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Böse Erinnerungen an Gernika

Verwundert reiben sich die Spanier die Augen über die deutsche Zurückhaltung bei der militärischen Intervention in Libyen. Dort einzugreifen sei Pflicht, meinen viele. In dieser Debatte spielen jedoch auch eigene Erfahrungen der Iberer mit internationaler Hilfe - oder dem Ausbleiben dieser Hilfe - eine Rolle.

Von Hans Günter Kellner |
    Deutsche Flugzeuge im Anflug auf die baskische Stadt Gernika, entnommen aus einem Dokumentarfilm des baskischen Fernsehens. Zeitzeugen berichten darin von dem Bombardement durch die Legion Condor am 26. April 1937, wie die Kleinstadt völlig verwüstet wurde, auch von den Tieffliegerangriffen auf die Zivilbevölkerung bei ihrer Flucht aus der Stadt, die keinerlei militärische Bedeutung gehabt habe, erklärt der spanische Historiker Julio Gil von der Uned-Universität:

    "Gernika war eines der ersten Bombardements mit dem Ziel, die Zivilbevölkerung auszulöschen. Dort probierte die deutsche Luftwaffe die großflächige Bombardierung aus, die sie später in Polen anwenden würde. So etwas kannte man aus dem ersten Weltkrieg nicht. Gernika war also ein Wendepunkt in der strategischen Bedeutung der Terrorisierung der Zivilbevölkerung."

    An diese Terrorisierung erinnern sich die Spanier seit Wochen, seit den Nachrichten aus Libyen, die von Angriffen mit Kampfflugzeugen gegen Zivilisten berichten, von den Drohgebärden des Diktators gegen die eigene Bevölkerung. Auch im spanischen Bürgerkrieg erkannten die Generäle um den späteren Diktator Francisco Franco die Bedeutung des Psychoterrors. Javier Valenzuela von der Politik- und Meinungsredaktion der spanischen Tageszeitung "El País" sieht viele Parallelen:

    "Gaddafi hat selbst den Schlüssel zum Verständnis dieses Konflikts geliefert:Er hat sich mit Franco und die angestrebte Einnahme Bengasis mit der Madrids verglichen. Das sollte uns zu denken geben. Trotz seiner eigenen Biografie als arabischer Nationalist identifiziert er sich mit der Rolle des "Caudillo”, mit der Francos, der sein eigenes Volk zermalmte und seine Macht durchzusetzen. Libyen darf man nicht unter der Folie des Irak-Kriegs sehen. Die Vorlage ist Spanien 1936."

    Valenzuela formuliert damit einen in Spanien naheliegenden Gedanken: Zwischen 1936 und 1939 kämpften die Anhänger der damals fünf Jahre vorher ausgerufenen demokratischen spanischen Republik gegen die Putschisten um General Franco und seine Anhänger - fast so wie heute arabische Demokraten gegen ihre Despoten. Auch damals gab es kaum internationale Unterstützung für die Demokraten. Die internationalen Brigaden waren schlecht ausgebildete Freiwillige. Lediglich die Sowjetunion lieferte Waffen, während die westlichen Demokratien in Spanien nicht intervenieren wollten - und somit letztlich den Sieg Francos ermöglichten.

    "Die gleichen Argumente wie damals hören wir jetzt leider auch aus Deutschland, um in Libyen nicht einzugreifen: Die Angst vor einer Ausweitung des Konflikts und Vorbehalte gegenüber der Opposition in Libyen, die ja gar nicht so demokratisch sei. Paris und London haben sich 1936 wie schäbige Spießbürger benommen, die Angst vor ihren Besitzstände haben. Dieses Europa, das nur auf seine engsten Interessen schaut, verkörpert jetzt Deutschland, das feige Europa, das sich nur Geschäfte und Gewinne kümmert. Das Europa der Geschäftemacher."

    Solche Angriffe auf europäische Partner werden in Spanien sonst zurückhaltender formuliert. Jetzt wird auch der Rückzug der Bundesmarine aus dem Mittelmeer mit der Haltung Frankreichs oder Großbritanniens verglichen, die es im spanischen Bürgerkrieg abgelehnt hatten, ihre Seestreitkräfte zur Durchsetzung eines eigentlich vereinbarten internationalen Waffenembargos für den Bürgerkrieg einzusetzen. Solche Erfahrungen haben die politische Kultur in Spanien geprägt:

    "Dieses Gefühl der ausgebliebenen Hilfe und auch die Passivität gegenüber der Diktatur nach der Niederlage der Nazis 1945 ist sehr tief in unser historisches Gedächtnis eingebrannt. Hier sind keine amerikanischen Marine-Soldaten gekommen, um uns vom Faschismus zu befreien wie in Italien. Franco ist 1975 friedlich in seinem Bett entschlafen. Immerhin integrierten uns die Europäer in die EU 1986. Aber da war die Schlacht um die Demokratie längst entschieden."

    In der Erinnerung an die eigenen Erfahrungen hoffen die Spanier, den Demokraten in Libyen jene Hilfe zu gewähren, die ihnen selbst verweigert wurde. Historiker Julio Gil hält den Vergleich trotz zahlreicher Unterschiede für gerechtfertigt. Dass die Republik jedoch an der ausgebliebenen internationalen Unterstützung gescheitert sei, hält er für eine unzulässige Schlussfolgerung. Die spanische Demokratie, sagt er, ist an den Spaniern gescheitert.