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Bildhauer Ewald Mataré
Nach dem Kern alles Seienden fragen

Ewald Mataré, der von den Nazis als entartet verfemte Bildhauer, Maler und Grafiker, gehörte zu den meistgeschätzten deutschen Bildhauern der Nachkriegszeit. Bekannt wurde er mit seinen Tier-Plastiken und mit Kunst im sakralen und im öffentlichen Raum. Zu seinen berühmten Schülern gehörten Günter Grass und Joseph Beuys. Mataré starb 29. März 1965, vor 50 Jahren.

Von Rainer Berthold Schossig | 29.03.2015
    Das Denkmal "Toter Krieger" von Ewald Matare vor der Stifts-und Prosteikirche St. Mariä Himmelfahrt in der nordrhein-westfälischen Stadt Kleve am 09.05.2005. Das Denkmal wurde im Jahre 1934 als Teil eines Ehrenmals für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges aufgestellt. 1938, nur vier Jahre später, wurde es von den Nationalsozialisten zerstört. Das Denkmal wurde restauriert und 1981 wieder aufgestellt als Mahnmal gegen Unrecht und Gewalt.
    Das Denkmal "Toter Krieger" von Ewald Matare vor der Stifts-und Prosteikirche St. Mariä Himmelfahrt in Kleve. (dpa / picture alliance / Horst Ossinger)
    In der Bremer Böttcherstraße, hoch über den Köpfen der Besucher, steht das letzte Werk des Bildhauers Ewald Mataré: die Fassade des "Hauses Atlantis". Im Zentrum das Sonnenrad, dem eine Kreuzform eingeschrieben ist. Die einstige Wandgestaltung, ein atlantisches Götzenbild mit Sternkreis-Zeichen, wurde im letzten Weltkrieg zerstört. Mataré griff stattdessen auf christlich-kosmische Motive zurück.
    Ewald Mataré kam 1887 in Aachen zur Welt. Die Mutter förderte früh seine künstlerische Neigung. Ab 1907 besuchte er die Akademie der Künste in Berlin, studierte Historienmalerei und lernte bei Lovis Corinth die impressionistische Malweise kennen, ohne sich jedoch für sie zu erwärmen. Den Kriegsdienst brach er aus gesundheitlichen Gründen ab.
    1918 tritt er in Berlin der revolutionären Künstlervereinigung "Novembergruppe" bei und revolutioniert auch sein künstlerisches Schaffen; Er wird Grafiker und Bildhauer. Die Tierplastik wird sein Markenzeichen: Pferde, Hühner und - immer wieder: Rinder. Warum die Kuh, wurde er anlässlich seines 75. Geburtstags gefragt: "Also, ich war auf dem Land, geflüchtet aus der Stadt, um jetzt endlich für mich zu finden, wie ich mich nun künstlerisch betätigen sollte. Und die Kuh war mir ja ein sehr wichtiges Tier, weil es in seinen Phasen des Lebens eigentlich nur drei Formen gibt, in denen es sich bewegt: das ist das Liegen, das Stehen und das Fressen."
    Ja, die legendäre Mataré-Kuh - in seinen abgezirkelten Bildergärten wird sie zum Ideal-Wesen aus dem Garten Eden. Nicht um subjektiven Ausdruck geht es ihm, sondern um Objektivität der Form. Darin ähnelt sein Werk dem seiner Zeitgenossen Hans Arp und Constantin Brancusi. Mataré reist ans Weimarer Bauhaus, nach Paris und London; deutsche Museen beginnen, seine Plastiken zu kaufen. 1932 wird er an die Kunstakademie Düsseldorf berufen, schon ein Jahr später aber - zusammen mit Paul Klee - von den Nationalsozialisten wieder entlassen.
    Kuh-Skulptur des rheinländischen Bildhauers Ewald Mataré
    Kuh-Skulptur des rheinländischen Bildhauers Ewald Mataré (picture alliance / dpa)
    "Von einem Tag auf den anderen galten wir als entartete Künstler, das heißt, was ich auch nachher gemacht habe, wenn es ihrer habhaft wurde, haben sie es zerstört oder verkauft. Aber diese Zeit, so schlimm wie sie war, war wertvoll für mich. Sie hat mich vom Abgrund wieder zurückgerissen, weil ich mich wieder ganz auf mich selbst stellen musste." Matarés Plastiken im öffentlichen Raum werden vernichtet, seine Arbeiten aus Museen und Sammlungen entfernt. In der Ausstellung "Entartete Kunst" 1937 ist auch er vertreten, ein Berufsverbot erhält er nicht.
    Sofort nach Kriegsende ruft man Mataré an die Akademie zurück. Die Renovierung der Ruine, die Neuausrichtung des Lehrplans und die Entnazifizierung des Lehrkörpers sind für ihn eins. Doch alte NS-Seilschaften lehnen dies ab; Mataré tritt zurück. Zu seinen Studenten gehören unter anderem Joseph Beuys und Günter Grass. 1947 gestaltet Mataré neue Bronzetüren am Kölner Dom. Das Projekt macht ihn zu einem der bekanntesten deutschen Bildhauer der Nachkriegszeit. Auch Joseph Beuys gestaltet eine der Türen. Er schätzt Meister Mataré, weil dessen Skulpturen nicht oberflächlich sind, sondern nach dem Urbild der Kreatur, dem Kern alles Seienden fragen.
    Matarés künstlerische Bedeutung liegt in seiner kühnen Synthese aus abendländischer Bildtradition und moderner Formfindung im Feld der sakralen Kunst. Der heitere, klassisch-moderne Bronze-Engel, den er 1956 auf den First des Bischofswohnhauses in Essen setzte, beweist dies. Auch technisch war er ein Neuerer: So wendete er erstmals die Verschmelzung von Bronzeguss und Mosaikeinlagen an. Weltweit - bis hin nach Hiroshima und Sydney - widmete er sich der Kunst am Bau, öffentlichen Arbeiten, Portalen, Brunnenentwürfen und Ehrenmalen: "Das waren schon Aufgaben; und wenn ich drüber nachdenke, dann muss ich sagen, ich muss dem Geschick bei allem doch sehr dankbar sein, dass es mich so gut behandelt hat."
    Anerkannt und geehrt, starb Ewald Mataré am 29. März 1965 in Meerbusch-Büderich im Alter von 78 Jahren.