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Bodo Ramelow und die Religion
"Bin gerne der Kieselstein im Schuh meiner Partei"

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow ist evangelischer Christ und damit eine Ausnahme in der Linkspartei. In Erfurt sprach er nun über das Verhältnis zwischen Politik und Religion. Die Kirchen gehörten zur "ethischen Grundsubstanz", sagte er. Und Karfreitag müsse man nicht tanzen.

Von Henry Bernhard |
Bodo Ramelow steht in einer Menschenmenge und lächelt.
Bodo Ramelow (Linke), Ministerpräsident von Thüringen (imago/VIADATA)
"Ich bitte um Anstimmen! 262, 1-4 und 6!"
40 Protestanten haben sich versammelt, zum Jahrestreffen der Predigergemeinschaft im Erfurter Augustinerkloster. Dort, wo Luther einst an die Pforte geklopft hat, um Mönch zu werden. "Sonne der Gerechtigkeit" singen sie, in der ökumenischen Fassung. "Tu der Völker Türen auf/deines Himmelreiches Lauf
hemme keine List noch Macht./ Schaffe Licht in dunkler Nacht."
Ganz am Ende des langen Saales, an der Stirnseite des Tisches, sitzt und singt ein kräftiger Baß, der den Begriff der Ökumene noch etwas weiter dehnt: Bodo Ramelow, der Ministerpräsident Thüringens, der Vorzeige-Politiker der Linken.
Bodo Ramelow sagt: "Ja, vielen herzlichen Dank, meine lieben Schwestern und Brüder! Lachen im Saal. "Als evangelischer Christ glaube ich, mir das erlauben zu können."
"Läutet die Glocke falsch, nur weil ,Adolf Hitler' draufsteht?"
Es macht Ramelow offensichtlich Freude, das Bild der Linken, die sich für gewöhnlich betont atheistisch gibt, umzuzeichnen, zu korrigieren oder wenigstens zu ergänzen. Er soll über das Thema "Politik und Kirche, was erwartet man voneinander" sprechen. Eine halbe Stunde spricht er, frei wie immer, und beantwortet noch anderthalb Stunden Fragen. Und wie immer erzählt er Geschichten, Anekdoten, wenn er seine Vorstellung von Politik erklärt. Er steigt ein mit der von einer Reise nach Israel, wo er am Schabatt-Gottesdienst in Jerusalem eine einstmals Thüringer Jüdin kennenlernt, schlägt den Bogen nach Erfurt, zu den Friedensgebeten, die dort seit 1978 stattfinden, über das "Entjudungsinstitut" in Eisenach, in dem die selbst-gleichgeschalteten protestantischen Landeskirchen im Nationalsozialismus die jüdischen Wurzeln des Christentums auszumerzen versuchten, bis hin zu den sechs Glocken in Thüringer Kirchen, die Nazi-Symbolik eingegossen haben.
Bodo Ramelow: "Warum haben wir das eigentlich so viele Jahre nicht gesehen? Warum haben wir so viele Jahre nicht wissen wollen? Und läutet die Glocke falsch, nur weil "Adolf Hitler" draufsteht oder "der deutsche Christus"? Oder ist der Glockenklang doch hell und klar?
Das Land Thüringen würde sich an den Kosten neuer Glocken beteiligen. Ramelow zeigt sich informiert, engagiert, und natürlich sollten die Glocken in Apolda gegossen werden, der früheren Glockenstadt. Glaube, Geschichte, Schuld, interreligiöser Dialog, Wirtschaftspolitik – es fließt alles ineinander bei Ramelow. Wie nebenbei verweist er auf die dunkle Geschichte der Kirche, um sie vor moralischer Selbstüberhöhung zu warnen. Um im nächsten Atemzug einen der ihren, Probst Heino Falcke, zu preisen.
Aufbruch gegen Kohl
Ramelow sagt: "Dass ich heute Ministerpräsident bin, ist ja die Schuld von jemandem, der hier im Raum sitzt. Der Bruder Falcke wird es immer bestreiten. Aber er ist nicht ganz unschuldig daran: Das ist die Erfurter Erklärung, die es hier im Augustiner Kloster im Wesentlichen mitgeprägt worden von Heino Falcke. Diese Erfurter Erklärung ist in einer Zeit entstanden, 1997, in der wir der Meinung waren, "wir" heißt Kirchenvertreter, Gewerkschaftsvertreter, Wissenschaftler, Künstler, Intellektuelle. Wir haben gesagt: Das kann doch nicht so weitergehen, dass unter der Kanzlerschaft von Herrn Kohl die Dinge einfach nur noch eingefroren sind und kein neuer Aufbruch entsteht.
Seine eigene Regierung, Rot-Rot-Grün, sei also geradezu Ausfluß der Erfurter Erklärung, die auf evangelischem Boden verfasst wurde.
"Ich habe gesagt, ich will ein neues politisches Modell etablieren, nämlich drei Parteien auf gleicher Augenhöhe. Ich sage: Mehr Demokratie und weniger Parteibuch wagen. Das ist jetzt die Stunde. Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde, als uns Parteibücher oder Parteiprogramme aufschreiben."
Der Beifall, immer wieder wohlwollendes Gemurmel machen klar: Ramelow kommt an, auch hier. Und doch fühlen sie ihm dann auf den Zahn: Wie soll es weitergehen mit dem kirchlichen Arbeitsrecht, dem dritten Weg?
"Da sag ich, das ist ein Fehler, dass man Caritas und Diakonie unter den gleichen Schutzmechanismus stellt wie die Kirche selber."
Er weicht nicht aus, kritisiert seine Partei, die Linke, aber auch alle anderen, für Intoleranz.
"Ihr geht doch gar nicht tanzen, ihr wollt nur provozieren"
"Das sogenannte Tanzverbot an stillen Feiertagen: Das geht mir so auf die Ketten, das geht mir so auf die Ketten. Da sage ich immer warum habt ihr nicht 364 Tage Zeit zum Tanzen? Ihr geht doch gar nicht tanzen, ihr wollt doch nur provozieren. An der Stelle bin ich immer sehr hartnäckig. Deswegen sage ich, ich bin gerne der Kieselstein im Schuh meiner Partei."
Bei den Kirchenstaatsleistungen bleibt Ramelow hart: Eine Klärung wäre wünschenswert. Um am Ende zu betonen: "Religion oder unsere Kirchen gehören zu der ethischen Grundsubstanz."
Große, dankbarer Beifall am Ende. Hartmut Lippold, der Ramelow eingeladen hatte, nimmt ihm sein christliches Engagement ab.
Hartmut Lippold: "Ramelow ist kein in der Wolle gefärbter ideologisch bornierter Linker. Ich fände es auch ein bisschen anmaßend, jemandem zu sagen, sein Christentum wäre eigentlich gar nicht so ganz echt, sondern es wäre Mittel zum Zweck. Nein, das würde ich ihm nicht absprechen, dass er das ernst meint und dass sein Engagement in der Kirche und für die Kirche keiner politischen Taktik entspringt. Was er heute gesagt hat, was seine Person angeht, hat er mich überzeugt. Für seine Partei, wie er dafür eingetreten ist, und für ihre religionspolitische Toleranz, hat er mich nicht überzeugt."