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Blauhelme im Kampf

Seit elf Jahren sind die Vereinten Nationen im Kongo mit ihrem Friedenskonzept nicht weitergekommen, obwohl dort 20.000 Blauhelme im Einsatz sind. Eine Einsatztruppe soll im Osten des Landes nun Frieden erzwingen. An der Spitze der UN-Mission steht seit August ein Deutscher.

Von Simone Schlindwein |
    Von Weitem hört man den stetigen Bombenhagel. Der staubige Boden im Ostkongo bebt. Tausende Menschen laufen panisch davon. Mit schweren Waffen bekriegen sich Kongos Regierungsarmee und die Rebellen der M23, der Bewegung des 23. März, seit über einem Jahr. Die Frontlinie verläuft nördlich von Goma, der Millionenmetropole an der Grenze zu Ruanda. Immer wieder treffen die Bomben auch die Wohnbezirke. Dutzende Zivilisten sind bei den jüngsten Kämpfen ums Leben gekommen.

    Die holprige Straße, die von Goma nach Norden führt, ist zerfurcht von Bombenkratern. Panzer rollen an die Front. Soldaten laden Munition nach. Die Armee versucht, die Rebellen zurück zu drängen, erklärt Armeesprecher Olivier Hamuli. Er steht zwischen den Panzern an der Front.

    "Sie sehen hinter mir Wohnhäuser. Die Bewohner mussten fliehen. Sie leben jetzt in den Flüchtlingslagern. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen zurückkehren und ein normales Leben führen können. Auch die Bevölkerung in dem von der M23 besetzten Gebiet leidet. Es ist unsere Aufgabe als Regierungsarmee, dem ein Ende zu setzen. Das können wir nicht dulden. Neben der M23 haben wir aber noch andere Milizen. Auch gegen diese müssen wir vorgehen. Es ist jetzt an der Zeit, Frieden zu schaffen."

    Im Ostkongo kämpfen derzeit mehr als 50 verschiedene Rebellengruppen. Doch die schlecht bezahlte, korrupte Regierungsarmee kommt gegen sie nicht an. Die bislang dort stationierten UN-Blauhelme hatten lediglich die Aufgabe, die Bevölkerung zu schützen. Und doch gelang es der M23 im vergangenen Jahres, Goma einzunehmen und zwölf Tage zu besetzen – obwohl die meisten der 20.000 UNO-Blauhelme in Goma stationiert sind. Ein Desaster für die UNO. Das soll jetzt anders werden.

    Und so stehen zwischen den Panzern der Regierungsarmee jetzt auch UN-Soldaten mit himmelblauen Helmen an der Front. 2.500 tansanische und südafrikanische Soldaten sind seit August im Ostkongo stationiert: als eine spezielle Eingreiftruppe der UNO. Sie hat ein Mandat vom Sicherheitsrat, aktiv gegen Rebellengruppen vorzugehen – und zwar mit Scharfschützen, Kampfhubschraubern und schweren Waffen. Damit schlägt die UNO in ihrer Friedenspolitik ganz neue Töne an. An der Spitze der UN-Mission im Kongo steht seit August ein Deutscher: Martin Kobler. Als ehemaliger UN-Beauftragter in Afghanistan und Irak wolle er jetzt auch im Kongo knallhart durchgreifen, sagt er.

    "Die Interessen, die wir definieren, das sind Interessen, hinter denen jeder stehen kann: Die UN-Charta, Menschenrechte, sexuelle Gewalt und Kindersoldaten … da kann man ruhig richtig radikal sein."

    Schulter an Schulter kämpften UN-Blauhelmsoldaten zuletzt gemeinsam mit der Armee gegen die M23. Dabei starben zwei Blauhelme. Immerhin ist es ihnen gelungen, die M23 über 20 Kilometer zurückzudrängen. Damit liegt Goma jetzt außerhalb der Reichweite der Bombengeschütze. Doch ein Problem bleibt: Auch Kongos Armee ist dafür bekannt, Menschenrechtsverbrechen zu begehen.

    Vergangenes Jahr vergewaltigten betrunkene Soldaten nach einer Niederlage über Hundert Frauen in der Kleinstadt Minova. Fährt Kobler auch gegenüber der Armee eine Null-Toleranz-Politik in Sachen Menschenrechte?

    "Klar, auch gegenüber der Armee. Nein, ZUERST gegenüber der Armee. Unsere Menschenrechtspolitik gegenüber der Armee besagt ganz klar: Wir arbeiten nur mit Einheiten zusammen, die durch unseren Bettingprozess durchgegangen ist. Das ist eine Art Menschenrechtscheck für diejenigen Einheiten, mit welchen wir zusammen arbeiten.""

    Und trotzdem wurden Journalisten an der Front jüngst Zeugen, wie Armeesoldaten Leichen schändeten. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon drohte sogleich, die Hilfe für die Armee einzustellen. Dieses Beispiel zeigt einmal mehr das Dilemma der UNO, die sich auch bei ihrem neuen Ansatz der Friedens-"Erzwingung" auf staatliche Institutionen verlassen muss. Auch hier verspricht der Chef der UN-Mission im Kongo – Monusco genannt – viel:

    ""Also erstens, ist der Kongo ein souveräner Staat und zweitens bin ich dagegen, erst einmal zu warten bis in fünf Jahren neue Wahlen stattfinden. Deswegen habe ich schon in meiner zweiten Woche vorgeschlagen, dass wir als Monusco eine Dreier-Partnerschaft eingehen. Die erste ist mit dem kongolesischen Volk und nicht mit der Regierung. Nein, mit dem Volk. Unsere erste Loyalität gilt dem Volk. Zweitens, mit der Regierung, die wir kritisch begleiten und drittens mit der internationalen Gemeinschaft - das ist ein neues Element."

    Kobler garantiert, dass die UN ihre Lager für die Bevölkerung öffnen wird, um sie zu schützen. Oftmals standen Menschen im Bombenhagel vor verschlossenen Toren. Immerhin, seit wenigen Wochen fallen erst einmal keine Bomben mehr. Die Regierung und die M23 verhandeln. Ob das neue Konzept der UN-Friedenspolitik aufgeht, wird sich jedoch erst langfristig zeigen. Die Liste der zu bekämpfenden Rebellengruppen im Kongo ist lang.