
Im Vorwort zu ihrer wunderschönen Graphic Novel „Milch ohne Honig“ schreibt die Künstlerin Hanna Harms „Eine Welt ohne Bienen wäre eine graue Welt. Eine düstere Zukunft. Denn die Welt der Bienen ist auch die der Menschen.“ Was sie dann in ihren Bildern erzählt, ist „eine Geschichte über die Bienen und ihr Verschwinden“, was ihre Graphic Novel entwirft, ist „ein Raum zwischen Poesie und Wissenschaft. Schatten der Zukunft. Und ein Hoffnungsschimmer“.
Furchenbienen, Blattschneiderbienen, Schneckenhausbienen, Sandbienen, Seidenbienen und Mauerbienen - an die 600 verschiedene Wildbienen leben in Deutschland. Sie leben meistens alleine und bauen Nester mit Nahrung für ihre Nachkommen, bevor sie bald darauf sterben. Der Bienenlebenszyklus beginnt aufs Neue, wenn die nächste Generation Wildbienen schlüpft. Dass eine Generation stirbt, bevor die nächste lebt, dass Leben gleichsam aus dem Nichts entsteht, hat die Menschen seit der Antike fasziniert. Mehr 130.000 Imkerinnen und Imker gibt es in Deutschland. Dennoch muss die Gegenwart darüber nachdenken, dass Wildbienen, wenn sie aussterben, ein Blumen- und Pflanzensterben verursachen.
Die Bienen erscheinen seit Jahrtausenden in mythischen Erzählungen und sind Gegenstände bildnerischer Darstellungen. Als hätten wir schon immer gewusst, dass unsere Existenz eng an ihre gebunden ist. Indem wir süßen Honig essen, wiederholen wir Amors Diebstahl. Ein Honigdieb, ein Keriokleptes, heißt der Liebesgott seit dem 3. Jahrhundert vor Christus in antiken Schriften. Lukas Cranachs Gemälde „Venus mit Amor als Honigdieb“ ist das berühmteste, aber nur eines von etwa dreißig Bildern aus dem frühen 16. Jahrhundert, die dieses Motiv verhandeln. Manche stellen sich vor, Cupidos Pfeile seien in Honig getränkt, wenn er sie abschießt, um jemanden mit Zuneigung, Begehren oder Liebeswahnsinn zu treffen.
Wiebke Hüster ist seit mehr als zwei Jahrzehnten die Tanzkritikerin der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Sie berichtet auch im Deutschlandradio über die aktuellen Entwicklungen dieser Kunstform in all ihren Facetten. 2017 hat sie ihre Liebe zur Natur zum neuen Thema in der Zeitung entwickelt. Für das Feuilleton schreibt sie seitdem Essays über Wald, Wild, Landwirtschaft und Jagd. Ihre aktuelle neue Serie heißt „Zurück zur Natur“. Sie verbringt viel Zeit draußen und im Gespräch vor Ort mit den Berufsjägern, Förstern, Landwirten und Wissenschaftlern ihres über die Jahre gewachsenen Experten-Netzwerks. Die 59-Jährige ist Mutter von drei Kindern und lebt in Frankfurt am Main.
Die Liebe zu den Bienen ist notwendigerweise eine abstrakte. Die Biene hat zwar einen Pelz, aber sie ist zu klein, um gestreichelt zu werden, und zu wehrhaft: Sie sticht. Sie hat kein Fell, das Menschen wärmen kann, man kann sie nicht essen, nur etwas, das sie herstellt. Man kann nicht mit ihr kommunizieren, aber sie kommuniziert mit ihresgleichen. Sie lebt in Völkern, in einer komplizierten und grausame Züge aufweisenden Organisationsform. Sie ist nur einige Millimeter groß, und doch weiß sie, wohin sie ausschwärmt und wie sie zum Stock zurückkkehrt. Wir können in ihren Stock hineinschauen, aber nicht in den Kopf einer Biene. Die Biene, sie ist das abstrakte Tier. Und vielleicht deshalb ein Ort kultureller Einschreibungen, Projektionen und Imaginationen.
„Are bigger brains better?“ – „Sind größere Gehirne von Vorteil?“, fragt ein Aufsatz von Lars Chittka und Jeremy Niven 2009 in der Zeitschrift Current Biology, Aktuelle Biologie: Ein Thema, das die Kognitionsbiologen brennend interessiert, gerade wenn sie die Biene betrachten. Ihren Aufsatz Cognitive architecture of a mini-brain: the honeybee veröffentlichten Randolf Menzel und Martin Giurfa bereits 2001 in Trends in Cognitive Sciences.
Die Biene mag winzig sein und einen kleinen Kopf haben, aber sie organisiert sich den Jahreszeiten folgend in einem Staat mit Aufgabenteilung. Ein Bienenvolk kann nie aussterben, sozial betrachtet, obwohl die einzelnen Arbeiterinnen, Drohnen und Königinnen natürlich sterben. Und als wäre das nicht erstaunlich genug - muss man nicht sogar von Bienen mit einem Fachausdruck der Biologen als ‚Werkzeugspezialisten‘ sprechen, da sie das Wachs zu Waben bauen?
„Es steht außer Frage, dass bei vielen Arten Werkzeuggebrauch die Folge einer evolutionären Spezialisierung mit entsprechender adaptiver Funktion ist, ähnlich wie andere Verhaltensspezialisierungen, etwa bestimmte Gesten oder Gesichtsausdrücke, oder morphologische Spezialisierungen, wie die Schnäbel von Darwinfinken. So gesehen wären die Verwendung von Steinen bei Schmutzgeiern, um die Eier von Straußen zu öffnen, oder die Verwendung von Steinen bei Grabwespen, um den Eingang ihrer Grabgänge zu blockieren, auch Beispiele von Verhaltensspezialisierungen.“
Ludwig Huber: Das Rationale Tier. Eine kognitionsbiologische Spurensuche
Ludwig Huber: Das Rationale Tier. Eine kognitionsbiologische Spurensuche
Grabwespen zählen zur Ordnung der Hautflügler und sind den Bienen eng verwandt. Die Bienen, lateinisch Apiformes, rechnen ebenfalls zu den Hautflüglern.
„Auch kleine Tiere müssen mit kleinen Hirnen teilweise komplexe Probleme lösen, ob bei der Navigation, im Leben in großen Gemeinschaften und so weiter. Tatsächlich finden wir erstaunliche Denkleistungen bei Tieren mit winzigen Gehirnen wie Bienen und Wespen.“
(Ludwig Huber)
(Ludwig Huber)
Wespen, Honigbienen und Wildbienen sind gar nicht so leicht zu unterscheiden. Sie können sieben Millimeter klein sein, manche erreichen aber auch 19 Millimeter und sind damit mehr als doppelt so groß. Man stelle sich diese Größenunterschiede bei Menschen vor.
Gleich ist allen Arten der dreigliedrige Insektenkörper mit Kopf, Brust und Hinterteil. Am Kopf sitzen die Mundwerkzeuge und Fühler. Mit dem Leckrüssel saugt die Biene den Nektar ein. Ihre Kiefer können Pollen zerkleinern. Außerdem befinden sich zwei Facettenaugen und drei Punktaugen am Kopf.
An der Brust sind die beiden Flügelpaare befestigt, außerdem sechs Beine, die jeweils besondere Funktionen haben. Die Vorderbeine dienen der Reinigung, mit den Mittelbeinen können Pollen gesammelt und festgeklopft werden, zum Transport der Pollen werden diese dann an die Hinterbeine gereicht.
Der Hinterleib birgt Drüsen, Verdauungsorgane und Geschlechtsorgane. Am Hinterleib sitzt außerdem der Giftstachel.
Bienen haben eine starke Brustmuskulatur. Mit ihr können sie durch Zittern beim Zusammenkuscheln die Temperatur im Nest oder Stock auf 35 Grad Celsius bringen. Mit den Brustmuskeln schaffen sie bis zu 150 Flügelschläge in der Sekunde, so können sie bis zu 30 Stundenkilometer schnell fliegen.
Bereits 7.000 Jahre vor Christus haben Menschen den Wildbienen Honig gestohlen. Im Mittelalter nannte man das Zeideln, der Imker, der Zeidler, holte das Produkt vom Tier weg. Die Honigbiene Apis mellifera wird als Nutztier seit spätestens 600 vor Christus in sogenannten Beuten gehalten. Bienen sind der Quell köstlicher Heilnahrung, geheimnisvoll in ihrem Schwärmen, Tanzen und Summen und in der Völkerbildung.
„Nun betracht ich die himmlische Gabe des Honigs, der aus der Luft kommt“
…dichtete Vergil. Bis heute ist es der Forschung nicht gelungen, alle biologischen Fragen hinsichtlich des Bienenlebens und Bienensterbens zu klären. Die griechische Naturphilosophie nahm die sogenannte Bugonie oder generatio spontanea an, also die Möglichkeit, dass sich in einem Tierkadaver, etwa von einem Ochsen, Bienenvölker bilden könnten. Es müssen, wie wir heute wissen, Wespen gewesen sein.
Aristaeus soll als erster Imker in der Antike diese Wunderzeugung bewirkt haben, wie ein herrlicher Kupferstich, den Cornelis Cort 1565 nach Frans Floris anfertigte, darstellt. Das Bild, das den muskulösen Pionier mit zwölf Bienenkörben zeigt, trägt den Titel „Aristaeus Inventor Mellis“ – als hätte Aristaeus den Honig erfunden. Wohl eher gefunden! Bei Vergil kann man Aristaeus‘ Genealogie nachlesen: Der Vater des Landwirts war Apoll, seine Mutter die thessalische Quellnymphe Kyrene. Aristaeus hatte seine Bienen nicht verdient, denn er war es, vor dessen brutalen Nachstellungen Eurydike flüchten musste, eine Flucht vor Vergewaltigung, auf der sie den tödlichen Schlangenbiss erlitt. Vielleicht stellt ihn Cort deswegen so über die Maßen muskelbepackt und auch etwas hochfahrend dar.
Vergil schrieb in Georgica über Landwirtschaft und richtete sich mit dem vierbändigen, zwischen 37 und 29 vor Christus entstandenen Werk an Kaiser Augustus und die römischen Eliten. Reiche Ernten sollten Rom und das Römische Reich erstarken lassen. Einer von vier Teilen des Werks ist den Bienen gewidmet. Einem Freund von Augustus, dem Maecenas, schreibt Vergil darin diese Widmung:
„Nun betracht ich die himmlische Gabe des Honigs, der aus der Luft kommt. Du beachte auch diesen Abschnitt, Maecenas. Dir will das wunderbare Schauspiel des winzigen Kosmos, hochgemute Führer, der Reihe nach eines ganzen Volkes Sitten und Wirken, die Völker und Schlachten ich schildern. Kleinem gilt meine Mühe; doch klein ist der Ruhm nicht, wenn einen neidische Götter nur tun lassen und auf Gebete Apoll hört.“
Den Staat mit dem Bienenstaat zu vergleichen, das Kleine als Vorbild des Großen zu begreifen, bleibt auch nach Vergil ein beliebtes Motiv. Die Bienen als Symbole von Fleiß, Disziplin und perfekter Organisation in einer hierarchischen Ordnung prädestinieren sie zum Wappentier, zum Schmuck, zur Verzierung aller möglichen Kleidungsstücke und Gegenstände. Als Napoleon nach Elba verbannt wird, wird er in einer Karikatur dargestellt. Das Bild zeigt, wie die auf seinen kaiserlichen Umhang gestickten Bienen auffliegen und fliehen. Bezogen ist die symbolische Verwendung immer auf die als Nutztier gehaltene Staatsbiene. Dabei ist die Unterscheidung zwischen den in Imkerhaltung Lebenden und den wild Lebenden keine genetische, sondern leitet sich aus den Lebensumständen und der Ökologie der Völker her. Aber was will man von den wissenschaftlichen Darstellungen der Biene in früheren Jahrhunderten erwarten, wenn man weiß, dass bis ins 17. Jahrhundert nicht bekannt war, dass es sich um eine Bienenkönigin handelt. Bis dahin sprach man von einem Bienenkönig im Zentrum des Staates.
In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts glaubten die Leute allerdings auch noch an Einhörner, wie man in der Historiae Naturalis de Quadrupedibus, der Naturgeschichte der Vierfüßler sehen kann, die Johannes Jonstonus 1657 veröffentlichte.
Weder Jungköniginnen noch Drohnen machen bei der Paarung Unterschiede zwischen im Wald oder in Beuten lebenden Artgenossen, weswegen der ständige genetische Austausch zwischen Nutz- und Wildtieren gewährleistet ist.
Trotzdem wird für Naturschutzgebiete diskutiert, ob dort wirklich Bienenstöcke mit Honigbienen aufgestellt werden sollen. In einigen Naturschutzgebieten ist das erlaubt. Wenn es sich um blütenarme Landschaftsgebiete handelt, macht die Anwesenheit zu vieler Honigbienen das Überleben für gefährdete Wildbienenarten unter Umständen schwieriger. So heißt es im Jahresbericht der Deutschen Wildtierstiftung von 2023:
„Eines dürfen wir bei alldem aber nicht übersehen: Die eigentliche Ursache dafür, dass Wildbienen gefährdet sind, ist nicht die Nahrungskonkurrenz zu den Honigbienen. Vielmehr ist es der Verlust von struktur- und blütenreichen Lebensräumen, der ihnen und anderen Insekten – auch der Honigbiene – zu schaffen macht. Die Imkerei ist nicht Auslöser der Gefährdung und darf nicht als Sündenbock dienen. In struktur- und blütenreichen Landschaften können Wildbienen durchaus mit einer angemessenen Zahl an verantwortungsvoll gehaltenen Honigbienenvölkern zurechtkommen.“
Bienen sind intelligent, sie sind mutig und wissen ihre Waffen einzusetzen. Wenn Erdhummeln, die auch zu den Wildbienen zählen, im Frühjahr eine Erdhöhle entdecken, die sie gerne zu ihrem Habitat machen wollen, gehen sie keinem Kampf aus dem Weg. Sollten etwa Mäuse diese Höhle gebaut haben und bewohnen, setzt die Erdhummel-Königin ihren Stachel ein und vertreibt die Maus.
In dem englischen Kinderbuchklassiker des 19. Jahrhunderts, The tale of Mrs Tittlemouse von Beatrix Potter, versucht eine Biene genau das – sich nämlich in der reinlichen Niederlassung der Maus einzuquartieren. Babbitty Bumble, die Hummelkönigin, hat im Moos eines leeren Lagerraums in dieser Mäusehöhle bereits einige ihrer Arbeiterinnen untergebracht, natürlich ohne Wissen von Mrs Tittlemouse.
„‚Ich sehe doch die Spuren schmutziger kleiner Füße‘. Hinter der nächsten Biegung stand sie plötzlich vor Babbity Bumble – ‚Zizz, Bizz, Bizz!‘ sagte die Hummel. Mrs Tittlemouse sah sie streng an. Sie wünschte, sie hätte einen Besen. ‚Guten Tag, Babbity Bumble; ich wäre froh, etwas Bienenwachs zu kaufen. Aber was machst Du hier unten? Und warum fliegst Du immer durch ein Fenster herein und sagst ‚Zizz, Bizz, Bizz‘?‘ Mrs Tittlemouse wurde langsam ärgerlich.“
Versuchen Bienen den Trick, der mit der Maus funktioniert hat, bei Meisen in Nistkästen, haben sie unter Umständen Pech und werden von der Meise mit dem Schnabel gepackt und abtransportiert. Sie haben Glück, wenn dabei kein Flügel beschädigt wird, denn das wäre das Todesurteil. Mögen Honigbienen, Hummeln oder Wespen sich an ungewöhnlichen Plätzen niederlassen, in Nistkästen, Mäuselöchern oder toten Ochsen, letzten Endes wird ihnen der Honig von Menschen gestohlen, so gut können sie ihre Behausungen gar nicht sichern.
Ein frühes berühmtes Beispiel eines solchen Räubers ist Amor, er stahl gerne den süßen Nektar bei Wildbienen. Der Liebesgott ist ein Honigdieb, griechisch Keriokleptes. Das steht in seiner Akte, man kann es in antiken Schriften aus dem 3. Jahrhundert vor Christus nachlesen. Auf Lucas Cranachs Gemälde „Venus mit Amor als Honigdieb“ ist die Szene zu sehen; es ist das berühmteste, aber nur eines von etwa 30 Bildern aus dem frühen 16. Jahrhundert, die dieses Motiv verhandeln. Manche stellen sich sogar vor, Cupidos Pfeile seien in Honig getränkt, wenn er sie abschießt, um jemanden mit Zuneigung, Begehren oder Liebeswahnsinn zu treffen. Der Schmerz sei trotz allem süß, diese Assoziation kann man haben. Bei Theokrit heißt es, Amor sei hungrig gewesen. Wollte er also nur naschen, als er in den hohlen Baumstamm griff, um dem wilden Bienenstock den Honig zu entwenden? Mundraub oder nicht, der Erzählung nach stechen die gereizten Bienen den Gott, was dieser gegenüber seiner Mutter beklagt. Wie können nur so kleine Wesen so schlimme Schmerzen verursachen, fragt er sie. Doch Venus antwortet lachend, dasselbe könne man von ihm sagen, dem nackten Verfolger mit Pfeil und Bogen, selbst nicht größer als ein Kleinkind.
Hätte Amor es mit Handschuhen versuchen sollen, wenn er diese Nahrungsquelle regelmäßig frequentierte? Doch selbst Imker machen das meistens nicht, sie greifen in der Regel ohne Handschuhe in die Beute, also den Bienenstock. Ihren Kopf allerdings schützen sie bei der Arbeit an den Bienen mit dem Imkerhut, dessen Schleier an der Jacke so befestigt ist, dass es den Bienen unmöglich wäre, unter die Kleidung zu gelangen. Die Hände bleiben jedoch unbedeckt und doch werden Imker kaum je gestochen. Und wenn, dann passiert das nur, weil sie vielleicht beim Hantieren im Inneren aus Versehen eine Biene gedrückt haben. Nur dann stechen Bienen.
Engen Körperkontakt untereinander hingegen sind sie gewohnt. Ein sogenanntes Wirtschaftsvolk besteht aus 30.000 bis 50.000 Bienen, und unter idealen Bedingungen produzieren sie einmal im Frühling und noch einmal im Sommer je 20 Kilo Honig. Wenn die Arbeit mit den Bienen es erfordert, die Beute zu öffnen, benutzen Imker den sogenannten Smoker, ein Rauch verströmendes Gerät. Im Sommer schauen Imker mindestens einmal in der Woche nach ihren Völkern. Ist die Königin da? Ist Brut in allen Stadien vorhanden? Der Rauch lässt die Bienen glauben, dass es irgendwo bei ihnen brennt. Ihre Reaktion auf das vermeintliche Feuer ist praktisch für den Imker. Der vermeintliche Feuerausbruch macht, dass sie sich mit Honig vollstopfen, um so viel wie möglich von dem Proviant mitzunehmen auf die Flucht an einen neuen sicheren Ort. Wenn sie das getan haben, anschließend aber merken, es gibt gar kein Feuer, werden die satten Tiere träge und ruhig. Nun kann der Imker zwischen ihnen agieren.
Bienenzüchter achten ohnehin auf bestimmte, in ihren Augen wünschenswerte Erbanlagen. Die Bienen sollen sanftmütig sein, schwarmträge und wehrhaft. Dass sie sanft zum Imker sein sollen, während der ihnen den Winterproviant stiehlt, erklärt sich. Schwarmträgheit bezieht sich auf den manchmal übermächtig werdenden Trieb domestizierter Bienenvölker auszuschwärmen, also die Beute einfach zu verlassen und nicht zurückzukommen. Wer einen Schwarm sieht, kann den nächsten Imker anrufen. Der erste Imker vor Ort darf den Schwarm mitnehmen. Er fängt die Königin, ihre Arbeitsbienen folgen dann von selbst. Es ist nicht auszuschließen, dass es zum Problem werden kann, die Sanftmut in Bienen zu sehr hervorzuzüchten.
Denn wehrhaft müssen sie gegenüber fremden Völkern sein. Es kommt unter den Bienen nicht selten vor, dass sie einander überfallen oder dass Wespen angreifen. Man hält die Öffnung der Beuten klein, um das Volk zu schützen und Attacken von außen zu erschweren. In der Nähe der Öffnungen sitzen immer kriegerische, zur Verteidigung abgestellte Bienen.
Diese Vorsichtsmaßnahmen schützen vor anderen Völkern, nicht aber vor Menschen.
„Wir Imker sind, aufrichtig gesagt, eigentlich die allergrößten Honigdiebe unter der Sonne; ein Name, bei dem uns jedenfalls auch die Bienen rufen würden, wenn sie nur könnten.“
… notierte schon Wilhelm Busch. Domestizierte Bienen sind nahe Begleiter unserer Kulturgeschichte. Das Schicksal heimischer wilder Honigbienen hingegen ist weitgehend unerforscht. Die Imkerei nimmt nicht nur die Honigerträge, sie pflegt ihre Völker auch, füttert, wenn notwendig, zu, versorgt sie mit Medikamenten gegen eingeschleppte Parasiten und fährt sie in Körben und Kisten zu blütenreichen Nahrungsquellen. Doch wer schaut nach den wilden Honigbienen, die im Verborgenen leben, etwa in von Spechten verlassenen Baumhöhlen? Im 19. Jahrhundert muss sich ein später sehr berühmter Lehrer und Naturforscher auf einer Expedition mit seinen Schülern, bei der es eigentlich um Vermessung geht, etwas ganz Besonderes beibringen lassen:
„Als geborene Forscher und Beobachter wussten die Schüler längst, wovon der Lehrer noch keine Ahnung hatte, dass nämlich eine große schwarze Biene sich auf den Kieseln des Harmas Erdnester baut, in denen Honig ist; und meine Feldvermesser öffneten und leerten die Zellen mit einem Strohhalm. Sie zeigten mir die Methode. Der Honig ist annehmbar, obwohl etwas streng. Auch mir schmeckte er, und ich schloss mich den Nestsuchern an. Das Vieleck wurde später behandelt. So sah ich Réaumurs Mauerbiene zum ersten Mal, ohne ihre Geschichte und ihren Chronisten zu kennen: Dieser prächtige Hautflügler mit den dunkelvioletten Flügeln und dem schwarzen Samtgewand, mit seinen schlichten Zellen auf den sonnenwarmen Kieseln im Thymian und mit seinem Honig, der uns Ablenkung bei den Schwierigkeiten von Kompass und Winkelmesser brachte, machte mir lebhaften Eindruck; und ich wollte mehr über ihn wissen, als die Schüler mich gelehrt hatten, nämlich mit einem Strohhalm Honig aus seinen Zellen zu rauben.“
Jean-Henri Fabres Erinnerungen eines Insektenforschers erschienen in Folgen ab 1879. Der 1823 geborene Forscher hatte sich ab 1870 zum Beobachter und Beschreiber von Insekten entwickelt und neben vielen anderen auch Grabwespen und Mörtelbienen porträtiert. „Jean-Henri Fabre denkt wie ein Philosoph“, so ein Zeitgenosse, „sieht wie ein Künstler und fühlt und schreibt wie ein Dichter“.
Etwas mehr als zehn Jahre bevor Fabre aus seinen entomologischen Studien schriftstellerische Erfolge zu machen beginnt, malt Hans Thoma einen sinnenden „Bienenfreund“ vor seinen Bienenkörben. Der melancholische Blick, den der „Bienenfreund“ auf dem Gemälde von 1863 auf Apis mellifera richtet, obwohl seine Körbe unter einem Strohdach und einer Baumkrone am Waldrand geborgen sind, könnte in dieser Zeit der Industrialisierung schon mit der Ahnung zu tun haben, wie die Dampfmaschinen und ihre Nachfolger in der Natur wirtschaften.
Heute ist mehr als die Hälfte der Wildbienenarten auf der Roten Liste gefährdeter Arten verzeichnet. Könnte man Honigbienen ‚renaturieren‘, im Sinne von ‚auswildern'? Es gibt einige wenige Nachweise, dass sich selbst überlassene Populationen von Europäischen Honigbienen durch Selektionsprozesse widerstandsfähig gegen Krankheiten und Schädlingsbefall wurden. Das Geheimnis ihrer Resilienzen könnte im Hinblick auf das Bienensterben überlebenswichtige Hinweise liefern. 2016 und 2017 haben die Bienenforscher Patrick Laurenz Kohl und Benjamin Rutschmann eine erste systematische Kartierung wilder Honigbienenvölker in Deutschland unternommen. Die Ergebnisse waren ermutigend. Der Nachweis, dass es noch wild lebende Bienenvölker bei uns gibt, war erbracht. Es bleibt die Frage, schreiben die Forscher in ihrem Bericht …
„…ob die Lebensumstände es ihnen erlauben, stabile Populationen zu bilden, und welche der Schlüsselfaktoren Nistplatzangebot, Nahrungsverfügbarkeit, Prädation und Krankheit ihr Überleben limitieren.“
Imker fürchten sich in der Hauptsache davor, eines ihrer Völker könne im Winter sterben. Aber gleich danach kommt die Furcht, eines ihrer Völker könnte abwandern und ein Leben ohne sie, in Wildnis, aufnehmen. Stirbt ein wildes Volk im zweiten oder dritten Winter, so Kohls These, dann hat es aber bis zu seinem Tod sicherlich einen überlebenden neuen Stamm begründet.
Es wird weniger schwer sich vorzustellen, wie Bienen ihre Stöcke verlassen und einfach im Wald ein neues Leben beginnen, wenn man das vielleicht Interessanteste an der wie ein Nutztier gehaltenen Apis mellifera, der Westlichen Honigbiene erfährt, nämlich, dass sie sich im Umkreis von zehn Kilometern frei um ihren Kasten herumbewegt. Sie sind eben Individuen, auch wenn sie bei Berufsimkern nach Millionen zählen. Wie so vieles, nimmt auch das Berufsimkertum in den Vereinigten Staaten noch einmal ganz andere Ausmaße an als in Europa. Das zeigt sich an dem Protagonisten eines Bienenromans, dem Berufsimker Gareth in Ohio, den die norwegische Schriftstellerin Maja Lunde in ihrem 2015 die Bestsellerlisten anführenden Roman Die Geschichte der Bienen schildert. Mit drei Lastwagen fährt er durch Amerika, um seine Bienen an verschiedenen Orten ganz verschiedene Blütenpollen sammeln zu lassen. Massenbienenhaltung sozusagen. In der folgenden Szene trifft er seine Nachbarin, die ungleich weniger Bienen hat als er.
„Gareth redete immer von Ausfällen, wenn er über die Bienen sprach. Als wären sie Nutzpflanzen. Er blickte in die Landschaft. ‚Wir werden uns jetzt auch mal für eine Runde hier niederlassen. Birnen.‘ ‚Keine Äpfel?‘ ‚Nein. Dieses Jahr sind Birnen dran. Ich habe einen größeren Hof an Land gezogen. Ich habe jetzt mehr Bienen, weißt du. Hudsons Farm ist zu klein für uns geworden.‘ Ich sagte nichts, nickte nur. Er nickte auch. (..) ‚Sie sind jetzt schon lange unterwegs. Es wird ihnen guttun, hier oben einen Platz zu finden.‘ Ich folgte seinem Blick. Übereinandergestapelte Magazinbeuten, allesamt fertigproduziert aus Isopor, waren mit Seilen auf den Trailern festgespannt und mit einem grünen, feinmaschigen Netz bedeckt. Das Motorengeräusch übertönte das Summen in den Beuten. (…) Gareths 4.000 Bienenstöcke waren das ganze Jahr auf Achse, sie kamen nie zur Ruhe. Den Winter verbrachten sie in den südlichen Staaten; erst blühte die Paprika in Florida, dann die Mandel in Kalifornien, danach ging es wieder zurück nach Florida zu den Orangen – oder besser gesagt Blutorangen, die in diesem Jahr anscheinend neu dazugekommen waren – und anschließend für drei oder vier Stationen im Laufe des Sommers nach Norden.“
In Europa haben die Sommerbienen, denen die Arbeit des Sammelns von Nektar und Pollen obliegt, ihre Kräfte nach etwa fünf Wochen verbraucht und sterben dann. Den Winterbienen ist ein Leben von mehreren Monaten sicher. Aber nicht immer überleben Bienenvölker die Zeit der Kälte, in der sie in einer sogenannten Wintertraube mit der Königin in der Mitte hängen und durch das Muskulaturzittern Wärme erzeugen. Auch wenn man sie gut betreut und zufüttert und die gefürchtete Varroamilbe sorgfältig bekämpft hat, kommt ein Imker mitunter im Frühling zu seinen Bienen und sieht sie dezimiert.
Das Bienensterben ist real, es ist Teil des Insektensterbens. Die Folgen sind dramatisch, Forscher sagen, die Bedrohung für den Menschen ist ähnlich groß wie durch den Klimawandel. Das Bienensterben hat Pflanzensterben zur Folge, denn es gibt Wildbienenarten, die jeweils nur eine Pflanze bestäuben. Stirbt eine solche Biene aus, stirbt die Pflanze mit ihr aus. Über etwa 400 Millionen Jahre hinweg haben sich die sogenannten Bestäuberinsekten gemeinsam entwickelt mit den Blütenpflanzen, die diese Bestäubung brauchen, etwa 300.000 verschiedene sind es. Viele dieser Pflanzen werden von Tieren und Menschen zur Ernährung gebraucht. Das Insektensterben hat auch ein Artensterben zur Folge, denn das Niederwild kann ohne Insektennahrung seinen Nachwuchs nicht aufziehen.
In ihrer 2022 erschienenen wunderschönen Graphic Novel schildert die junge Künstlerin Hanna Harms diese Zusammenhänge und bezieht sich nicht nur auf die Honigbiene, sondern auch Wildbienen, Hornissen, Fliegen, Schmetterlinge oder Ameisen. Milch ohne Honig heißt das so faktenreiche wie ästhetische Buch. Bevor man die ersten der zarten, nur in Schwarz, Weiß, Pollengelb und selten Blütenstaubrosa gehaltenen Zeichnungen sieht, beschreibt Harms ihr Vorhaben in jenen handschriftlichen schwarzen, dünnen Großbuchstaben, in denen der ganze Text gesetzt ist:
„Eine Welt ohne Bienen wäre eine graue Welt. Eine düstere Zukunft. Denn die Welt der Bienen ist auch die der Menschen. Eine Geschichte über die Bienen und ihr Verschwinden. Ein Raum zwischen Poesie und Wissenschaft. Schatten der Zukunft. Und ein Hoffnungsschimmer.“
Das gibt dem Titel eines Shakespeare-Liedes eine ganz neue Bedeutung. Es wird in Shakepeares Drama Der Sturm vom Luftgeist Ariel gesungen, während er seinem Herrn Prospero Mantel und Degen anlegt.
„Where the bee sucks, there suck I.”
Wo es der Biene schlechtgeht, geht es mir schlecht, das gilt für die Gegenwart. Shakespeare meinte das Gegenteil, das Vergnügen Ariels, sich ein Leben als Biene vorzustellen.
„Wo die Biene saugt, saug‘ ich; / Im Schooß der Primul lagr‘ ich mich; / Dort schlaf ich, wenn die Eule schreyt; / Ich flieg‘, in steter Munterkeit, / Fern von des Winters Ungemach / Dem angenehmen Sommer nach; / Wie fröhlich wird künftig mein Aufenthalt seyn / Unter den Blüten im düftenden Hayn!“
Was für ein Lied. Der beste britische Nature Writer, John Lewis-Stempel, weist in seinem neuesten, im Herbst 2024 erschienenen Buch England. A Natural History darauf hin, dass Shakespeare angesichts der Vielzahl bei ihm auftretender und besungener Insekten ein früher Entomologe genannt zu werden verdient. Honigbienen tauchen in so vielen Stücken auf, das Lewis-Stempel sie nicht alle aufzählt, für die Wespe führt er immerhin Der Widerspenstigen Zähmung an.
Wir müssen uns dies immer wieder vor Augen halten, wir müssen die Bienen aus der Welt der Symbole, aus der Abstraktion in unser Denken über die Wirklichkeit holen. Sonst werden wir sie verlieren, mit Folgen für unser Ökosystem, die alles andere als abstrakt sein werden.