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Biobauer in Slawonien
"Hanf ist unsere Zukunft"

Als Bio-Pioniere machte Familie Falamić seit 1989 gute Gewinne - bis Kroatien der EU beitrat. Plötzlich stand die Firma vor dem Ruin. Erst der Sohn kommt auf die Idee: Hanf soll sie retten.

Von Grit Eggerichs | 31.12.2019
Mladen Falamić im blauen Konferenzraum, hinter sich das geflügelte Logo des Familienbetriebs "Fami"
Mladen Falamić im blauen Konferenzraum, hinter sich das geflügelte Logo seins Familienbetriebs (Grit Eggerichs / Deutschlandradio)
"Das sind unsere Felder, bis zum Wald da vorne. Und das Hanffeld hier ist das größte: 42 Hektar." Die Pflanzen sind noch klein und zart. Fast fürchtet man, der ergiebige Regen könnte sie wegspülen.
Mario Falamić hockt sich hin. Er ist blond und rundlich. Sein Bruder Mladen steht neben ihm: dünn und dunkelhaarig. Nur wenn sie lächeln, sehen die zwei sich ein bisschen ähnlich. "Wir haben dasselbe gelernt. Wir sind beide zur Wirtschafts- und Handelsschule gegangen – hier in Donji Miholjac und Osijek."
Aus den Blüten, Blättern und Samen der Cannabispflanzen werden in der eigenen Fabrik ätherische Öle, Salatöl und Tee gemacht. Mladen und Mario verkaufen ihre Produkte heute in die Niederlande, nach Deutschland und Österreich – und an die kroatischen Filialen einer deutschen Drogeriekette.
Das Geschäft läuft erst an. Bis vor fünf Jahren wuchs hier noch Soja. Dann hat Mladen, der Ältere der beiden, die Produktpalette komplett umgestellt. Und das kam so: "Bis 2013 haben wir für die Eigenmarken der großen deutschen und österreichischen Handelsketten produziert, für deren Standorte hier in Kroatien."
Öko-Pioniere in ihrer Gegend
Mladens Eltern hatten das Unternehmen 1989 gegründet und Fami genannt: Fa für Falamić und mi für Mirko und Mirjana. Seitdem wuchs das Unternehmen, selbst während des Kriegs in den Neunzigerjahren. Mirko und Mirjana kauften mehr Land und bauten Lebensmittellabor, Lager und Fabrik – wenige Autominuten von ihren Äckern entfernt.
Und sie begannen auf Bio umzustellen – vor 15 Jahren schon. Sie waren die Öko-Pioniere der Gegend. Mario verabschiedet sich – am nächsten Tag will er das erste Tierfutter seiner neu gegründeten Marke Canibis produzieren: Denn Hanf tut auch Vierbeinern gut.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Slawonien in Kroatien - Nicht nur Hinterland".
Mladen steigt die Treppe hinauf. Oben im Büro ist alles blau gehalten. Schreibtisch und Stuhl des Vaters, der seit Anfang des Jahres im Ruhestand ist. Mladens Platz ist weiter hinten im Raum, am blassblauen Konferenztisch auf einem wuchtigen Kunstledersessel.
"Bei Gewürzmischungen und Softdrinks hatten wir den zweitgrößten Marktanteil nach Podravka und Coca Cola, wir waren das größte Unternehmen hier in der Region. Das war der Fehler. Wenn man die Uhr zurückdrehen könnte würden wir das so nicht noch einmal machen." Über ihm das gelbe Fami-Logo mit prächtigen ausgebreiteten Flügeln – pastös auf die blaue Wand gemalt.
Mit dem EU-Beitritt änderte sich alles
"Stell dir vor, du arbeitest 25 Jahre, du expandierst, alles läuft super. Und dann der Albtraum. Die Bestellungen der Supermarktketten gingen zurück. Immer weiter, gerade so, dass sie die Verträge nicht gebrochen haben. Und ihre Regale waren trotzdem voll. Wir haben ja für deren Eigenmarken produziert, das heißt: Äußerlich sah alles aus wie immer, aber der Inhalt kam woanders her."
Das war vor sechs Jahren. Am 1. Juli 2013 wurde Kroatien Mitglied der EU – fünf Monate später liefen die Verträge mit den Handelsketten aus.
"Nach dem Beitritt gab es keine Zollschranken mehr. Und so konnten sie uns einfach ersetzen: durch Lieferanten aus den alten EU-Ländern. Die Handelsbeziehungen dorthin haben eben eine längere Tradition – oder die Ketten haben Anteile an den Zulieferunternehmen und greifen deshalb lieber auf die zurück."
Plötzlich hatten die Angestellten bei Fami nichts mehr zu tun. Nach dem ersten Schock suchten die Falamićs neue Kunden und fanden sie in Russland. Doch dann kam die Krimkrise und der Rubel fiel ins Bodenlose.
"Wir mussten den meisten Mitarbeitern kündigen. Das war die schlimmste Zeit unseres Lebens. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren super. Wir kannten sie, wir wussten von ihren Eheproblemen, von finanziellen Nöten und Gesundheitsproblemen. Sie waren eher Freunde als Angestellte."
"Mit Hanf kannst du so ziemlich alles machen"
In dieser Situation wurde bei Mladens Vater Darmkrebs diagnostiziert. Die Familie suchte jetzt gleichzeitig nach Therapien und neuen Konzepten für das Geschäft. Dabei entdeckte sie: Hanf. Mirko Falamić begann, Cannabis mit hohem Wirkstoffgehalt zu inhalieren und erholte sich nach seiner Darm-OP schnell.
Gleichzeitig gründete sein Sohn Mladen ein neues Unternehmen: "Green Life. Harvested and made in Croatia". Eine Ökomarke mit Biozertifikat, spezialisiert auf Produkte aus Industriehanf – das enthält nur kleine Wirkstoffmengen. "Da müssen wir noch vorsichtig sein, in Kroatien ist es bislang nicht wirklich erlaubt, mit Wirkstoff-Anteilen über 0,2 Prozent zu arbeiten."
Ein neues Gesetz zu medizinischem Hanf wurde in Kroatien zwar gerade verabschiedet – und die Falamićs würden Cannabis gern als Arznei produzieren. Aber noch ist völlig unklar, wer medizinisches Hanf anbauen darf und welche Produkte überhaupt zugelassen werden. "Wir haben Hanf als eine Pflanze entdeckt, die hier gut gedeiht, und gesund ist: Als Lebensmittel, als Medikament, als Baustoff – du kannst so ziemlich alles damit machen. Ich glaube, Hanf ist unsere Zukunft".
Und wenn es klappt: auch die der 30 verbliebenen Angestellten. Die meisten der gekündigten Mitarbeiter leben inzwischen in Irland oder Deutschland, sagt Mladen.
Gemischte Gefühle zur EU
"Wir sehen die EU natürlich durch die Brille unserer Erfahrungen: Klar ist es gut, dass wir leichter reisen könnten. Aber andererseits sind war ja noch nicht im Schengen-Raum, also hat sich nicht viel verändert. Außer, dass wir Lebensmittel jetzt importieren und gut ausgebildete Arbeitskräfte exportieren. Nach dem Beitritt haben viele Betriebe hier Schluss gemacht und ganze Familien sind ausgewandert."
Wie viele Menschen gegangen sind, lässt sich kaum abschätzen, denn viele ziehen weg, ohne ihren Wohnsitz aufzugeben. Fest steht, sagt Mladen: Wenn er expandieren würde und 20 neue Mitarbeiter bräuchte – er würde sie nicht finden.
Eine Produktion des Deutschlandfunk 2019