Freitag, 29. März 2024

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Bildungspolitik
"Mehr Geld für Ganztagsschulen"

Der Bund muss mehr in den Ausbau von Ganztagsschulen investieren, sagt Sylvia Löhrmann, die neue Präsidentin der Kultusministerkonferenz. Im Interview der Woche des DLF fordert sie außerdem, weiter an der "Generationenaufgabe" Inklusion zu arbeiten.

Sylvia Löhrmann im Gespräch mit Kate Maleike | 19.01.2014
    Maleike: Erst mal schönen guten Tag Frau Löhrmann.
    Löhrmann: Guten Tag Frau Maleike.
    Maleike: Seit Mitte der Woche sind Sie jetzt ganz offiziell Präsidentin der KMK, der Kultusministerkonferenz, haben turnusgemäß den Staffelstab übernommen von Stefan Dorgerloh, dem Kultusminister Sachsen-Anhalts, der im letzten Jahr den Vorsitz hatte. Und Sie waren ja im letzten Jahr auch schon die Stellvertreterin. Als langjährige Ministerin für Schule und Weiterbildung in Nordrhein-Westfalen verfügen Sie natürlich über viel Erfahrung. Viele erwarten jetzt viel von Ihnen. Welchen frischen Wind wollen Sie mitbringen?
    Löhrmann: Ich bilde mir nicht ein, dass man in einem Jahr jetzt wer weiß was da revolutionär verändert. Ich nehme mir vor, dass wir möglichst an einem Strang ziehen. Ich wünsche mir, dass dieses Gerangel, "Wer ist denn jetzt auf 2 oder 3 bei einem Ranking?", obwohl die Punktzahl ganz nah beieinander ist und das keinen so großen Unterschied macht, dass das vielleicht hinter dem zurücktritt, dass wir wissen, wir haben in allen Ländern hervorragende, gute Schulen. Wir haben in allen Ländern wahrscheinlich Schulen, die vielleicht aufgrund der sozialen Situationen der Schulen noch gar nicht so gut sein können wie andere, dass wir konstruktiv insgesamt daran arbeiten, dass alle Schülerinnen und Schüler in unserem Land gleiche Chancen haben und ihre Leistungspotenziale heben können. Das ist mir wichtig, an den Inhalten, an den Themen zu arbeiten und will das sehr konstruktiv und kollegial tun.
    Aufhebung des Kooperationsverbotes: "Einen neuen Anlauf nehmen"
    Maleike: Also Sie sagen, eine Menge hat sich schon verbessert damit, aber es gibt auch viele Herausforderungen. Über die wichtigsten Herausforderungen und drängendsten Probleme, die sich die KMK stellen und damit auch Ihrer Präsidentschaft, wollen wir ja jetzt gerne sprechen. Die Frage, wie Bund und Länder in Bildungsfragen künftig besser zusammenarbeiten können und sollen, steht da sicher ganz oben auf der Liste. Um das sogenannte Kooperationsverbot ist zwischen Bund und Ländern viel gestritten worden, das ja grundgesetzlich auch verbietet, sich als Bund in Bildungsangelegenheiten der Länder einzumischen und sich daran zu beteiligen. Die neue Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag kein Wort davon stehen, dass da eine Veränderung geplant ist. Nun gibt es anscheinend wieder ein bisschen Bewegung, denn Christoph Matschie, Thüringens Wissenschafts- und Bildungsminister - SPD übrigens -, hat diese Woche erklärt, er wäre bereit, möglicherweise darauf zu verzichten, die Schulen aus diesem Pakt rauszulassen, sprich, den Bund nicht an der Finanzierung der Schulen zwingend zu beteiligen, wenn denn die Hochschulen gelockert würden im Kooperationsverbot. Was sagen Sie als KMK-Präsidentin dazu?
    Löhrmann: Zunächst mal sage ich als KMK-Präsidentin, dass wir dazu keine einheitliche Position der Länder haben. Und entscheidend ist ja auch, dass in den Parteien die Positionen zum Teil unterschiedlich sind. Und deswegen ist die Ausgangslage sehr, sehr schwierig. Das war ein Thema auch auf der Übergabe, weil Herr Dorgerloh gesagt hat: Na ja, vielleicht gelingt es ja doch, schließlich hätte der Atomausstieg auch nicht im Koalitionsvertrag der vorigen Regierung gestanden und trotzdem sei er gelungen aufgrund - nun - eines tragischen Ereignisses in Fukushima. Und das wollen wir uns ja für die Bildungspolitik nicht wünschen oder sollen wir uns insgesamt nicht wünschen, solche Ereignisse. Ich weiß nicht, ob es gelingt, einen neuen Anlauf zu nehmen. Man sollte es versuchen. Und vielleicht hilft es, wenn wir uns genauer klar werden, für welche Aufgaben ist welche Ebene denn besonders verantwortlich, weil es ja auch im Bereich der Kitas, im Bereich der Schulsozialarbeit, im Bereich der Hochschulen bei der Exzellenzinitiative oder auch beim BAföG zum Teil gemischte Verantwortlichkeiten gibt. Und niemand denkt, dass ein Kita-Gesetz auf Bundesebene gemacht würde und trotzdem finanziert der Bund mit, und die Kita-Gesetze werden auf Landesebene gemacht.
    Genauso könnte man das für die Schulen lösen. Weil, ich kenne niemanden, der sagt, dass der Bund die Schulgesetze machen soll. Aber bezogen auf Schule wissen wir doch, dass Schule heute auch Sozialpolitik ist, dass Schule auch Wirtschaftspolitik ist - Stichwort: Fachkräfte -, dass Schule auch Integrationspolitik ist - siehe Beteiligung von Kindern mit Zuwanderungsgeschichte und wenn man das sauber auseinanderhalten würde - was ist das Kerngeschäft? Die Lehrerinnen und Lehrer. Die bezahlen die Länder. Die Gebäude bezahlen die Kommunen, aber Soziales, aber Integrationshelfer, Inklusionshelfer, wo es drum geht, dass die Kinder überhaupt die Schule erreichen können - sage ich jetzt mal salopp - oder in ihr lernen können bei Inklusions- und Integrationshelfern, da könnte man das ja vielleicht auseinanderdividieren und halten und dann könnte der Bund sich an diesen sozialpolitischen Fragen beteiligen, weil der Bund für die Sozialpolitik zuständig ist, und zum Beispiel der Bund festgelegt hat im Sozialgesetzbuch, dass Kinder mit besonderen Handicaps Anspruch auf einen Integrationshelfer haben. Vielleicht kann man erst mal das klären und kann dann fragen: Braucht man dafür eine Gesetzesänderung, braucht man dafür eine Grundgesetzänderung und wo könnte in diesem Schema der Bund die Länder und die Kommunen bei diesen wichtigen bildungspolitischen Fragen unterstützen?
    KMK würde Fortsetzung der Schulsozialarbeit durch den Bund begrüßen
    Maleike: Das Thema Geld - die Schuldenbremse im Jahr 2020 drückt. Und die Frage wird natürlich sein: Wie kann man Bildung überhaupt finanzieren? Wenn Sie sagen: Wir müssen uns noch mal genau Gedanken machen, wer jetzt für was zuständig ist und wie man das miteinander machen kann, helfen Sie uns, was das tatsächlich für den Bereich Bildung bedeutet? Wie stellen Sie sich das vor?
    Löhrmann: Beim Thema Ganztag zum Beispiel, wo ja selbst die Kanzlerin vor der Bundestagswahl auch gesagt hat: Ja, da muss man sehen, ob nicht auch ein neues Ganztagsprogramm gestaltet werden müsste. Beim Thema Ganztag geht es ja darum, einmal um die Gebäude, es geht auch natürlich um die Lehrerinnen und Lehrer, aber es geht ja auch um multiprofessionelle Teams. Es geht um Erzieherinnen und Erzieher, die da sind, es geht um Sozialpädagogen, es geht um Schulsozialarbeiter. Und der Bund hat ja auch unter den jetzigen grundgesetzlichen und verfassungsrechtlichen Grundlagen gerade beim Thema Schulsozialarbeit, Bildungs- und Teilhabepaket auch Mittel fließen lassen. Und wir haben noch keine Klarheit, ob es da Fortsetzung gibt. Herr Heil hat ja gestern auch hier bei Ihnen in der Sendung deutlich gemacht: Das müsste man jetzt mal gucken, ob da etwas ginge, was ja alle Länder wollen und was die Kultusministerkonferenz auch schon beschlossen hat, dass sie eine Fortsetzung der Schulsozialarbeit durch den Bund begrüßen würde.
    Der Schulleistungsvergleich zeigt deutliche Unterschiede zwischen Ost und West.
    Der Bund solle nicht die Lehrer bezahlen, aber Sozialarbeiter und Integrationshelfer. (picture alliance / dpa / Carmen Jaspersen)
    Maleike: Hubertus Heil, damit meinen Sie den stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden.
    Löhrmann: Also, es geht ja nicht nur um die verfassungsrechtlichen Grundlagen, sondern es geht ja auch darum, wie viel Geld ist denn jetzt überhaupt vorgesehen zusätzlich an Bildungsinvestitionen und auf welchem Wege kommt das denn möglichst nah an die Schülerinnen und Schüler heran, an die Kinder in den Kitas und an die Studierenden. Um die Bereiche geht es ja.
    Maleike: Jetzt haben Sie die Ganztagsschulen mit angesprochen. Da will Deutschland ausbauen und alle sind sich klar, es müssen Bund und Länder besser und anders vielleicht miteinander arbeiten. Eine Fortsetzung des bisherigen Programms war in Aussicht gestellt - steht dann aber auch nicht im Koalitionsvertrag jetzt. Und die Frage ist doch: Wie und wer schultert denn das Ganze? Was ist da Ihre Vorstellung?
    Löhrmann: Meine Vorstellung - persönlich und als grüne Politikerin, sage ich jetzt ausdrücklich dazu - wäre, dass der Bund - das wäre das Sauberste - an den sozialpolitischen Themen seine Verantwortung wahrnimmt. Und das ist dann die Sozialarbeit, das sind die Integrationshelfer, die auf das Sozialgesetzbuch zurückgehen. Die Kommunen sollten aus meiner Sicht weiterhin die äußeren Schulangelegenheiten finanzieren und die Länder die Lehrerinnen und Lehrer - das ist ja letztlich auch der dickste Batzen. Und wenn man sich dann aber erinnert, dass das letzte Ganztagsschulprogramm der rot-grünen Bundesregierung allein vier Milliarden hatte, was dann in Infrastruktur gegangen ist und was einen enormen Schub ausgelöst hat, dann sieht man natürlich, dass die sechs Milliarden, die da im Vertrag stehen natürlich, wenn es auf alle Bereich verteilt wird, nicht so viel sind, wie das jetzt auf den ersten Blick klingt und wie das natürlich Kolleginnen und Kollegen von CDU und CSU und SPD befürworten. Und natürlich sind sechs Milliarden besser als nichts, da bin ich ganz realistisch.
    Alle müssen miteinander sprechen
    Maleike: Aber im Vergleich zu den Geldern, die für Bankenrettungen ausgegeben werden, wird sich so mancher denken, ist es noch wenig. Da müsste also aus Ihrer Sicht mehr investiert werden. Auf welcher Basis soll denn dann der Bund da aktiv werden? Denken Sie sich eine Fortschreibung dieser Sonderprogramme oder würden Sie darüber nachdenken wollen, auch so was wie, ja, ich sage mal, eine Abschaffung des Kooperationsverbotes anzustreben?
    Löhrmann: Es ist ja bekannt, dass ich als Grüne diese Frage auch als Landesministerin mit angeschoben habe. Die rot-grünen Regierungen haben ja auch im Bundesrat eine entsprechende Initiative vorgebracht. Ich persönlich würde da weiterhin für streiten und für werben. Viele Verbände sehen das auch so. Und da bin ich dann aber ganz bei Herrn Heil, der gesagt hat: Wir sind jetzt am Anfang einer neuen Legislatur, wir müssen alle miteinander sprechen. Klar ist auch, es wird keine Grundgesetzänderung geben ohne Beteiligung der Grünen, die ja in jetzt heute sieben Ländern mitregieren. Und deswegen muss man, glaube ich, so vorgehen: Was sind Ziele? Was kann der Beitrag der jeweiligen Länder sein? Und welche gesetzlichen Veränderungen sind dazu erforderlich? Ich hatte ja auch vor einigen Jahren schon mal dafür plädiert, dass es eine Art Konvent mal geben sollte, um das auszuloten, was da geht, und dann muss man das immer wieder beraten. Im Moment ist da noch keine Einigkeit zu erkennen.
    Maleike: Werden Sie aktiv werden als KMK-Präsidentin, um das noch mal anzustoßen? Diesen Konvent vielleicht mit einzuberufen?
    Löhrmann: Das kann ich ja alleine nicht in Person - obwohl sich das manche vielleicht vorstellen und vielleicht auch wünschen. Wir werden sicher, nachdem eine Regierungserklärung für die Große Koalition durch die Kanzlerin abgegeben worden ist, werden wir auf der nächsten KMK-Sitzung sicher noch mal darüber sprechen - zunächst im Präsidium -, wie wird die Lage eingeschätzt und was macht da Sinn. Und dann muss man das zwischenbewerten und muss entsprechende Schritte einleiten.
    Erinnerungskultur: "Nachhaltige, intensive Bildung"
    Maleike: Eigene Akzente für die KMK-Präsidentschaft - da haben Sie sich einen Schwerpunkt gesetzt, der mit diesem Jahr ganz besonders zusammenhängt, Sie wollen die Erinnerungskultur stärken. Und das liegt auch auf der Hand, denn viele bedeutende Gedenktage in diesem Jahr 2014 fallen eben in dieses Jahr. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren, der Beginn des Zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren und der Fall der Mauer vor 25 Jahren. Auch ist das Jahr 2014 zum Jahr der europäischen Erinnerungskultur benannt worden. Warum ist Ihnen dieser Schwerpunkt so wichtig?
    Löhrmann: Weil ich weiß, dass Schülerinnen und Schüler natürlich im klassischen Unterricht etwas lernen über die Geschichte, über die Verfassung unserer Demokratie, weil ich aber erlebt habe, und zwar schon als Schülerin, als Lehrerin und jetzt als Schulministerin, wie tiefer eine Begegnung etwa mit einem Zeitzeugen ist, ob im Unterricht oder beim Besuch einer Gedenkstätte. Wie intensiv Schülerinnen und Schüler sich Gedanken machen: Wer ist da gestorben? Welche Verantwortung hängt damit zusammen, wenn sie zum Beispiel in einer Arbeitsgemeinschaft einen jüdischen Friedhof pflegen. Und natürlich ganz besonders, wenn sie - wie ich das mehrfach erlebt habe - ein Konzentrationslager besuchen, in Auschwitz sind, und dann an mehreren Tagen das Lager erkunden, sich mit Schindler auseinandersetzen oder aber in Ypern sind, auf Kriegsgräbern…
    Maleike: … in Belgien ist das.
    Löhrmann: In Belgien ist das, genau. Besonders der Erste Weltkrieg hat ja Flandern in ein Schlachtfeld verwandelt. Und da gibt es Museen, die sehr gut didaktisch aufbereitet sind. Und die Schülerinnen und Schüler setzen sich dann natürlich ganz anders mit der Geschichte auseinander und mit ihrer Verantwortung für die Zukunft heute. Sie sind nicht schuldig persönlich, das wissen sie auch, das muss man ihnen auch sagen, aber sie fragen sich: 'Mensch, wie konnte das passieren? Wie hätte ich mich verhalten?' Und das führt zu einer ganz nachhaltigen, intensiven Bildung, die über klassischen Unterricht hinausgeht und die aber sehr, sehr wertvoll ist.
    Maleike: Und die auch notwendig ist, weil es ja auch Studien darüber gibt, dass das Geschichtswissen nachlässt und man da vielleicht auch Einiges tun muss, um zum Beispiel mit den außerschulischen Lernorten, die Sie schon genannt haben, um im Dialog mit den Zeitzeugen - ja - Geschichte auch anders zu gestalten, die Erinnerungskultur zu stärken. Sie haben ein eigenes Konzept dazu vorgelegt für Nordrhein-Westfalen. Was ist genau das Ziel Ihres Konzeptes? Was wollen Sie für den Unterricht erreichen?
    Löhrmann: Ich möchte erreichen, dass sichtbar wird, was alles geht, weil ganz viele Schulen, und zwar deutschlandweit, ja sehr gute Projekte schon haben. Und damit nicht der Eindruck entsteht: Aha, jetzt kommt da was Neues, was wir aufgedrückt bekommen von oben, soll das ermutigend sein und zeigen und zusammenführen, was alles geht mit Empfehlungen der KMK. Weil ja diese Tage jährlich sozusagen zu nutzen sind und Gelegenheit sind, den Unterricht dadurch anders gestalten zu können, indem man eine Gedenkstätte besucht, indem man eine Fahrt macht, indem man sich besondere Filme anschaut und einbezieht in den Unterricht. Es gibt ganz vielfältige Möglichkeiten, um das sichtbar zu machen. Und Jugendliche - zumindest ist das mein Eindruck - nehmen das sehr dankbar auf und die Lehrerinnen und Lehrer natürlich auch. Die Fahrten nach Auschwitz, die ich begleitet habe, da ist immer mit verbunden, dass das vorbereitet wird, dass es nachbereitet wird. Besonders beeindruckt hat mich, ein Gymnasium hat eine Ausstellung gemacht in der Schule und hat dann Hauptschüler eingeladen. Und dann waren die, die mitgefahren sind, die waren die Erzähler. Das ist ja für Jugendliche noch mal was anderes, als wenn es ihnen "nur" die Lehrerinnen und Lehrer erzählen. Und das stärkt natürlich ihre Rolle, das stärkt ihr Wissen, indem sie es weitervermitteln. Also es sind ganz nachhaltige Bildungsprozesse damit verbunden. Und ich glaube, dass tut uns insgesamt gut.
    Maleike: Und das bringt ja auch wieder neuen Schwung in das Schulfach Geschichte. Sie fahren in Kürze wieder mit einer Schülergruppe nach Auschwitz und werden auch zum Gedenken an das Ende des Ersten Weltkrieges mit Jugendlichen wieder nach Belgien reisen.
    Löhrmann: Das ist richtig.
    Inklusion: "Eine Generationenaufgabe"
    Maleike: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk mit Sylvia Löhrmann, der Schulministerin von NRW und seit ein paar Tagen neue Präsidentin der Kultusministerkonferenz. Frau Löhrmann, schauen wir in die Zukunft und die Frage auch, wie die Heterogenität in Schulen, die Zukunftsfähigkeit der Schulen gestärkt werden kann. Heterogenität ist auch ein ganz wichtiges Thema, wenn es um die wahrscheinlich größte Herausforderung für die Schulen in Deutschland geht, nämlich um die Inklusion. Sie wissen, dass seit der Umsetzung der UN-Behindertenkonvention in Deutschland seit 2009 - das ist also jetzt im Frühjahr fünf Jahre - sich viele Schulen, viele Bundesländer aufgemacht haben, diese umzusetzen, sich aber doch bisweilen noch schwertun. Und es gibt auch Widerstände. In Nordrhein-Westfalen erst hatten Sie es mit den Kommunen und den Städten zu tun, die gesagt haben: So können wir das nicht schultern, wir brauchen dringend mehr Unterstützung. Wo steht die Inklusion in Deutschland aus Ihrer Sicht zur Zeit?
    Löhrmann: Alle Länder sind aufgerufen, den Anspruch auf Unterricht und auf gemeinsames Lernen von Kindern mit und ohne Handicap, aber natürlich auch die soziale Inklusion, auch die Integration von Kindern mit Zuwanderungsgeschichte, was die Chancengleichheit angeht, zu gestalten. Die Kultusministerkonferenz hat dazu Empfehlungen verabschiedet - sehr umfassende Empfehlungen, die auch der unterschiedlichen Struktur in den Ländern Rechnung trägt. Und alle Länder sind, wie gesagt, auf dem Weg, mit unterschiedlichsten Erfahrungen. Wir haben Rückmeldung bekommen, dass aus Bremen, aus Hamburg dort möglicherweise dort etwas zu stark, zu offensiv das Tempo angegangen worden ist. Ich will das nicht bewerten. Ich will das schildern, was mir von dort auch berichtet wurde. Woanders wartet man noch ein bisschen und ist jetzt bei der Gesetzgebung.
    Wir haben im letzten Jahr in Nordrhein-Westfalen das Gesetz verabschiedet, haben bewusst dazu gesagt, das ist das erste Gesetz zur Umsetzung, weil das eine Generationenaufgabe ist, aus meiner Sicht. Wir müssen den Rechtsanspruch schaffen. Das wollten wir auch, weil die Eltern nicht Bittsteller sein sollen, um für ihre Kinder eine allgemeine Schule zu finden. Wir wissen aber auch, dass wir es nicht überstürzen dürfen, weil sonst die grundsätzliche Bereitschaft, Inklusion zu leben und zu gestalten, gefährdet wäre. Und was ganz klar ist, es bedarf zusätzlicher Ressourcen im Bereich der Lehrerinnen und Lehrer. Es braucht die Integrations-/Inklusionshelfer. Das ist das Thema, was der Bund im Grund ja beschlossen hat und wo ich mir eben wünschen würde, er würde es auch finanziell mit unterstützen. Und es ist die Frage, welche räumlichen Veränderungen braucht es.
    Ganz wichtig ist, dass es Begleitmaßnahmen geben muss. Ich glaube, Fortbildung, Weiterbildung ist ganz, ganz zentral, damit die Kollegien, die neu anfangen, damit die eine gute Fortbildung bekommen und nicht die Sorge haben, dass sie das nicht schaffen können. Außerdem brauchen wir natürlich Sonderpädagogen. Und wir brauchen die differenzierte Steuerung von Zusatzressource. Und da fängt der Streit manchmal auch an mit den Lehrerverbänden. Die sagen, sie möchten so ein einfaches Muster: So und so viele Kinder, dann so und so viel mehr Lehrer. Die Form des Handicaps ist aber so unterschiedlich. Und deswegen gibt es kein Einheitsmuster. Ein sehbehindertes Kind, was normal begabt ist, eine Empfehlung fürs Gymnasium hat, braucht keinen Sonderpädagogen, sondern braucht eine vernünftige technische Unterstützung, die in dem Fall sogar ja die Krankenkasse bezahlt. Ein Kind mit motorischen Einschränkungen braucht natürlich einen barrierefreien Zugang. Ein Kind, was etwas langsamer lernt, braucht einen individuellen Förderplan. Das heißt, da kommt es sehr aufs Detail an, wie wir das ausgestalten und wie das gesteuert wird. Und das kann man nicht zentralistisch machen, sondern das muss man mit Rahmenvorgaben machen und dann müssen die Schulen und die Schulaufsicht mit begleiten: Wie genau geht der Weg hier in dieser Region.
    Inklusion in Lehrerausbildung verankern
    Maleike: Sie wollen, wenn ich das richtig gesehen haben, bis Mitte des Jahres eine Art Bilanz vorlegen, wo die Inklusion in Deutschland steht. Was werden Sie bis dahin noch auf den Weg bringen können? Vielleicht auch noch mal mit dem Bund über Unterstützung sprechen können?
    Löhrmann: Zum einen ist das richtig und zum anderen haben wir in dem Fall mit Unterstützung des Bundes uns ja auf ein Zehnjahresprogramm verständigt zur Weiterentwicklung der Lehrerbildung. Und alle Länder haben gesagt, da muss die Inklusion eine besondere Rolle spielen, weil natürlich mit Fortschreiten des gemeinsamen Lernens alle Lehrerinnen und Lehrer in ihrer grundständigen Ausbildung darauf vorbereitet sein müssen, wie verschieden die Kinder sein werden. Und deswegen muss es so etwas geben, wie ein Basismodul oder Basismodule Inklusion, die in allen Lehrerausbildungsgesetzen dann auch verankert sind. Weil wir ja wollen, dass die Lehrerinnen und Lehrer auch deutschlandweit Arbeitsplätze einnehmen können und nicht an den Landesgrenzen das Halt macht. Das ist unstreitig. Es gibt gute Vorbilder, es gibt gute Beispiele. Das werden wir zusammentragen. Und da bin ich ganz zuversichtlich, dass wir das hinbekommen im Laufe dieses Jahres.
    Maleike: Die "Qualitätsoffensive Lehrerbildung" haben Sie damit angesprochen. Wo steckt die?
    Löhrmann: Die ist verabredet. Und im Dezember 2013 haben sich die beiden Präsidien von Kultusministerkonferenz und Hochschulrektorenkonferenz in Berlin an einen Tisch gesetzt. Und das Bundesministerium hat das auch jetzt nicht infrage gestellt. Und ich meine auch, dass Herr Kretschmer von der CDU noch mal darauf hingewiesen hat, dass diese Mittel dafür fließen werden in den nächsten zehn Jahren. Und mein Kenntnisstand ist, dass im Moment die Projektausschreibung mit den genauen Kriterien im Bundesministerium vorbereitet wird. Dann wird das ausgeschrieben und dann können sich die Hochschulen mit einzelnen Projekten bewerben und können das dann möglichst bald natürlich ihren Studierenden auch zugutekommen lassen. Also das Programm ist angelegt, ist verabredet, ist unstreitig und kann laufen. Daneben geht es aber auch darum, eben zu sagen: Was müssen alle Lehrerinnen und Lehrer - unabhängig davon in welchem Land sie unterrichten, in welcher Schulform sie unterrichten - können mit wachsender gemeinsamer Beschulung von Kindern mit und ohne Handicap.
    Maleike: Eine Stelle, an der es aber definitiv mangelt, ist die Schulleitung. In ganz Deutschland suchen viele Schulen schon seit einiger Zeit Schulleiter, händeringend! Nordrhein-Westfalen gehört auch dazu. Wenn ich eine richtige Meldung habe aus dem Januar 2014, also von jetzt gerade eben, ist jede achte Schule in NRW auf der Suche nach einem Leiter. Das ist ein Riesenproblem. Wie wollen Sie das lösen?
    Löhrmann: Ja, erst mal, es ist ein Problem. Wir wollen es lösen durch Maßnahmen - erstens - der Qualifizierung, weil sich auch das Bild der Schulleitung völlig verändert hat in den letzten, ich sage mal, zehn, 20 Jahren. So viel wie Schule komplexer geworden ist, ist natürlich auch die Führungsaufgabe komplexer geworden. Und man kann den Grundsatz sagen: Keine gute Schule ohne gute Schulleitung. Also das veränderte Bild muss natürlich auch da begleitet werden, durch Qualifizierung, durch Fortbildungsmöglichkeiten, durch Austauschmöglichkeiten. Das Zweite ist die Frage des Geldes, der Bezahlung. Die Strukturen: meist größerer Schulen = höhere Besoldung, kleinere Schulen = weniger. Da trägt sich auch fort die Auffassung, wie wichtig ist welche Stufe der Bildung - aber das wird jetzt, glaube ich, zu weit führen. Und wir haben in Nordrhein-Westfalen eines immerhin getan: Wissend, dass Zeit ja auch Geld ist, haben wir die sogenannte Leitungszeit, also die Stunden, die die Schulleitung dann nicht unterrichten von ihrem Stundendeputat, die haben wir ausgeweitet, und zwar doch ganz beträchtlich, und investieren hier rund 45 Millionen Euro. Insofern bin ich zuversichtlich, dass sich das Problem minimiert. Und das können wir zum Beispiel daran erkennen, dass wir im November, meine ich, noch 450 unbesetzte Grundschulen hatten und jetzt etwa 350. Also das heißt, das ist sehr im Umbruch. Was aber wichtig ist, jede Schule hat auch eine Leitung, manchmal dann kommissarisch. Und wir arbeiten sehr intensiv an diesem Thema.
    Kooperation unter den Ländern verbessern
    Maleike: Und wenn Sie dann in einem Jahr den Staffelstab übergeben, was soll dann als Bilanz unter Ihrer Präsidentschaft stehen als wichtigster Punkt?
    Löhrmann: Dass wir eine klarere Verständigung haben, zum Beispiel, was die inklusive Lehrerbildung angeht. Ich glaube, das ist ganz, ganz wichtig. Dass wir wissen, wir beteiligen uns selbstverständlich weiter an Studien, um zu wissen, wo wir stehen, dass wir aber genauer herausfinden, was kann denn Bayern von NRW lernen beim Ganztag; was können die NRWler lernen…
    Maleike: … ganz viel.
    Löhrmann: … von Sachsen beim Thema naturwissenschaftlicher Unterricht oder Mathematik. Also, wenn die Kooperation der Länder untereinander besser geworden ist, dass fände ich auch sehr schön, wenn ich diesen Schlussstrich ziehen könnte.
    Maleike: Zum Schluss, ihr größter Wunsch als KMK-Präsidentin an die Bildungsrepublik Deutschland?
    Löhrmann: Dass alle sich bewusst sind, dass Bildung die Schlüsselfrage für die Zukunft unserer Gesellschaft ist und dass es deswegen eine Gemeinschaftsaufgabe ist - nicht nur von Bund, Ländern und Gemeinden, sondern auch der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft, der Kirchen, aller Menschen, wo immer möglich sie dazu beitragen können, weil die Kinder das Kostbarste sind, was wir haben. Und wenn wir unsere Kinder gut fördern, sie zu ihrem Besten führen, was sie in sich tragen, dann bleiben die Kinder nicht unter ihren Möglichkeiten und dann bleibt auch unsere Gesellschaft nicht unter ihren Möglichkeiten. Insofern haben wir allen guten Grund dazu, gemeinsam für gute Bildung in Deutschland zu arbeiten.
    Maleike: Frau Löhrmann, Danke für das Gespräch und den Besuch im Funkhaus und toi, toi, toi für Ihre Arbeit.
    Löhrmann: Dankeschön.