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Biographie
Juan Martín Guevara porträtiert seinen Bruder Che

50 Jahre nach dessen Tod ist eine neue Biographie über Che Guevara erschienen. Geschrieben hat sie sein Bruder Juan Martín Guevara. Er will die wahre Geschichte des kubanischen Revolutionsführers erzählen. Interessant ist dabei jedoch auch sein eigene Vita.

Von Ina Rottscheidt |
    Feuerzeuge, Notizbücher, Postkarten und zwei rote T-Shirts mit immer dem gleichen Konterfei des südamerikanischen Guerilla-Führer Ernesto "Che" Guevara.
    Feuerzeuge, Postkarten und T-Shirts mit dem immer gleichen Konterfei des Guerilla-Führers Ernesto "Che" Guevara (picture alliance / dpa / Frank May)
    Künstler rund um den Globus setzten ihrem "Comandante" ein Denkmal. In Liedern, Gedichten und Filmen ist er ein furchtloser Kämpfer für das Gute, der edle Revolutionär.
    Längst ist Ernesto Guevara zu Pop-Ikone geworden: Keine Demonstration, auf der sein bärtiges Konterfei mit dem Barett auf dem Kopf nicht auf irgendeiner Fahne wehen würde. Es ziert Tassen, T-Shirts und Plakate in Studenten-WGs. Heute, so scheint es, ist er eine Projektionsfläche geworden für alles, was irgendwie mit Rebellion oder Systemkritik zu tun hat.
    Genau gegen diese Überhöhung wendet sich Juan Martín Guevara mit seinem Buch "Mein Bruder Che":
    "Das ganze dumme Gerede läuft einzig darauf hinaus, Che zum Mythos zu machen. Ich habe mir zum Ziel gesetzt, diesen Mythos zu zerstören und meinem Bruder wieder ein menschliches Antlitz zu geben."
    50 Jahre hat der jüngere Bruder des Che geschwiegen, jetzt will er die wahre Geschichte über den kubanischen Revolutionsführer erzählen.
    Anekdoten aus Kindheit und Jugend
    Ernesto wächst als Ältester von fünf Kindern in Argentinien auf. Sein Elternhaus ist liberal, die Eltern scherten sich nicht um bürgerliche Konventionen.
    "Wir sind ein Wanderzirkus in permanentem Chaos [...]Jede Wohnstädte verwandelt sich unvermeidlich in einen Gerümpelschuppen [...] Meine Eltern sind als liberale und permissive Vögel verschrien, deren Kinder alles dürfen, Bälger, die nach Lust und Laune mit allem möglichen Gesindel herumhängen. In der Tat leben die Guevara-Sprösslinge frei wie die Vögel in der Luft."
    Ernesto ist ein kränkliches Kind, das an Asthma leidet. Die Mutter ist vernarrt in ihren "Ernestito" - wie sie ihn liebevoll nennt. Auch erfährt man in dem Buch, dass der "Che" offenbar wenig Interesse an Körperpflege hatte, was ihm den Beinamen 'chancho' – 'Schwein' - einbrachte.
    "Und er hat die schreckliche Gewohnheit, die Bücher mit aufs Klo zu nehmen und Ewigkeiten dort sitzen zu bleiben. [...] Bittet man ihn, endlich das Klo freizugeben, fängt er an, Gustave Flaubert, Alexandre Dumas oder Baudelaire zu zitieren."
    Doch alle diese kleinen Anekdoten lesen sich wie die private Fortschreibung der Heldengeschichte über den Che. Denn trotz schmuddeligem Äußerem sei sein Bruder der begehrteste Junggeselle im Viertel gewesen, schreibt Juan Martín Guevara voller Bewunderung. Beim Rugby ist er - trotz Asthma - der Kämpferischste und auf der Toilette liest er - natürlich - die Literaturklassiker im Original auf Französisch.
    Der Bruder als Held
    Juan Martín Guevara macht letztlich genau das, was er vorgibt, zu bekämpfen: Er überhöht seinen Bruder, schreibt ihm bereits in Kindertagen charismatische Führungseigenschaften zu, will sogar Gemeinsamkeiten mit Christus gefunden haben:
    "Es gibt eine Zeit vor und eine nach Che. Den Humanismus, die ständige Sorge um die Unterdrückten, die Rebellion gegen die Mächtigen, die Anprangerung des Reichtums und der Gier. Jesus opferte sich für die Menschen, Che tat dasselbe."
    Das Buch eröffnet keinen neuen Blick auf den wohl berühmtesten Revolutionär der Zeitgeschichte. Verwunderlich ist das nicht: Der Autor ist 15 Jahre jünger. Sieben Jahre war Juan Martín alt, als sein großer Bruder das elterliche Haus erstmals verließ, um als Weltenbummler umher zu ziehen. Tatsächlich weiß er von Ches Zeit auf Kuba, dem Verschwinden 1965, dessen Zeit im Kongo und später in Bolivien das Allermeiste auch nur aus zweiter Hand.
    Juan Martín Guevara während der argentinischen Militärdiktatur
    Leider gerät in dem Buch die nicht minder bewegte Biographie des Autors selbst zur Nebengeschichte: Juan Martin saß zur Zeit der Militärdiktatur in Argentinien über acht Jahre lang im Gefängnis, weil er sich in der Revolutionären Arbeiterpartei engagierte. Es war die Zeit der Geheimgefängnisse, in denen gefoltert wurde und Menschen für immer verschwanden.
    "Meine längste Zeit völliger Isolationshaft dauerte sechs Monate. Ich ging auf und ab und dachte nach, mehr gab es nicht zu tun. Wir bekamen so wenig zu essen, dass ich keine Kraft hatte, mich körperlich fit zu halten. Ich verlor das Gefühl für Raum und Zeit und nicht nur dafür, was außerhalb des Gefängnisses vor sich ging, sondern auch in dem Korridor, der ein paar Meter von mir entfernt war. [...] In regelmäßigen Abständen betraten Folterer die Zellen und vernahmen uns, falls sie uns nicht gleich in einen Folterraum schleppten."
    Warum sich Che Guevara, der nichts Geringeres anstrebte, als die unterdrückten Völker Lateinamerikas zu befreien, in jenen finsteren Zeiten nicht in seiner eigenen Heimat Argentinien engagierte, lässt sein Bruder offen. Und die zahlreichen Exekutionen, die der Che zu verantworten hatte, die Straf- und Arbeitslager für Abtrünnige auf Kuba rechtfertigt er als notwendiges Opfer für die Revolution.
    Ein Leben im Schatten des Comandante?
    Heute wäre der Che 89 Jahre alt. Sein Bruder Juan Martín ist 74. Ob er ein Leben im Schatten seines großen Bruders geführt habe, wurde er kürzlich im argentinischen Fernsehen gefragt:
    "Ich werde das immer wieder gefragt, ob das eine Bürde war und ich sage: nein. Ich habe nicht in seinem Schatten gelebt, sondern er hat auf mich abgestrahlt. Natürlich ist es ein Unterschied, ob dein Bruder der Che ist oder - sagen wir mal - Peter Müller. Wenn ich Leute kennenlerne, können sie das erst nicht glauben. Dann mustern sie mich, suchen Ähnlichkeiten. Fragen, ob wir leibliche Brüder sind. Und alle sagen sie: Das kann doch nicht sein!"
    Juan Martín ist ohne Zweifel stolz auf seinen Bruder. Und er ist immer noch der kleine Bruder, der den großen vorbehaltlos verehrt. Unbeirrt hält er in seinem Buch an der Legende vom uneigennützigen Humanisten fest, der nichts für sich selbst wollte und von einer besseren Gesellschaft träumte. Dass der Che am Ende ein Gescheiterter ist und sein Erbe zu einer Art Pop-Kultur wurde, spielt für ihn keine Rolle:
    "Die Frage ist doch: Warum ist er heute noch so präsent? Es gibt etwas jenseits der Vermarktung des Che: Er steht für das Aufbegehren, den Kampf um Gerechtigkeit. Ich bin mir sicher: Es gibt einen tieferen Grund, dass sich so viele auf ihn berufen. Jeder wird das anders definieren, aber es gibt einen Grund."
    Juan Martín Guevara, Armelle Vincent: "Mein Bruder Che"
    Tropen Verlag, 352 Seiten, 22 Euro.