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Bertelsmann-Studie
"Ausländer tragen zu unserer Sozialkasse bei"

Die große Mehrzahl der Ausländer trage zu unserer Sozialkasse bei, sagte Ulrich Kober von der Bertelsmann-Stiftung im Deutschlandfunk. Migranten seien oft jünger als die deutsche Bevölkerung und seien in der Regel gut ausgebildet. Allerdings fehle es weiterhin an Sprach- und Qualifizierungsangeboten für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund.

Ulrich Kober im Gespräch mit Friedbert Meurer | 01.12.2014
    Schülerin mit Migrationshintergrund meldet sich im Unterricht
    Kober: Wir brauchen eine systematischere Sprachförderung von Migranten in den Schulen. (dpa / Waltraud Grubitzsch)
    Friedbert Meurer: Bis in die 90er-Jahre hinein galt das Diktum, Deutschland ist kein Einwanderungsland. Dann merkten langsam alle, dass, ob man es will oder nicht, Deutschland natürlich längst ein Einwanderungsland geworden ist. Zwei Dinge sind trotzdem weiterhin umstritten: Wer regelt wie die künftige Einwanderung und was muss für die Integration getan werden und von welcher Seite?
    Heute berät darüber wieder der sogenannte Integrationsgipfel in Berlin mit Verbänden, Gewerkschaften und Wirtschaft bei der Kanzlerin.
    Deutschland hat eine der niedrigsten Raten an Jugendarbeitslosigkeit in Europa, aber trotzdem weisen Statistiken immer wieder aus, junge Leute mit Migrationshintergrund, die haben es beim Berufsstart besonders schwer: Teilweise, weil sie keinen Schulabschluss haben, oder eine Ausbildungsstelle nicht bekommen, weil sie einen fremdländisch klingenden Namen tragen. Vor dem Integrationsgipfel hat die Kanzlerin mit ihrer Staatsminister Özoguz das Ausbildungszentrum der Berliner Verkehrsbetriebe besucht.
    Einer Umfrage zufolge glauben zwei Drittel der Deutschen, Ausländer belasten unsere Sozialkassen. Ende letzter Woche hat die Bertelsmann-Stiftung eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung veröffentlicht. Danach soll das Gegenteil richtig sein: Ausländer würden jährlich ein Plus von 20 Milliarden Euro und noch ein bisschen mehr für unsere Sozialkassen erwirtschaften. - Ulrich Kober von der Bertelsmann-Stiftung. Guten Tag, Herr Kober.
    Ulrich Kober: Guten Tag, Herr Meurer.
    Meurer: Was empfehlen Sie der Politik, wie man Migranten als steuern zahlende Mitglieder und Sozialbeiträge bezahlende Mitglieder in unsere Gesellschaft integrieren kann?
    Kober: Zunächst einmal ist es ja wichtig wahrzunehmen, dass sie das längst sind. Die große Mehrzahl der Ausländer tragen zu unserer Sozialkasse bei. Wir haben das berechnen lassen von Professor Bonin vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, und es ist doch interessant, wenn man sieht, dass im Jahr 2012 tatsächlich 22 Milliarden Euro in die Sozialkassen von Ausländern eingezahlt wurde. Das ist natürlich eine Summe, die gar nicht so im Bewusstsein der Bevölkerung ist, weil natürlich die Bevölkerung vor allen Dingen vor Augen hat, dass der Anteil der Arbeitslosen unter Migranten höher ist, dass auch die Anzahl der Hartz-IV-Bezieher höher ist. Aber noch einmal: Das wird alles kompensiert durch die große Mehrheit der ausländischen Bevölkerung, die positiv in die Sozialkassen einzahlen.
    Qualifikationsniveau von Migranten anheben
    Meurer: Bevor wir über die eine oder andere Handlungsempfehlung reden, Herr Kober, liegt die Zahl vielleicht daran, dass viele Ausländer oder Migranten noch nicht in Rente sind und deswegen dieses Plus entsteht?
    Kober: Ja! Der Vorteil ist tatsächlich: Die ausländische Bevölkerung ist jünger als die deutsche Bevölkerung. Aber wir haben es auch berechnen lassen, um das zu kontrollieren, ob das so ein Effekt ist, der nur vom Alter herkommt. Aber die Ausländer, die heute beitragen, wenn man das auf ihre Lebensbilanz bezieht und das hochrechnet, dann bleibt immer noch ein Plus. Insofern ist das stabil.
    Die Frage ist aber tatsächlich: Wäre das alles nicht noch viel besser, wären die Beiträge nicht viel höher, wenn die Benachteiligung oder die schlechtere Lage der Ausländer am Arbeitsmarkt sich verändern würde, und da, denke ich, ist wirklich ein Schlüssel die Anhebung des Qualifikationsniveaus der Ausländer.
    Meurer: Wie kann man das machen?
    Kober: Wir haben in der Studie auch eine interessante Zahl. Die zeigt nämlich im Sinne auch einer Hochrechnung: Wenn es gelänge, dass die unter 30-jährigen Ausländer das mittlere Bildungsniveau erreichten, das heißt eine betriebliche Ausbildung machen würden, dann würde jeder einzelne pro Kopf in seinem Leben 118.000 Euro zusätzlich einzahlen in die Haushalte.
    Das ist ja eine interessante Summe, weil die zeigt uns, dass so viel Geld eigentlich auch der Staat in die Hand nehmen könnte, um verstärkt in die bessere Ausbildung von Ausländern, von jungen Ausländern zu investieren.
    Meurer: Jetzt wünschen sich natürlich alle, dass Migranten und Ausländer einen Schulabschluss absolvieren und bekommen. Dem ist aber weniger so als bei der Mehrheitsgesellschaft. Liegt das auch an der Bereitschaft der Elternhäuser, da nicht mit Nachdruck die Bildungskarriere ihrer Kinder zu fördern?
    Kober: Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass gerade bei Migranten, bei Ausländern die Bildungsaspirationen sehr hoch sind. Es ist nicht so, dass die Mehrzahl der Eltern nicht interessiert sei an der Bildung ihrer Kinder, sondern es gibt andere Hindernisse.
    "Angebote durchgängig der Sprachförderung bereitstellen"
    Meurer: Welche?
    Kober: Wir wissen, dass im Schulsystem es tatsächlich noch so ist, dass wir, obwohl wir ein Einwanderungsland sind - Sie haben das ja in der Anmoderation auch gesagt, dass auch das anerkannt wurde. Aber wenn man jetzt mal vergleicht, wie unsere Schulen aufgestellt sind in der Einwanderungsgesellschaft, und das mit anderen Einwanderungsgesellschaften wie Kanada oder Australien, Neuseeland vergleicht, dann sieht man, dass da eine viel systematischere Sprachförderung von Anfang an stattfindet.
    In Deutschland ist das besser geworden. Man hat auch Sprachstands-Erhebungen schon im Kindergarten-Alter eingeführt. Aber man muss natürlich dann auch die entsprechenden Angebote durchgängig der Sprachförderung bereitstellen, durch die verschiedenen schulischen Abschnitte auch.
    Meurer: Jetzt gibt es auch viele ausländische Jugendliche, Deutsche mit Migrationshintergrund, die sprechen perfekt Deutsch. Da kann man überhaupt nicht mehr hören, dass die einen ausländischen Hintergrund haben. Aber sie haben einen ausländischen Namen.
    Was halten Sie beispielsweise von der Idee, dass sich die Bewerber um Ausbildungsplätze in einem anonymisierten Verfahren bewerben, um nicht in diese Falle zu tappen?
    Kober: Ja. Das ist die große Hoffnung, dass damit Diskriminierungsmechanismen, die tatsächlich am Wirken sind, konterkariert werden können. Der Sachverständigenrat der Deutschen Stiftung für Migration und Integration hat tatsächlich auch eine Studie gemacht, die zeigt, dass Jugendliche mit türkischstämmigen oder mit arabisch klingenden Namen einfach schlechtere Karten haben, berücksichtigt zu werden bei der Bewerbung um einen Ausbildungsplatz. Und die Hoffnung ist, wenn diese Namen dann im Bewerbungsverfahren nicht dezidiert genannt werden, sondern in einer ersten Phase anonym man sich bewerben kann, tatsächlich nur die Noten, nur die Abschlüsse, nur die Kompetenzen, das Engagement darstellen können, ohne den Namen, dass das einen Unterschied machen könnte. Das muss man ausprobieren. Frau Özoguz, die Integrationsbeauftragte, empfiehlt das, auch der Sachverständigenrat empfiehlt das, und ich denke, das sollte man auf jeden Fall versuchen.
    Kober: Ausbildungsplatz für Migranten schwieriger zu bekommen
    Meurer: Noch ganz kurz die Frage: Gibt es denn die Ausbildungsplätze für Jugendliche mit Migrationshintergrund? Gäbe es sie denn?
    Kober: Ja! Es ist so, dass Betriebe Bewerber suchen. Das Schwierige ist oft der Missmatch, dass natürlich die Bewerber in Feldern sich drängen, wo sehr viele Bewerber sind, und dann wiederum Ausbildungsberufe sind, die nicht so attraktiv sind. Aber man muss halt schon auch feststellen, dass von den Ausbildungsplatz-Bewerbern 2013 zum Beispiel 29 Prozent derjenigen mit Migrationshintergrund direkt einmündeten in die betriebliche Ausbildung, aber bei denen ohne Migrationshintergrund waren es 44 Prozent. Man sieht schon, dass es für Jugendliche mit Migrationshintergrund schwerer ist, wirklich einen Ausbildungsplatz zu bekommen.
    Meurer: Heute ist Integrationsgipfel im Bundeskanzleramt. Topthema dort die Ausbildungssituation von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Ulrich Kober von der Bertelsmann-Stiftung, danke schön für die Zeit, die Sie sich für uns genommen haben. Auf Wiederhören.
    Kober: Sehr gerne! Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.