwahnsinn” auf die Straße (imago / Christian Mang)
    In der Großbeerenstraße im Berliner Kreuzberg hat sich seit dem 8. September viel verändert. Es ist ein Samstagnachmittag, einer Gruppe von Menschen gelingt es, in ein Haus einzudringen. Die Wohnungen stehen zum Großteil leer - seit Jahren. Seitdem halten die Menschen sie besetzt und sorgen mit Plakaten und Aktionen für öffentliche Aufmerksamkeit. Unter ihnen ist auch Anna, eine 54-jährige zierliche Frau, die als Altenpflegerin arbeitet.
    "Also ich wollte schon ganz lange mit anderen Leuten zusammen leben, in so einer gemeinschaftlichen Art, sich austauschen, gemeinsam sich zu organisieren, auch gegen diese ewige Vereinzelung, die im Moment, finde ich, gerade wenn man so viel arbeitet, immer mehr stattfindet."
    Anna hat sich mit einer Gruppe von gleichaltrigen Freunden zusammengetan, sie nennen sich "die Hausprojektgruppe" und wollen zusammen mit anderen Gruppen gegen Wohnungsnot und Verdrängung in ihrer Stadt vorgehen. Denn der Leerstand in der Großbeerenstraße ist kein Einzelfall. Obwohl das laut Zweckentfremdungsgesetz verboten ist, lassen viele Immobilienfirmen ganze Gebäude leerstehen – vermutlich aus Spekulationsgründen.
    Dem stehen rund 20.000 wohnungslose Menschen in Berlin gegenüber. Täglich werden in der Hauptstadt etwa zehn Wohnungen zwangsgeräumt. Die Wohnungsnot ist längst ein Problem der Mitte der Gesellschaft geworden – davon berichtet auch eine andere Hausbesetzerin.
    "Und wenn man halt merkt, Leute ziehen in Hostels, ziehen in Kleingartenanlagen, dann denkt man sich halt so: Ok, das kann halt einfach nicht sein."
    Solidarität durch Nachbarn
    Über das etwas runtergekommene Holztreppenhaus gelangt man in die besetzte Wohnung, die sich innerhalb von wenigen Tagen mit allen möglichen Möbeln und Haushaltsgeräten gefüllt hat. Plastik- und Holzstühle stehen verstreut um einen massiven Mahagoni-Tisch herum. Die Küche ist bereits mit Kühlschrank und Geschirr ausgestattet. All das haben hilfsbereite Nachbarinnen und Nachbarn vorbeigebracht.
    "Super ermutigend, super schön. Alles von diesen Nachbarn hier in der Gegend, wirklich nur positiv. Also wirklich herzlich. Und was für mich auch noch ganz schön war, wir sind ja in der Zwischenzeit doch eine Gruppe, die, wo man sagen kann, mehr Generationen umfasst."
    "Ich hab’ Schrauben mitgebracht. - Vielleicht kannst du’s n bisschen ranbiegen."
    Eine Studentin und ein Student haben ein Brett für eine Küchenzeile zurecht gesägt, und versuchen nun, eine Spüle darin festzubringen. Auch sie sind Teil der Besetzungsgruppe.
    "Ja, das kriege ich nicht rangebogen."
    "Ach so warte, mal. Bieg’s mal erstmal."
    Alle paar Minuten klingelt es an diesem Nachmittag an der Tür. Nachbarn kommen vorbei, zum Reden, Helfen, oder aus Neugier. Vor der Tür gibt es nun regelmäßige Treffen und Konzerte.
    Aufruf zur Vernetzung - große Resonanz
    Am vierten Tag der Besetzung ruft die "Hausprojektgruppe" zu einer Kiezversammlung auf. Über 100 Menschen aus den umliegenden Häusern kommen vorbei. Auch Anna ergreift das Wort vor dem versammelten Publikum.
    "Also ich fände es total schön, wenn Leute aus der Nachbarschaft, die selber Probleme gerade in ihren Häusern haben, weil sie gerade verkauft wurden, wenn die vorbei kommen, am Nachmittag und sich vernetzen. Weil ich denke, die sind alle auch in der ein oder anderen Form Experten, Expertinnen. Und dass wir uns gegenseitig auch in diesen Prozessen unterstützen können."
    Annas Idee hat Erfolg. Die Menschen aus der Nachbarschaft erzählen ihre Geschichten. Manche von ihnen sind verzweifelt. Viele Immobilienfirmen führen Luxussanierungen durch und erhöhen dann drastisch die Mieten. Wer sich das nicht leisten kann, ist zu einem Umzug gezwungen – meist außerhalb der Stadt.
    Rund 25.000 Menschen gingen deshalb im April unter dem Motto "Gemeinsam gegen den Mietenwahnsinn" auf die Straße. Mehr als die Hälfte aller Berliner sehen laut einer Forsa-Umfrage in Hausbesetzungen ein legitimes Mittel gegen die Wohnungsnot.
    Publikumsfrage: "Ja hallo, ich find die ganze Aktion erst mal super, und jetzt wäre meine Frage: Wie, konkret, kann man euch jetzt weiter unterstützen?/Ja, indem ihr selbst anfangt, Druck aufzubauen, und das einfach nachmacht."
    Internetkonzern Google als treibende Kraft der Gentrifizierung
    Tatsächlich hat die Gruppe einen - wie sie es nennen - "Herbst der Besetzungen" in Berlin angekündigt. Als Auftakt besetzten Aktivisten einen Tag vorher das Gebäude in Kreuzberg, in dem der Internetkonzern Google einen Campus eröffnen will. Das Unternehmen gilt vielen als Faktor für Mieterhöhung und Verdrängung – unter anderem, weil die besser bezahlte Klientel zu einer Verteuerung der Wohnungen beiträgt.
    Google zeigte für die Protestaktion kein Verständnis, die Besetzung wurde nach wenigen Stunden geräumt. Anders die katholische Aachener Siedlungs-GmbH, Eigentümerin der besetzten Wohnung, in der Anna sich befindet. Die Firma zeigte sich zumindest anfangs kompromissbereit. Bis zum 14. Oktober dürfen Anna und ihre Mitstreiter vorerst in der Großbeerenstraße 17A bleiben. Langfristig hoffen sie, dass sie die Räumlichkeiten für gemeinnützige Projekte zur Verfügung gestellt bekommen.
    "Unten gibt’s ja so ein Gewerberaum, einen ehemaligen Friseur oder so, dass da ein soziales Projekt rein kommt, das die Nachbarschaft auch gerne haben möchte."
    Der Gesprächstermin mit dem Geschäftsführer wird daher mit Spannung erwartet. Doch so oder so scheint die Berliner Nachbarschaft entschlossen, weiterzumachen und mehr leer stehende Räume einzufordern.
    "Es wurde ein Ort geschaffen, an dem und durch den in der Öffentlichkeit und im Kiez deutlich gemacht wird, dass viele Menschen im Stadtteil kämpfen, gegen die Stadt der Reichen, und dafür dass Wohnraum keine Ware mehr ist. Von daher bleiben wir dabei: Der Herbst der Besetzungen geht weiter. Besetzen, so lange bis wir es nicht mehr müssen."