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Berliner Volksbühne
Alt-Stars in totem Theater

Die Berliner Volksbühne bietet für ihre jüngste Premiere den berühmten katalanischen Filmregisseur Albert Serra und zwei veritable Bühnenstars auf, die Chanson-Sängerin Ingrid Caven und den schönsten Mann des deutschen Films, Helmut Berger. Das Stück über Libertinage in Preußen ist aber Quälerei statt Theater, meint unser Kritiker.

Von Michael Laages | 23.02.2018
    Die Schauspielerinnen Ingrid Caven, Leonie Jenning und Anne Tismer während einer Fotoprobe zur Uraufführung des Stücks 'Liberté' von Albert Serra in der Volksbühne Berlin.
    "Liberté" an der Volksbühne: Fotoprobe mit Ingrid Caven, Leonie Jenning, Anne Tismer (picture alliance / Wolfgang Kumm / dpa) (picture alliance / Wolfgang Kumm/dpa)
    Die gelben Flecken rund ums Theater sind kaum zu übersehen; sie kleben an Laternen, Telefonhäuschen, Parkschein-Automaten. Fröhlich schicken sie den Intendanten in die Wüste oder sonst wohin: "Tschüss, Chris!" steht da schwarz auf gelb geschrieben. Die Phantasie von Gegnerinnen und Gegnern des neuen Hausherrn an der Volksbühne in Berlin ist ungebrochen; und nach einem Alptraum wie Albert Serras "Liberté" ist ihnen nur recht viel Erfolg zu wünschen. Was immer dem Kunst-Manager Dercon vorgehalten worden ist seit Dienstbeginn und davor, muss hier vom Vorurteil zum Urteil werden – an Theater selbst im allerweitesten Zuschnitt ist hier offenkundig niemand ernsthaft interessiert. Da kann der Chef noch so demonstrativ rechts außen und vorn in Reihe 3 sitzen und wie ein mieser Schmieren-Striese den Beifall selber anklatschen, als endlich Schluss ist.
    Etwas mehr als zwei Stunden hat die pausenlose Quälerei gedauert. Aber ein Zwischenrufer hatte schon bald nach Beginn sehr recht: "Nun spiel' doch mal, Mann!", rief er von ziemlich weit hinten. Und das wichtigste Problem unter ziemlich vielen hat der Mann akkurat benannt – niemand nämlich soll hier spielen. Der unerhört banale und garantiert spannungsfreie Text ist gefälligst aufzusagen wie abgelesen; und das auch noch möglichst unauffällig, trotz Mikroport-Verstärkung – als solle niemand allzu viel mitbekommen vom Inhalt der Geschichte, die Serra erzählt.
    De Sade lässt grüßen
    Dabei hätte die vielleicht sogar ulkiges Potenzial – die Story geht so: Auf der Flucht vor der Prüderie des französischen Hofes flüchtet eine Duchesse kurz vor der Revolution ins Preußen des großen Friedrich, um dort die "Libertinage" zu verbreiten: also freie Liebe, Sado und Maso, Orgien aller mit allen schön durcheinander. Was das Herz der Libertins begehrt. Sehr von fern winkt der Marquis de Sade herüber. Nicht auszudenken, wenn jemand dessen tabubrechenden Schmerzensfuror ernst genommen hätte, wie Frank Castorf es zuweilen tat, oder wie auch das völlig freie, unsubventionierte Theater "Os Satyros" in Sao Paulo de Sade schon erkundet hat – und dabei Bilder einer Welt zeigt, die längst grausamer ist als de Sade es je war.
    Aber zurück ins Brandenburgische - trotz schmucker Novizinnen in einem nahen Kloster (und einer lesbischen Äbtissin, die nicht abgeneigt wäre, die Mädels auf den Markt zu bringen), trotz einiger geplanter Werbemaßnahmen auch von kommerziell interessierter Seite, will hier niemand, dass die Streusandbüchse zum Sündenpfuhl mutiert. Insofern treffen sich zwar auf einer weiten Lichtung in Morgengrauen und Abenddämmerung eine Menge Leute, deren einziges seriöses Ziel die Verbreitung haltloser Lüste zu sein scheint; aber es passiert praktisch nichts. Mal fällt eine Maid nackt in den Teich im Mittelgrund der Bühne, mal wird ein blanker Mädchen-Po zur Peitschung hingehalten.
    Totes Theater
    Der Rest ist Sänfte – bis zu vier davon stehen auf der Bühne herum, erstaunlicherweise alle mit elektrischem Licht. Die kleinen Wohnmobile werden rein und raus getragen von Dienern und Statisterie (den Hauptdarstellern des Abends!), und in den Sänften sitzen unter anderem die beiden "Stars", Herr Berger und Frau Caven. Die sprechen die Texte von deutschem Duc und französischer Duchesse, als wären die an die Innenseiten der Sänften geklebt, als läsen sie sie also ab. Herr Berger bekommt zudem ständig Besuch und phantasiert von gewesenem Lustgewinn, Frau Caven ist weithin mit Klagen darüber beschäftigt, dass die Libertinage-Promotion nicht funktioniert wie sie soll. Zum Schluss singt sie auch – und vom morbiden Charme der Chansonette von früher ist nur das morbide geblieben. Berger klettert gegen Ende mit vereinten Kräften vieler Helfer aus der Sänfte und legt sich gemütlich zum Sterben an die Rampen-Mitte. Und während Frau Caven noch ein wenig weiter jammert nach Noten, ertönt der lang erwartete Satz: "Der Duc von Walchen ist gestorben." Aber nicht nur er ist tot.
    Tot ist auch dieses Theater. Oder vielleicht ja doch noch nicht ganz – aber Chris Dercons Truppe arbeitet weiter dran. Wann wird hier endlich die Notbremse gezogen?