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Bildung als Ware

"Was, wenn ein Zigarettenkonzern die Grundschule übernähme?" 200.000 Postkarten mit dieser Frage verteilten die Globalisierungskritiker von Attac vor fünf Jahren in Deutschland. Statt des Marlboro-Schriftzugs prangte ein dickes "Rechnen" auf der abgebildeten rot-weißen Zigarettenschachtel. Attac machte, zusammen mit anderen Nichtregierungsorganisationen, Front gegen GATS, das "General Agreement on Trade in Services" der Welthandelsorganisation WTO.

Von Sandra Pfister |
    Die Globalisierungsskeptiker fürchteten eine Zwei-Klassen-Gesellschaft bei der Bildung: Privatunternehmen drängen nach Deutschland und bieten für viel Geld attraktive Studiengänge an; zahlungskräftige junge Menschen erhalten eine Elite-Ausbildung, ihre Kommilitonen bleiben außen vor. Ein ähnliches Szenario könnte sich - so fürchtet Attac, bei Kindergärten und Schulen abspielen - im Kern der staatlichen Primärausbildung. Marianne Friemelt von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW in Frankfurt:

    "Die Schulen sind so verelendet, dass sie sich bereitwillig auf Kooperationen einlassen, die sie früher vielleicht nicht eingegangen wären."

    Bildung ist keine Ware wie Erdgas oder Rindfleisch - und so ist auch die McDonaldisierung der Bildung ausgefallen. Das liegt auch daran, dass der Bildungsmarkt eben nicht vollständig liberalisiert worden ist. Ganz entscheidend: Der so genannte Subventionsvorbehalt wurde nicht gekippt. Der deutsche Staat - und die europäischen Nachbarn - können immer noch selbst entscheiden, welchen privaten Anbietern sie Geld geben. Deshalb ist vor allem um deutsche Schulen noch kein aggressiver Wettbewerb entbrannt. Ein Einfallstor allerdings ist die Unterfinanzierung vieler Schulen. Friemelt:

    "Von der Uni Würzburg ist ja bekannt, dass es da einen Aldi-Hörsaal gibt, gestrichen in den Aldi-Farben."

    Auch von Bildungskonzernen, quasi den Pendants zu Microsoft oder Procter & Gamble im Bereich der Bildung, kann noch keine Rede sein. Axel Plünnecke, Bildungsexperte am arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft - IW - in Köln:

    "Die spielen nur eine marginale Rolle. Große Konzerne, die weltweit anbieten, die gibt es eigentlich nicht. Es findet in dem Sinne kein Verdrängungswettbewerb statt, was auch gar nicht möglich ist, da die Hochschulen in Deutschland sehr stark staatlich finanziert werden und vor allem auch wir durchaus exzellente Hochschulen haben, die sich im Weltmarkt auch messen können."

    Private Universitäten sind in Deutschland zwar erlaubt - aber darüber entscheiden die Länder. Bislang sind nur wenige Anbieter am Markt. Unter den Hochschulen haben sich noch kaum international agierende Bildungskonzerne herausgebildet - wenn man von den traditionsreichen Hochschulen absieht:

    "Das ist ein Markt, der über die Reputation des Anbieters sehr stark läuft. Das heißt Sie haben Hochschulen, die haben 100, 200 Jahre Tradition, sie sind eine forschungsstarke Einrichtung, und diese Einrichtungen können dann am Markt über bestimmte Programme die besten Absolventen bekommen und im Fall der Spitzen-Unis auch hohe Gebühren verlangen. Da sehe ich nicht, dass es eine große Schar an privaten Anbietern gibt, die in diesen Markt eindringen wollen, denn dieser Markt wird von den großen, starken staatlichen Einrichtungen dominiert."

    Anders sieht das in Afrika oder Südamerika aus. Vertreter aus Botswana, Kenia oder Ecuador haben immer wieder berichtet, wie unter dem Druck der Weltbank ihre Schulen privatisiert worden seien. Denn IWF und Weltbank haben in der Vergangenheit stets darauf gedrängt, die staatlichen Ausgaben zurückzufahren. Das traf, neben den Ausgaben für Gesundheit, besonders den Bildungsbereich.

    In Deutschland, so Bildungsökonom Plünnecke, profitierten von der Liberalisierung des Bildungsmarktes in erster Linie die Studierenden. Die Studierengebühren sind moderat - und werden sich, prognostiziert Plünnecke, mittelfristig bei 800 bis 900 Euro pro Semester einpendeln - dem europäischen Durchschnitt. Die Studenten haben dank der Öffnung der Bildungsmärkte viel eher die Chance, mobil zu sein - dazu trägt auch der so genannte Bologna-Prozess bei. Er beschert den Deutschen international vergleichbare Abschlüsse - Bachelor und Master - und kürzere Studienzeiten. Auch die Studiengänge selbst werden internationaler:

    "Das würde ich auch so sehen, dass der Bologna-Prozess insgesamt dazu führt, dass der Hochschul-Raum vereinheitlicht wird. Denn der Arbeitsmarkt für Akademiker ist ein globaler Arbeitsmarkt."

    Und davon profitieren auch die deutschen Hochschulen. Unterstützt vom Deutschen Akademischen Austauschdienst gründen sie Zweigstellen im Ausland. Derzeit entstehen vor allem Filialen im Nahen Osten und in Asien, wenn deutsche Hochschulen im internationalen Vergleich auch recht zaghaft expandieren. Länder wie Großbritannien oder Australien sehen Bildung bereits seit längerem als strategisches Exportgut; dabei haben sie den Vorteil, Kurse flächendeckend in Englisch anbieten zu können. Sie vertreiben zudem auch eine Vielzahl von Studienangeboten im Internet. Vorreiter beim Bildungsexport in Deutschland ist die TU München, die als erste eine ausländische Tochter in die Selbständigkeit entließ: Das German Institute of Science and Technology.

    Deutschland ist, wie auch sonst, bei der Bildung ebenfalls Exportnation. Natürlich ziehen die amerikanischen Spitzenuniversitäten noch mehr Studierende ins Land; doch in Deutschland studieren etwa 200 Tausend Ausländer - während nur 70 Tausend Deutsche zum Studium ins Ausland gehen.

    Bleibt das deutsche Bildungssegment, das am weitesten liberalisiert ist: die Aus- und Weiterbildung. Es sind die Unternehmen, die dafür Milliardensummen aufbringen. Hier wäre also ein Einfallstor für private, auch internationale Privatanbieter wie Microsoft oder Cisco, die auch Weiterbildungszertifikate anbieten. Erobern sie den deutschen Markt? Fehlanzeige:

    "Ich würde mich freuen, wenn es so wäre. Das kann stark privat auch funktionieren in Deutschland, und da können natürlich ausländische Anbieter sehr erfolgreich anbieten in Deutschland. Aber auch dort dominiert der heimische Anbieter, denn auch hier hat man wiederum die wichtige Eigenschaft von Bildung, dass es ein Erfahrungsgut ist, wo man erst eine Reputation aufbauen sich muss über die Qualität der Einrichtung. Man kann aber nicht so einfach wie bei einem Auto die Qualität vor dem Kauf vergleichen, man muss erst Erfahrungen sammeln und deshalb haben heimische Anbieter immer einen großen Vorteil."