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"Betreten verboten" für Bootsflüchtlinge

In Australien wird am 21. August gewählt. Der konservative Herausforderer Tony Abbott setzt auf ein populäres Thema: Die Angst vor den illegalen Zuwanderern und vor Asylbewerbern. Dabei hat der gebürtige Brite selbst einen Migrationshintergrund.

Von Andreas Stummer |
    Breites Versicherungsvertreterlächeln, den Seitenscheitel wie mit der Pinzette gezogen, Krawatte und hochgekrempelte Hemdsärmel: Tony Abbott, 52, Chef der australischen Konservativen und erklärter Fitnessfanatiker, will sein Land auf Vordermann bringen. Sein Slogan für die Wahl ist: "Geradestehen für Australien”. Dazu will Abbott, wie er sagt, eine Invasion aufhalten: Eine Armada von illegalen Asylbewerbern.

    Die Boote, von denen Abbott spricht - abgetakelte, kaum seetüchtige Fischkutter – kommen aus Indonesien. An Bord sind Asylbewerber aus dem Irak, aus Iran, Afghanistan und Sri Lanka, sie kommen mit Hilfe von Menschenschleppern und sind auf dem Weg ins gelobte Land. Doch in Tony Abbotts Australien heißt es für Bootsflüchtlinge: "Betreten verboten". Für den gebürtigen Engländer sind die Grenzen des Einwanderungslandes Australien so löchrig wie ein Schweizer Käse. Schuld daran sei nur die Regierung:

    "Man kann den Sozialdemokraten beim Thema Asylbewerber nicht über den Weg trauen, denn sie haben das Problem geschaffen. Ich sage den australischen Wählern: Um die Boote aufzuhalten, braucht es einen Regierungswechsel."

    Das "Problem", von dem Abbott spricht, ist ein humanerer Umgang mit Flüchtlingen. Labor-Politik, seit die Sozialdemokraten die Konservativen vor drei Jahren an der Macht abgelöst haben: Weg mit Internierungslagern auf kleinen Südseeinseln und Wüstencamps im Outback, keine Frauen und Kinder mehr hinter Stacheldraht und höchstens sechs Monate, um Asylanträge zu bearbeiten.

    Doch das war, bevor die Boote kamen. 2009 stoppte die Marine nicht einen einzigen Kutter mit Asylbewerbern, in diesem Jahr aber sind es bereits mehr als 150 – insgesamt 5000 Bootsflüchtlinge. Gewinnt Tony Abbott die Wahl, dann will er die Boote noch auf hoher See zur Umkehr zwingen, Labor-Premierministerin Julia Gillard ist empört:

    "Lassen sie mich eines klipp und klar sagen: Unsere Nation würde nie tatenlos dabei zusehen, wie Kinder einfach ertrinken. Wir sind Australier und keine Unmenschen. Die Flüchtlingsboote wieder zurückzuschicken, das ist barbarisch. Wer das will, der hat keine Ahnung, was Australier wirklich denken. Wir haben weit mehr Charakter."

    Ein paar Zahlen: Australien nimmt jährlich 13.000 Flüchtlinge auf, die Bevölkerung aber wächst im gleichen Zeitraum um mehr als 450.000 Einwohner, Tendenz steigend: Vor allem dank einer hohen Zuwandererquote. Die Zahl der Bootsflüchtlinge liegt bei jährlich 5.000. "Bei nur 5.000", betont Flüchtlingsanwalt Julian Burnside. Für ihn ist das nicht mehr als ein Tropfen im Ozean:

    "Wenn weiter so viele Bootsflüchtlinge in Australien ankommen wie die vergangenen 12 Monate, dann dauert es 20 Jahre bis auch nur das Fußballstadion in Melbourne voll ist. Wer sich davon bedroht fühlt, der ist nicht ganz bei Trost."

    Trotzdem bestimmt die angebliche "Flut" der Bootsflüchtlinge die Debatte um Asylbewerber in Australien. In den Schlagzeilen, in den Abendnachrichten – und im Wahlkampf. "Julia Gillard wird die Boote nicht aufhalten, Tony Abbott schon" – behaupten die Konservativen. Labor dagegen zieht mit dem Versprechen, zusammen mit Australiens Nachbarn eine regionale Lösung für Asylbewerber zu finden, in den Wahlkampf.

    Flüchtlingshilfsgruppen aber sind sich einig: In Sachen Bootsflüchtlinge liegen beide Parteien völlig falsch. Und sie lenken ab vom eigentlichen Problem: Denn die große Mehrheit der Asylbewerber in Australien kommt nicht durch die Hinter-, sondern durch die Vordertür.

    Der Internationale Flughafen Sydney, der größte des Landes. Jeden Tag landen dort etwa 10.000 Passagiere mit einem Touristenvisum. Manche bleiben nur ein paar Wochen, wer arbeiten darf, vielleicht ein, zwei Jahre. Aber für einige der Neuankömmlinge ist Australien Endstation. Ein Flug ohne Rückreise.

    Täglich kommen etwa 100 Asylbewerber, ganz legal, in Australien an. Statt einem Menschenschmuggler tausende Dollar für die Boots-Überfahrt von Indonesien zu zahlen, kaufen sie einfach ein Flugticket. Sind sie erst einmal im Land, beantragen sie Asyl. "Über sie spricht niemand", beklagt Bob Brown, der Chef der Grünen. Sie sind aus den Augen und aus dem Sinn:

    "Ganze vier Prozent der Menschen, die im lezten Jahr in Australien um Asyl gebeten haben, kamen im Boot – 96 Prozent mit dem Flugzeug. Aber sie werden verschwiegen. Sie können sich, bis ihr Asylantrag bearbeitet ist, frei bewegen – und sitzen nicht in einem Auffanglager wie die Bootsflüchtlinge. Aber lieber machen wir aus denen, die mit ihren Familien übers Meer vor Verfolgung fliehen, Sündenböcke. Sie haben keinen rechtlichen Beistand und sind hilflose Figuren in einem politischen Spiel, bei dem Wählerstimmen zu gewinnen sind."

    Und dann sind da noch die, die sich wirklich illegal in Australien aufhalten. Sie kamen mit gültigen Reisedokumenten und sind einfach geblieben, untergetaucht. Auch nach Ablauf des Touristenvisums. Mehr als 60.000 sogenannte "Overstayer" leben derzeit in Australien. Manche seit Jahrzehnten. Sie kommen aus Ländern wie Neuseeland, den USA, Irland oder Südafrika. Die größte Gruppe aber stammt aus England. Wie Vince aus Süd-London. Er lebt seit zwölf Jahren ungesetzlich in Sydney:

    "Ich bin hier in Adelaide im Februar 1998 angekommen. Mein Touristenvisum war sechs Monate gültig und ich habe nicht im Traum daran gedacht, so lange hier zu sein. Aber es hat mir so gut gefallen, dass ich einfach geblieben bin. Ich genieße mein Leben in Australien. Es ist einfach viel entspannter hier."

    Vince, etwa Ende 30, sitzt in Shorts und ausgewaschenem T-Shirt, ein Dosenbier in der Hand, im Innenhof des "Glebe Backpackers", einer Herberge für Rucksacktouristen in Sydney. Seit zwei Jahren wohnt er hier in einem möblierten Einzelzimmer, 100 Euro die Woche, die Dusche ist auf dem Gang. Arbeit hat er genug, auch ohne gültiges Visum. Als Möbelpacker, auf dem Bau oder in Kneipen. Geld gibt’s immer in bar, ohne viel Fragen. Nicht einmal seine Freunde wissen, dass er illegal im Land ist.

    Vince hat von den Razzien der Einwanderungsbehörde gehört: 14.000 Overstayer werden jedes Jahr in Australien verhaftet: In Fabriken, auf Farmen oder Baustellen. Bis sie abgeschoben werden, kommen sie in Haft. Oft monate-, manchmal jahrelang. Vince aber weiß genau: Sollte er einmal bei der Schwarzarbeit erwischt werden, dann käme er mit einem blauen Auge davon:

    "Wenn ich am Mittwoch zurück nach England wollte, dann würde ich Montag mit einem Flugticket zum Einwanderungsamt gehen und sagen: "Leute, ich habe mein Visum um Jahre überzogen, aber jetzt fliege ich heim." Sie würden mir die Leviten lesen und mir fünf Jahre kein Touristenvisum mehr geben – aber einsperren würden sie mich nicht. Denn ich komme aus einem westlichen Land und nicht aus Afghanistan. Ich habe eine Heimat, in die ich zurückkehren kann."#