Montag, 06. Mai 2024

Archiv


"Bild"-Vizechef: Politisch hat Wulff seinen Ruf verspielt

Christian Wulff hat den Deal zur Einstellung des Verfahrens gegen ihn abgelehnt. Martin Heidemanns, stellvertretender "Bild"-Chefredakteur und Autor des Buchs "Affäre Wulff", hält das für richtig. Es sei die einzige Möglichkeit für den Ex-Bundespräsidenten zu beweisen, dass er sich rechtlich korrekt verhalten habe. Dennoch habe er viele Gründe für die Einschätzung geliefert, dass er der falsche Präsident war.

Martin Heidemanns im Gespräch mit Christine Heuer | 10.04.2013
    Christine Heuer: 20.000 Euro gegen Einstellung des Bestechungsverfahrens gegen ihn – das war der Deal, den die Staatsanwälte in Hannover Christian Wulff angeboten haben. Der zurückgetretene Bundespräsident hat das gestern abgelehnt. Wulff will es auf einen Prozess ankommen lassen und er hofft in diesem Fall offenbar auf einen Freispruch erster Klasse. Seine Anwälte erklärten gestern in Hannover, warum genau der angebotene Deal aus ihrer Sicht nicht akzeptabel ist.

    O-Ton: "Die Vorwürfe, die gegen Herrn Wulff erhoben worden sind, sind unbegründet. Herr Wulff hat sich nichts zuschulden kommen lassen. Das Verfahren ist ohne Wenn und Aber einzustellen. Das Verfahren war lange Zeit von öffentlichen Vorverurteilungen geprägt. Herr Wulff war medial gleichsam schutzlos gestellt."

    Heuer: Christian Wulffs Anwälte Bernd Müßig und Michael Nagel gestern in Hannover. Die "Bild"-Zeitung war ein maßgeblicher Akteur bei der Enthüllung von Christian Wulffs tatsächlichen oder angeblichen Verfehlungen. "Bild"-Redakteur und stellvertretender Chefredakteur Martin Heidemanns ist jetzt am Telefon. Zusammen mit seinem Kollegen Nikolaus Harbusch hat er das Buch "Affäre Wulff" geschrieben. Guten Morgen, Herr Heidemanns!

    Martin Heidemanns: Guten Morgen, Frau Lauer!

    Heuer: Heuer – macht aber nichts. Christian Wulff hat vieles verloren: Amt, politische Zukunft, seinen Ruf, seine Familie. Tut er Ihnen eigentlich manchmal leid?

    Heidemanns: Ach, ich habe das ganze relativ emotionslos verfolgt, muss aber einräumen: Als ich das erste Foto sah, das sechs Wochen nach seinem Rücktritt veröffentlicht wurde, habe ich schon ein gewisses Mitgefühl gespürt.

    Heuer: Wulff kämpft ja um seine Würde, er will das notfalls vor Gericht tun. Glauben Sie, er gewinnt dieses letzte, dieses juristische Gefecht?

    Heidemanns: Christian Wulff hat viele Fehler gemacht als Ministerpräsident von Niedersachsen und auch als Bundespräsident. Ich glaube, die Entscheidung, die er getroffen hat, die Geldauflage nicht zu leisten und stattdessen ein Verfahren einzugehen, war eine richtige Entscheidung. Denn das ist die einzige Möglichkeit für ihn, das unter Beweis zu stellen, was er in seiner Rücktrittsrede gesagt hat. Damals hat er ja erklärt, ich habe mich in meinen Ämtern stets rechtlich korrekt verhalten. Er hat eingeräumt, dass er Fehler gemacht hat, hat aber eindeutig gesagt, er sei strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten, und das muss im Falle einer Anklage – und damit ist zu rechnen – dann letztlich die Strafkammer in Hannover entscheiden.

    Heuer: Als die Staatsanwaltschaft aktiv wurde, im Februar 2012, da war Wulffs Schicksal ja besiegelt. Am Tag danach ist er zurückgetreten. Wenn Wulff jetzt juristisch gewinnt, war sein Rücktritt dann nicht überflüssig?

    Heidemanns: Ich gehe davon aus, in der Rückbetrachtung von vor 15 Monaten muss man einfach davon ausgehen, dass bereits im Januar 2012, also weit vor der Ermittlung der Staatsanwaltschaft, sowohl politische Beobachter als auch die Bevölkerung zum Ergebnis kamen, dass Christian Wulff der falsche Präsident ist. Das wurde abgeleitet aus seinem Verhalten als Ministerpräsident von Niedersachsen, da hat er Journalisten eingeschüchtert, da hat er den Landtag getäuscht, sowohl was die Beteiligung der Staatskanzlei beim Nord-Süd-Dialog betrifft als auch was seinen privaten Hauskredit betrifft. Er hat sich einladen lassen von Versicherungsunternehmern in die Flitterwochen. Er hat viele Gründe geliefert dafür, dass die Bevölkerung, aber auch politische Beobachter zum Ergebnis kamen, dass er der falsche Bundespräsident ist.

    Heuer: Verstehe ich Sie richtig, Herr Heidemanns, Sie sind sicher, Christian Wulff wäre auch ohne die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen irgendwann zurückgetreten?

    Heidemanns: Da bin ich mir nicht sicher, denn er hat bis zum 16. Februar gewartet. Er hat gewartet, bis die Staatsanwaltschaft aktiv geworden ist. Einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, dass die Staatsanwaltschaft beim Bundestagspräsidenten um Aufhebung der Immunität gebeten hat, um gegen einen Bundespräsidenten wegen des Verdachts eines Korruptionsdelikts ermitteln zu können. Ich schließe nicht aus, dass er ohne diese Einleitung möglicherweise zurückgetreten wäre.

    Heuer: Viel ist ja nicht mehr übrig geblieben von dem, was die Staatsanwaltschaft vermutet hat. Beim Bestechungsvorwurf geht es jetzt gerade noch um 754 Euro, glaube ich. Und die Staatsanwälte machen trotzdem weiter. Spätestens jetzt muss doch in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, dass es wirklich eine Hatz auf Christian Wulff gab und vielleicht noch gibt.

    Heidemanns: Ich glaube nicht, dass es eine Hatz ist. Ich denke, man muss sich einfach vom Amt des Bundespräsidenten mal lösen in der Betrachtung. Wenn man den Fall so betrachtet, dass es in diesem Verfahren um den Leiter eines Bauamtes geht, der sich von einem Bauunternehmer hat einladen lassen, um später dann möglicherweise sich für diesen einzusetzen, dann wird man nicht mehr die Frage stellen, ob es eine Hatz ist. Sondern ich glaube, man kommt zu dem Ergebnis, dass es eine Rechtsstaatlichkeit ist, die nicht darauf achtet, handelt es sich hier um einen Bauunternehmer oder um einen Bundespräsidenten, sondern hier wird einfach nur auf den Fall geguckt. Und da ist es völlig unerheblich, ob es um 770 Euro geht oder um 770.000 Euro.

    Heuer: Gibt es etwas in Ihrem eigenen Umgang mit der Causa Wulff, was Sie heute selbst kritisch sehen?

    Heidemanns: Was die Berichterstattung unseres Blattes betrifft, was unser Buch "Affäre Wulff" betrifft, haben wir uns immer wieder hinterfragt, ist die Berichterstattung angemessen. Ich gehe davon aus im Nachhinein, dass die Berichterstattung angemessen war. Ich wundere mich manchmal, wie andere Medien heute urteilen, wenn ich mir angucke, was die Blätter damals geschrieben haben. Wenn ich gucke, was die Süddeutsche Zeitung bereits am 13. Dezember, unmittelbar nach unserer ersten Enthüllung, geschrieben hat zum privaten Hauskredit, dann stelle ich mir schon die Frage, ob das alles heute im Nachgang so richtig eingeordnet wird. Die Süddeutsche Zeitung schrieb damals: "Ein Strippenzieher, ein Vollblutpolitiker ist Christian Wulff, eine moralische Instanz ist er nicht." Sehr frühzeitig kam gerade von diesen Blättern die Forderung nach einem Rücktritt von Christian Wulff und eine ziemlich messerscharfe Beurteilung dessen, was dort aufgedeckt worden ist.

    Heuer: Herr Heidemanns, wenn es zum Prozess kommt und Christian Wulff diesen Prozess gewinnt, oder wenn es überhaupt erst gar keinen Prozess gibt, ist er dann rehabilitiert und hat er dann vielleicht noch eine politische oder eine öffentliche Zukunft vor sich? Wir hören heute, der Verfassungsschutzexperte Tom Schreiber schlägt Christian Wulff schon für den Vorsitz einer Kommission zur Aufarbeitung des NSU-Terrors vor.

    Heidemanns: Zunächst einmal muss der Fall Zschäpe verhandelt und beurteilt werden und danach ist die Frage, ob Christian Wulff der richtige Mann ist, um in einer solchen Kommission tätig zu werden. Was Ihre erste Frage betrifft, muss man eindeutig sagen: Für Christian Wulff spricht die Unschuldsvermutung, wie in allen anderen Fällen auch. Politisch hat er seinen Ruf verspielt. Ob er strafrechtlich in Erscheinung getreten ist oder nicht, das wird im Falle einer Anklageerhebung die Staatsanwaltschaft und dann das Gericht entscheiden. Wir haben lediglich beobachtet, wir haben aufgeschrieben. Die juristische Bewertung, die liegt ganz allein bei der Staatsanwaltschaft.

    Heuer: Und politisch bleibt Wulff aus Ihrer Sicht aber erledigt?

    Heidemanns: Das glaube ich nicht, das schließe ich nicht aus.

    Heuer: Dann sind wir gespannt auf die mögliche Zukunft des gewesenen Bundespräsidenten. Martin Heidemanns, stellvertretender Chefredakteur der "Bild"-Zeitung, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Herr Heidemanns, danke schön!

    Heidemanns: Ich danke Ihnen, Frau Heuer. Schönen Tag.

    Heuer: Tschüss!

    Heidemanns: Tschüss.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.