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Beteiligung der Bundeswehr an einem Irak-Krieg

Müller: Ich begrüße den früheren NATO-General, Hanno Graf zu Kielmansegg. Guten Morgen.

25.11.2002
    zu Kielmansegg: Guten Morgen.

    Müller: Graf Kielmansegg, wir sind verabredet, um über ein mögliches militärisches Szenario zu sprechen. Wenn es dazu kommen sollte, also im Falle einer Nicht-Einhaltung der UNO-Auflagen, wie sehen Sie dann die Rolle der NATO?

    zu Kielmansegg: Die Rolle der NATO ist ja zunächst mal und immer die eines Verteidigungsbündnisses, aber das einzige Militärbündnis im Gegensatz zur UNO, und das ist die Bedeutung, die über präsente Führungs- und Militärsysteme verfügt, um überhaupt militärisch halbwegs wirkungsvoll eingreifen zu können. Dennoch denke ich, dass zunächst einmal, wenn die UNO-Resolution nicht erfüllt wird und es daraufhin, unter was für Bedingungen auch immer, unter Umständen zu einem Krieg kommt, die UNO gefordert ist. Die UNO muss das dann als einen Fall erklären, in dem eine Intervention in irgendeiner Form gerechtfertigt ist. Sie hat das bereits vorweggenommen. Sie wird sich dann aber auf NATO-Waffensysteme, Truppen unter Unterstützung - das heißt natürlich zunächst einmal vor allem amerikanische - abstützen müssen. Die NATO tritt sozusagen offiziell erst dann als Bündnis ein, wenn der Bündnisfall erklärt worden ist, wie das zum Beispiel nach dem 11. September, den Attentaten in Amerika, geschehen ist.

    Müller: Kann denn in diesem Fall, also im Falle einer militärischen Intervention gegen Bagdad, gedeckt durch die UNO, der Bündnisfall der NATO erklärt werden?

    zu Kielmansegg: Das ist sicherlich eine rechtlich nicht einfache Frage, weil in diesem Falle zunächst einmal im Gegensatz zu dem, was mit den Terrorangriffen der Fall war, ein Terrorakt, den man als einen Angriff verstehen könnte, wahrscheinlich nicht vorliegt. Wenn das Verhalten Iraks sozusagen als eine potenziell aggressive Handlung ausgelegt werden kann, und das ist jetzt im Moment sozusagen nicht zu definieren, dann kann der Bündnisfall erklärt werden. Zu einer reinen UNO-Amtshilfe einzugreifen wird sicherlich außerordentlich schwierig werden.

    Müller: Könnte es nicht so sein, dass die UNO sozusagen den Verstoß der Auflagen beschließt, und damit folgt aus der UNO-Resolution heraus automatisch der Waffengang, und man bedient sich daraufhin lediglich der militärischen und logistischen Infrastruktur der NATO?

    zu Kielmansegg: Das ist sicherlich eine der Möglichkeiten. Das wird dann wahrscheinlich gar nicht mal unter der Gesamtüberschrift NATO-Eingreifen laufen, sondern das sind dann NATO-Mitglieder - natürlich wiederum vor allem die Amerikaner, aber wir Deutschen sind da natürlich mit im Boot, das ist gar keine Frage -, die diese Mittel für eine militärischen Intervention zur Herstellung der Zustände, wie sie die UNO-Resolution sozusagen vorschreibt beziehungsweise als Ziel definiert hat.

    Müller: Was heißt das für die deutsche Bundesregierung beziehungsweise für die deutsche Haltung konkret? Sie sagen, die Deutschen sind dann im Falle einer NATO-Beteiligung, wie auch immer rechtlich und politisch definiert, mit im Boot. Ist man dann nur im Keller oder auch an Deck?

    zu Kielmansegg: Man wird versuchen, im Keller zu bleiben, um mit ihrem Bild zu sprechen, obwohl das sicherlich nicht einfach sein wird. Es ist ja jetzt bereits eine amerikanische Anfrage da, die fragt, ob in einem solchen Falle Deutschland auch unter den derzeitig von Kanzler Schröder und Außenminister Fischer auch noch mal in Prag abgegebenen Erklärungen bereit sei, bestimmte logistische Unterstützung zu liefern, das heißt also zum Beispiel Bewachung amerikanischer Stützpunkte, Überflugrechte, unter Umständen sogar Transport von Material, vielleicht Hilfe im Sanitätsbereich und ähnliche Maßnahmen, die natürlich Teil einer solchen militärischen Aktion sind. Ich denke, dass das etwas ist, was Deutschland nicht ablehnen kann und auch nicht wird. Wir sind ja bereits jetzt in der NATO und, wenn man so will, auch in der UNO durch die deutsche rigoros ablehnende Haltung bisher weitgehend isoliert, und das heißt auch, einflusslos.

    Müller: Also sagen wir, aus dem Geist der NATO heraus, wenn ich Sie richtig verstanden habe, kann die Bundesregierung, die Bundesrepublik eine logistische Unterstützung nicht ablehnen? Ist eine logistische Unterstützung nicht auch eine Beteiligung?

    zu Kielmansegg: Das kann man so nennen. Das ist interpretationsfähig und das wird sicherlich von der Regierung insofern nicht als eine direkte Unterstützung eines Waffenganges genannt werden, damit sie mit ihrer bisherigen deklaratorischen Politik mit der Nicht-Teilnahme in Übereinstimmung bleibt. In Wirklichkeit und realistisch gesehen ist es natürlich eine Teilnahme. Das war von Anfang an im Grunde genommen klar, dass wir uns nicht völlig raushalten können und diese kategorische Wahlaussage von Bundeskanzler Schröder - wir nehmen an einem Krieg gegen den Irak nicht teil, UNO-Resolution hin oder her - , war nie in dieser Rigorosität aufrecht zu erhalten, und das wusste Bundeskanzler Schröder im Grunde genommen auch. Das heißt also, wir können und müssen uns auch insofern zurückhalten, dass wir keine Truppen dahin senden, aber eine Intervention besteht aus einem komplexen Gebilde von Unterstützung und Aktionen vor Ort, auf dem Schauplatz, um den es geht, und in diesem hinteren Bereich, sozusagen in der Etappe, werden wir nicht nur gefragt werden, sondern wir werden dann auch nicht Nein sagen können, und zwar sowohl aus Überlegungen unserer Mitgliedschaft im Bündnis der NATO wie auch aus Überlegungen unserer Mitgliedschaft in der UNO.

    Müller: In wie weit, Graf zu Kielmansegg, könnte es denn problematisch werden, dass wir keine Truppen - das ist der politische Wille, der erklärt worden ist - einsetzen werden? Es gibt aber Truppen in der Region. Nehmen wir das Beispiel Kuwait: die Spürpanzer, rund 50 Soldaten, 6 Spürpanzer zur ABC-Abwehr. In wie weit könnte das problematisch werden?

    zu Kielmansegg: Das ist zunächst einmal in der Praxis natürlich überhaupt nicht problematisch. Diese Spürpanzer sind ja in dem Sinne keine Waffensysteme, sondern sie sind fahrende und beschützte Labors zur Erkennung von atomaren und vor allem chemischen und biologischen Kampfstoffen und ihrer Unschädlichmachung, das heißt also, das ist eine sehr defensive Aufgabe. Diese Soldaten und Spürpanzer in Kuwait werden, wenn es dort zu einem solchen Einsatz kommen sollte - wenn ich dort sage, meine ich erst einmal Kuwait selber - eingesetzt werden können. Wenn sie in dem benachbarten Bereich, wo Alliierte tätig sind, zu deren Schutz angefordert werden, dann wird es, nicht nur bündnisrechtlich sondern auch moralisch, außerordentlich schwierig sein, diesen Schutz zu verweigern. Auch das wird wahrscheinlich als eine Nicht-Teilnahme an einem bewaffneten Akt, und auch mit einer gewissen Berechtigung, deklariert werden, aber natürlich ist es eine Unterstützung der intermilitärischen Intervention im Irak. Das ist natürlich auch völlig richtig so, denn wenn wir diese Dinge, diese Minimalbeistände nicht leisten würden, dann hätten wir uns nun wirklich für lange Zeit aus dem Bündnis, zumindest was unseren Einfluss und unser Ansehen betrifft, herauskatapultiert, und das amerikanisch-deutsche Verhältnis wäre in einem noch höheren Maße beschädigt als es das jetzt schon ist.

    Müller: Vielen Dank für das Gespräch. Das war der frühere NATO-General, Hanno Graf zu Kielmansegg.