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Binninger: V-Leute haben nichts gebracht

Polizei, Verfassungsschutz und Justiz hätten bei der NSU-Mordserie alle versagt, sagt der CDU-Obmann im Ausschuss, Clemens Binninger. Er kritisierte zudem den Einsatz von V-Leuten bei den Ermittlungen. Aufwand und Risiko hätten in keinem Verhältnis zum Ertrag gestanden.

Clemens Binninger im Gespräch mit Christoph Heinemann | 22.08.2013
    Christoph Heinemann: Etwa anderthalb Jahre lang hat ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages zusammengearbeitet, und zwar einvernehmlich – das allein ist meldepflichtig, da die Untersuchungsausschüsse in der Regel zu parteipolitischen Zwecken ge- oder missbraucht werden. Die ungewohnte Einigkeit hatte mit dem Untersuchungsgegenstand zu tun, die zehn Morde an Mitbürgerinnen und Mitbürgern. ausgeführt durch die rechtsterroristische NSU-Gruppe. Auf vielen Hundert Seiten haben die Parlamentarier aller im Bundestag vertretenen Parteien Erkenntnisse über Versäumnisse aufgeschrieben. Obmann der Union ist der CDU-Politiker Clemens Binninger, den ich vor gut einer Stunde gefragt habe, wer in welchem Umfang versagt hat.

    Clemens Binninger: Es war ein Versagen aller Sicherheitsbehörden, ja? Man hat ja sehr stark anfangs auf den Verfassungsschutz geguckt, da wurden viele Fehler gemacht, aber im Ergebnis muss man sagen, es war ein Versagen von Polizei, Verfassungsschutz und auch Justiz, der Staatsanwaltschaften, und der schreckliche Fall hat gezeigt, dass unsere föderale Sicherheitsarchitektur mit der Zersplitterung ihrer Zuständigkeit hier sehr schnell und sehr deutlich an ihre Grenzen gekommen ist.

    Heinemann: Behindert der Föderalismus den Rechtsstaat?

    Binninger: Nein, das wäre jetzt ein unzulässiger Schluss, aber man muss eben sehen, wenn Sie zum Beispiel beim Thema Rechtsextremismus 36 verschiedene Behörden haben, die bei Verfassungsschutz und Polizei dafür zuständig sind, in jedem Bundesland zwei ja schon, und dann ist es äußerst schwierig, da immer sicherzustellen, dass alle Informationen dort landen, wo sie hingehören, deshalb musste man ja da – und das ist ja auch ein Vorschlag von uns, dass man da auch Konsequenzen zieht.

    Heinemann: Ist die Bereitschaft, diese Konsequenzen zu ziehen, denn auch gegeben?

    Binninger: Ich denke schon, wir werden heute ja einen Bericht vorlegen, der ja, ich glaube, das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik ein komplett einstimmiges Votum enthält, sowohl beim Feststellungsteil, bei den Bewertungen, also auch bei den 47 Schlussfolgerungen, und da noch, glaube ich, über diese Einigkeit über die Fraktionsgrenzen hinweg, sind wir auch in der Lage, einen Veränderungs- und Reformdruck aufzubauen, und wir sind auch alle in der Pflicht – Parlament, Exekutive und Justiz –, hier diesen Bericht als Grundlage zu nehmen. Einige Dinge sind ja aber auch schon auf den Weg gebracht worden, das muss man auch fairerweise zugestehen.

    Heinemann: Welche?

    Binninger: Ja, es gab das Terrorabwehrzentrum Rechts, das eingerichtet wurde, wo genau diese 36 Behörden jetzt an einem Tisch sitzen und sich jeden Tag austauschen. Es gibt beim Bundesamt für Verfassungsschutz Reformbemühungen und wieder eine eigene Abteilung Rechtsextremismus, und für mich einer der Bausteine schlechthin, wir haben in der Koalition zusammen mit der SPD, die hat da zugestimmt, die Rechtsextremismusdatei eingeführt, eine Datei, die es jetzt möglich macht, dass Verfassungsschutz und Polizei ihre Informationen über gewaltbereite Neonazis austauschen und auch abfragen können in Sekundenschnelle, nicht in Monaten, wie es in diesem Fall, den wir untersucht haben, ja häufig leider festzustellen war.

    Heinemann: Aber das Grundübel besteht ja immer noch: der Föderalismus, die Zersplitterung der Kompetenzen, der Zuständigkeiten.

    Binninger: Föderalismus ist kein Grundübel, nein, …

    Heinemann: In diesem Zusammenhang, in dem von Ihnen geschilderten Zusammenhang, sagen wir es so.

    Binninger: Ja, die Zersplitterung besteht nach wie vor, das ist richtig, deshalb muss man ja auch sehen, wo kann man weiter voranschreiten, und da wird es stark auf Informationsaustausch ankommen, den zu verbessern in allen Bereichen, wo es geht, und es wird auch zu überlegen sein – das hat ja der Bundesinnenminister schon mal angedeutet –, ob man bei bestimmten Bereichen Schwerpunkte bildet. Aber ich glaube, mit dem, was wir vorschlagen, mit dem, was wir auf den Weg gebracht haben, mit den ganzen Erkenntnissen, ist schon vieles dann nicht mehr vorhanden an Fehlern, was hier mit dazu geführt hat. Daneben gab es aber auch natürlich andere schwere Fehleinschätzungen, die Gefahr des gewaltbereiten Rechtsextremismus wurde in diesen, ja, 15 Jahren, Ende der 90er bis jetzt zum Auffliegen, doch kolossal unterschätzt. Dieses frühe Festlegen auf Ermittlungsrichtung – es muss organisierte Kriminalität sein –, all diese Dinge kommen ja mit dazu.

    Heinemann: Steht heute fest, warum nicht in alle Richtungen ermittelt wurde, sondern die Täter nur im Umfeld der Opfer vermutet wurden?

    Binninger: Es wurde ja auch im Bereich Rechtsextremismus ermittelt, 2006 auf Initiative der Bayern. Man hatte – das muss man auch fairerweise sagen – natürlich irre wenig Spuren vor Ort, es gab kaum Hinweise, aber einmal hat man es versucht, das war sehr schwierig, es war umstritten, und ich habe mir das nur so erklären können, dass man hier Erfahrungswissen, das man meinte, anwenden zu können, fälschlicherweise angewandt hat. Beispiel: Terrorismus verlangt immer ein Bekennerschreiben, war eine dieser Hypothesen der Ermittler. Und da es kein Bekennerschreiben gab, zum Beispiel bei dem Sprengstoffanschlag in Köln mit 30 Schwerverletzten, kann es kein Terrorismus sein. Man hatte ja sonst keine Ansätze, also hat man immer von Racheakten und hat immer gleich von Milieu oder Türsteherszene oder organisierter Kriminalität gesprochen, und davon ist man nicht mehr abgerückt. Und das ist eine, wirklich eine fatale Fehleinschätzung gewesen. Man hat dann phasenweise schon auch ermittelt, aber der Schwerpunkt war immer o. K., kriminelles Milieu, da hat man sich konzentriert – auch zu einer Zeit ja noch, als es wirklich ja nichts mehr dort zu finden gab, und das ist das, was wir ja kritisieren.

    Heinemann: Ihre SPD-Kollegin, die SPD-Obfrau Eva Högl, kommt noch zu einem anderen Schluss: Sie sagte, in der Polizei gebe es oftmals rassistisch geprägte Verdachts- und Vorurteilsstrukturen, die eben eine solche breite Ermittlung verhindert hätten. Anders ausgedrückt: Kann man sagen, sind Polizei- und Nachrichtendienste in Deutschland auf dem rechten Auge blind?

    Binninger: Nein, der Einschätzung widerspreche ich, und wir haben auch versucht, das sehr differenziert zu beschreiben. Natürlich gibt es Fälle, wo man das annehmen muss, Einzelfälle aber, denen man da auch entschieden begegnen muss und sie unverzüglich abzustellen hat.

    Heinemann: Sie meinen jetzt, Einzelfälle, Personen, die auf dem rechten Auge blind sind, in den Ermittlungsbehörden?

    Binninger: Ja, wenn Sie zum Beispiel ja – das haben wir ja auch herausbekommen, wenn dann sich im Nachhinein rausstellt, dass ein Vorgesetzter bei der Polizei phasenweise Mitglied im Ku-Klux-Klan war, dann ist das ja offenkundig inakzeptabel, aber daraus würde ich nicht auf die ganze, gesamte Organisation schließen. Und bei dem Thema auf dem rechten Auge blind haben wir sehr differenziert. Und wenn man damit meint, dass man absichtlich weggesehen hätte, obwohl es Hinweise gab, oder verdrängt hätte, dann sage ich klar, Nein. Wir haben es differenziert und gesagt, aber was eben festzustellen war, dass man nicht offen war für solche Ansätze, dass man quasi, ja, wie immer festgelegt schon war aufgrund dieses Erfahrungswissens, aber das ist nicht dieses bewusste Wegsehen, dass man gemeinhin mit diesem Begriff verbindet, deshalb würde ich da der Einschätzung der Kollegin doch deutlich widersprechen. Diesen Befund haben wir so nicht festgestellt und haben ihn so auch nicht im Bericht.

    Heinemann: Trotz zahlreicher V-Leute im Milieu wurde die Mordserie nicht als rechtsterroristisch erkannt, also ein weiteres Hilfsmittel wäre das ja gewesen. Welche Folgerung ziehen Sie daraus für die Einsätze solcher V-Leute.

    Binninger: Also es ist ein ganz schwieriges Feld, und ich sage, man kann in bestimmten Milieus Rechtsextremismus, Linksextremismus, Terrorismus, Islamismus, nicht ganz darauf verzichten, weil diese Milieus zum Teil so abgeschottet sind, dass Sie sonst überhaupt keine Informationen bekommen würden. Aber so wie im Bereich Rechtsextremismus in diesen 15 Jahren das Instrument der V-Leute eingesetzt wurde, stand Aufwand und Risiko, dass man mit diesen Leuten eingeht – das bleiben ja Neonazis, die bereit sind, da zusammenzuarbeiten –, stand Aufwand und Risiko in keinem Verhältnis zum Erkenntnisgewinn. Und deshalb muss es auch da Veränderungen geben, einheitliche Standards, klare Grenzen, wann der Staat nicht mehr mit einem V-Mann zusammenarbeitet. Wir hatten hier ja den Fall, dass man einen wegen versuchten Mordes verurteilten Neonazi als V-Mann jahrelang hatte im Land Brandenburg, all das darf so nicht mehr sein, aber ganz auf das Instrument verzichten, das kann man auch nicht.

    Heinemann: Müssen die Einsätze rechtlich neu geregelt werden.

    Binninger: Nein, ich glaube, die rechtlichen Regelungen sind da ausreichend, das Problem war eher, dass es keine einheitlichen Standards gibt, und dass der Aufwand, den man dazu betreiben muss, sehr hoch ist, und dazu auch nicht jede Behörde, jede kleine Behörde in der Lage ist, und deshalb muss man sich darüber einigen, dass man sagt, welche Qualitätsstandards, wie gewinnen wir Informationen von diesen V-Leuten, wann beenden wir die Zusammenarbeit, wann scheidet die Zusammenarbeit von vornherein aus, und tauschen wir uns unter Beachtung der Geheimhaltung, soweit es eben geht, auch über die Anzahl und überhaupt über die V-Leute aus. Das sind Dinge, die man angehen muss, aber ganz darauf verzichten kann man nicht. Gleichwohl gilt unser Untersuchungsbefund: Für diesen Zeitraum im Bereich Rechtsextremismus haben die V-Leute nichts gebracht.

    Heinemann: Clemens Binninger, CDU-Unions-Obmann im NSU-Untersuchungsausschuss, und dieser Ausschuss legt heute seinen Abschlussbericht vor. Das Gespräch haben wir vor einer guten Stunde aufgenommen.


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