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"Bildung ist nicht rein staatlich"

Eine wirkliche Verbesserung der schulischen Leistungen und Bildungschancen in Deutschland geht nur über eine "systemische" Änderung, sagt Christian Füller: Schulministerien, Schulen und Eltern müssten künftig enger zusammenarbeiten.

08.12.2010
    Jürgen Liminski: PISA ist ein Streitthema ohne Zweifel, das war es von Anfang an, nicht nur, weil die Deutschen schlecht abschnitten, was sich inzwischen gebessert hat, sondern auch wegen der Methoden der Bildungsmessung und des Begriffs der Bildung. Der TAZ-Redakteur Christian Füller hat sich mit PISA ausgiebig befasst. Mein Kollege Jürgen Zurheide hat gestern Abend mit ihm über die neue Studie gesprochen. Seine erste Frage lautete: Wo sieht der Experte Grund zur Freude, wo Grund zur Sorge?

    Christian Füller: Wenn man in Fächern, sage ich mal, in Disziplinen oder Domänen, wie die PISA-Forscher sagen, wie Mathematik und Naturwissenschaften, deutlich aufsteigt, dann ist das natürlich ein Grund zur Freude. Mein Problem ist, dass wir uns sozusagen um die Hauptfrage kümmern müssen, und wir haben bei PISA 2000, was vor knapp zehn Jahren das erste Mal getestet wurde, nämlich das Lesen, die Lesekompetenz, die Lesefähigkeit, den Schock erlitten, weil es 23 Prozent Schüler gab unter den 15-Jährigen, die nicht richtig lesen können. Und wir haben uns jetzt verbessert auf 18,5 Prozent nur noch, das ist wirklich gut, das ist besser geworden, aber es kann natürlich überhaupt nicht zufriedenstellen, dass knapp ein Fünftel unserer Schüler einfach nicht in der Lage sind, ein Blatt Papier, das bedruckt ist, sinnvoll zu entziffern, zu verstehen, mit uns darüber zu sprechen. Da hapert es einfach und daran hängt einfach direkt auch die Chancengleichheit. Das sagen alle, die sich damit befassen, auch die Bundesbildungsministerin Schavan hat das gesagt, und da müssen wir einfach wirklich besser werden.

    Jürgen Zurheide: Wir reden gleich noch über die Detailergebnisse. Ich will vorab noch mal gerne von Ihnen wissen: Hat denn das, was wir da als PISA-Prozess bezeichnen – und Sie haben gerade den PISA-Schock vor zehn Jahren angesprochen -, hat denn das überhaupt dazu beigetragen, sind die Ergebnisse schon so signifikant besser geworden, dass wir sagen können, ja, da war PISA und da gibt es Ergebnisse und jetzt sind sie schon zwar nur mäßig, aber sie sind immerhin besser? Gibt es da einen direkten Zusammenhang?

    Füller: Na ja, man kann jetzt nicht sagen, dass es sozusagen einen konzertierten Maßnahmenkatalog gegeben hätte von allen Bundesländern und dem Bund und dass die Eltern mitgespielt hätten, dass die jetzt alle direkt darauf reagiert haben. Es gab eine ganze Menge von Maßnahmen, aber das war eher sozusagen ein Verhau, das ging mal vor und mal zurück. Was auf jeden Fall wichtig war, dass man sozusagen den Spiegel vorgehalten hat, dass man wusste, wir sind in Mathematik, bei den Lesekompetenzen und bei den Naturwissenschaften nur Mittelmaß. Also das, was die Schüler wirklich von dem, was im Unterricht passiert, übersetzen können in Alltagsfragen, dass wir da nicht so stark sind, das war wichtig für dieses Land, endlich zu wissen, was sind die wahren Ergebnisse von Schule und nicht nur die Abfrage von Lehrplanwissen. Das ist ja das wirklich Neue gewesen von dieser Studie, dass sie auch den internationalen Vergleich ermöglicht, und da hat es sicherlich so etwas gegeben wie so einen Schubser, so einen Ruck, wie das Bundespräsident Herzog mal verlangt hat. Da ist ein Ruck durchs Land gegangen. Allerdings sicherlich systemische Maßnahmen, die wirklich so zielführend sind, dass wir sagen, wir bekämpfen das, was unser Problem sein wird, auch in Zukunft, im 21. Jahrhundert, nämlich die Bildungsarmut – wir haben einzelne Regionen in Deutschland, da kämpfen die Leute, die Unternehmen, die Betriebe um qualifizierte Schüler und Schülerinnen und es sind einfach zu wenig da -, das ist ein Manko, das muss systemisch angegangen werden.

    Zurheide: Systemisch, heißt das im Bildungsföderalismus unmöglich, oder wie ist da Ihre Diagnose, denn Sie haben es ja schon angesprochen: vor allen Dingen die Benachteiligten, wenn immer noch fast jeder fünfte quasi durch ein System fällt, dann kommt man doch eigentlich nur zu dem Schluss und sagt, da ist irgendetwas falsch im System, und wer kann es verändern?

    Füller: Wir haben gelernt, dass wir es nicht per Ordre de Mufti von oben verändern können, das zeigen auch so Versuche wie in Hamburg, wo auch die Eltern, die immer sagen, sie wollen, dass es schöner und besser wird und ihre Kinder mehr Erfolg haben, die sich da quergestellt haben. Ich sage, das ist ein Prozess, wo alle Beteiligten zusammenarbeiten. Und das Wichtigste ist, finde ich: die drei wichtigsten Akteure sind die Schulministerien, die sich halbwegs abstimmen untereinander, damit wir von Bundesland zu Bundesland wechseln können. Es sind die einzelnen Schulen, die wir wirklich stark machen müssen. Wir brauchen einfach diese Garde von Rektoren, die so was wie ein Spirit in der Schule verbreiten. Wenn Schulen gut sind, dann hängt das meistens daran. Und wir brauchen die Eltern. Die Eltern müssen ins Boot. Ich hätte jetzt eigentlich bei einer Elternversammlung sein müssen, wo wirklich wieder alle zusammensitzen und es darum geht, so ein paar querschlagende Jungs einfach wieder einzufangen. Bildung ist nicht rein staatlich, wie wir uns das so oft vorstellen, sondern wir müssen alle zusammenarbeiten.

    Zurheide: Sie haben gerade die Kultusminister angesprochen, die das eben tun. Erkennen Sie da genügend Bereitschaft zur Zusammenarbeit, damit wir nicht in diesem Flickenteppich ewig hängen bleiben, den wir im Moment ja offensichtlich haben?

    Füller: Ich meine, das kann man am besten durch ein Beispiel sagen. Wir hatten ein ganz tolles Sinus-Programm, das wird überall gelobt, das war ein didaktisches Programm, um den Mathematik-Unterricht besser zu machen. Das war eine gemeinsame Aktion von Bund und Ländern, das war eine Reaktion auf die Mathematik-Studie in den Jahren _97 und _99. Und in Mathematik haben wir wirklich Fortschritte erzielt und alle sagen, das war ein tolles Programm. Ein genau gleiches Programm hätte es geben können für die Sprachförderung, aber das war eben in einem Gremium namens Bund-Länder-Kommission und dieses Ding hat man einfach abgeschafft 2006 im Zuge der Föderalismusreform. Das heißt, es gibt ein völlig, wirklich irrsinniges Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern bei so essenziellen Fragen und das führt dazu, um das Beispiel weiterzutreiben, dass jetzt die Bundesbildungsministerin Schavan, um die Lesefähigkeit zu fördern, ein Lesestartprogramm macht, wo die Stiftung Lesen Lesestarterbücher bei der U6-Untersuchung bei der Untersuchung beim Kinderarzt und für Dreijährige und für Schulanfänger ausgibt. Ich finde, das ist ein tolles Projekt, aber um Himmelswillen, das ist doch nicht das Projekt der Bundesbildungsministerin. Die sollen die Schulen besser machen, zusammen mit den Kultusministern. Zwischen den beiden herrscht einfach Blockade, also zwischen den Länderministern und dem Bundesminister. Ich finde, es ist auch Blödsinn, immer nur über Föderalismus zu jammern, aber das kann doch wohl nicht wahr sein, dass wir jedes fünfte Kind auf die Straße schicken ohne Lesefähigkeit und die Kultusminister zucken mit der Schulter und sagen, wir dürfen nicht mit dem Bund zusammenarbeiten.

    Liminski: Das war der PISA-Experte Christian Füller gestern Abend im Deutschlandfunk im Gespräch mit meinem Kollegen Jürgen Zurheide.

    Testen, was Schüler können - Die Pisa-Studie 2009

    "Bildung ist erheblich mehr als das, was PISA misst" - Lehrerverbandspräsident Kraus zu den Unzulänglichkeiten des Bildungstests

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