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Bermerkenswert schlecht?

Enttäuschend - so könnte man das Berliner Theatertreffen zusammenfassen. Schwache Produktionen und wenig neue Ideen. Nur wenige Stücke konnten wirklich überzeugen. Schießt sich die deutsche Theaterszene selbst ins Aus?

Von Karin Fischer |
    Es war ein bisschen so wie bei Bayern München gegen Inter Mailand: Die Italiener sind halt keine popelige Bundesligamannschaft, sondern Weltklasse. Auch beim Theatertreffen reicht regionale traditionelle Größe nicht. Weil die Jury das genau weiß, hat sie, im Gegensatz zu Bayern-Trainer Louis van Gaal, immerhin "Experimente" ausgerufen. Und die internationale Öffnung beschworen. Und das Theatertreffen mit ganz vielen ganz neuen Stücken zu einer Art Konkurrenzveranstaltung zum Mülheimer Dramatikerpreis gemacht. Und, nach viel Gezanke und Gezerre in der Diskussion zur Endauswahl, das Wort vom "Krisentableau" erfunden, also eine Verteidigungslinie, gegen die erstmal schwer anzukommen ist.

    Dass das Theater Geschichten von Verlierern erzählt ist, zwar ein alter Hut. Und so passend die inhaltliche Klammer war, so deutlich bestand auch die Gefahr, mit ihr das Theater im besseren Fall zum Befindlichkeits-Barometer der Gesellschaft, im schlechteren zur Diskurs-Maschine zu deklarieren. Doch in dieser Hinsicht trug überraschender Weise die Auswahl, indem sie nämlich so unterschiedliche ästhetische Ansätze wie Luk Percevals traurige Roman-Erzählung "Kleiner Mann, was nun?" und Nicolas Stemanns "Die Kontrakte des Kaufmanns" neben einander stellte. Perceval, unumstrittener Champion dieses Theatertreffens, inszenierte in München zu Tränen rührendes Schauspielertheater ohne Angst vor Kitsch; Steman zauberte aus Elfriede Jelineks wortreichem Banker-Bashing in Köln einen wilden, postdramatischen Bühnenexzess.

    Der auf seinem Weg über Hamburg nach Berlin nur leider viel Form verloren hatte. Stemann zahlt einen hohen Preis dafür, dass die Autorin selbst immer wieder nachlegt und aktualisiert, in diesem Fall mit zusätzlichen Texten über 'Europa’ oder 'Wettbewerb’. Aus dem wüsten, wütenden, konzise choreographierten Kölner Theaterabend ist in Berlin langwieriges Improvisations-Theater mit anbiedernden Gesangseinlagen des Regisseurs ans Berliner Publikum geworden.

    Wie heißt ein beliebter Fußballspruch: "Wichtig ist auf dem Platz". Dass einige der Inszenierungen bei der Überführung in die Hauptstadt an Glanz verlieren, ist ein Phänomen, das es immer wieder gibt, das aber gerade die lokale Verortung und Bedeutsamkeit des Stadttheaters ins Bewusstsein ruft. Was in der Provinz als neue Theatersprache Furore macht, wirkt in Berlin häufig nur epigonal. Gerade deshalb ist Karin Beier nicht genug zu loben: Die Kölner Intendantin hat aus einem – um im Bild zu bleiben - abstiegsgefährdeten Zweitligisten ein Haus gemacht. das heute den früheren Meistern Münchner Kammerspiele, Hamburger Thaliatheater oder Wiener Burg den Pokal streitig machen kann. Sie hat das diesjährige Theatertreffen-Konzept in der ganzen Breite schon verwirklicht und die internationale Öffnung, die Theaterexperimente und die bewährten singulären Handschriften namhafter Regisseure an ihrem Haus zusammen geführt.

    Bemerkenswert gut in der zweiten Theatertreffen-Hälfte war Roland Schimmelpfennigs Inszenierung seines eigenen Stücks "Der goldene Drache". Schimmelpfennig schließt damit an sein frühes Erfolgsstück "Die arabische Nacht" an. In fast filmisch kurz geschnittenen Szenen erzählt er ein Märchen, das trotz aller Phantastereien politisch untergründet ist und trotz aller ausgestellten Theatermittel einen immensen poetischen Sog entwickelt.
    Und als bemerkenswert schlecht erwies sich Stephan Kimmigs Inszenierung von Dennis Kelly’s "Liebe und Geld". Der Regisseur, sonst Meister der psychologischen Einfühlung, verrät seine hervorragenden Schauspieler an einen überdrehten Sozial-Boulevard. Als der Transfer von Hamburg nach Berlin bekannt wurde, war das Stück eigentlich auch schon abgespielt. Von der Reservebank aufs Siegertreppchen? Das kann nicht funktionieren.

    Keine Frage: Die deutschsprachige Theater-Bundesliga musste schwächeln, weil schon die ambitionierten Neustarts des letzten Herbstes in Hamburg, Zürich, Wien oder Dresden enttäuschten. Eva Behrendts freimütige Erklärung zur Endauswahl in "Theater heute" - "Die fünf, die die zehn dann voll machten, hätten auch andere sein können" - würde wohl kaum ein Zuschauer widersprechen. Aber warum sollte die Theatertreffen-Jury eigentlich weniger Probleme haben als ein Fußball-Trainer?