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Bofinger: Sparkurs in der Eurokrise ist gescheitert

Durch die Sparvorgaben der EU sei Griechenland in eine "ökonomische Depression" geraten, sagt Peter Bofinger, Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Um eine ähnliche Entwicklung in anderen EU-Ländern zu verhindern, seien Wachstumsimpulse notwendig. Eurobonds seien durchaus mit Haushaltsdisziplin zu vereinbaren.

Peter Bofinger im Gespräch mit Jasper Barenberg | 22.05.2012
    Jasper Barenberg: Entscheidungen sollen erst auf dem nächsten regulären Treffen von Europas Regierungschefs Ende Juni getroffen werden. Auf den Tisch aber soll schon morgen alles kommen. Eine offene und freimütige Debatte hat Europas Ratspräsident van Rompuy angekündigt für den EU-Sondergipfel in Brüssel. Francois Hollande wird dann weiter darauf drängen, vom strikten Sparkurs abzuweichen, mehr zu tun für Wachstum und für Beschäftigung in Europa. Andere europäische Partner unterstützen das, zum Beispiel Italien. Und Angela Merkel' – Die Bundeskanzlerin hat angedeutet, dass sie sich durchaus vorstellen kann, die strengen Schuldenregeln zu ergänzen. Ihre Formel lautet, Konsolidierung und Wachstum sind keine Gegensätze, beides ist nötig. Wachstum wollen also alle, strittig ist aber, wie man es erreicht. Währenddessen wächst die Sorge, Griechenland könnte aus der Eurozone ausscheiden, die Sorge auch vor dem Chaos möglicherweise danach. – Am Telefon begrüße ich jetzt Peter Bofinger, Volkswirt an der Universität Würzburg, Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Schönen guten Morgen.

    Peter Bofinger: Guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Herr Bofinger, Angela Merkel betont ein ums andere Mal, dass solide Haushalte und Strukturreformen die wichtigste Voraussetzung für künftiges Wachstum ist – auch in Griechenland. Hat sie da nicht Recht?

    Bofinger: Sie hat damit grundsätzlich Recht. Aber es kommt darauf an, wie stark und wie schnell man die Konsolidierung umsetzt. Bei der Konzeption, die in den letzten zwei Jahren verfolgt wurde, ging es darum, möglichst schnell möglichst viel zu konsolidieren, und das ist eine Strategie, die gescheitert ist. Sie hat dazu geführt, dass die Länder des Euroraums, die von diesem Programm betroffen sind, in die Rezession geraten sind. Griechenland ist geradezu in eine ökonomische Depression geraten. Es ist nicht dazu gekommen, dass jetzt die Zinsen für diese Länder gesunken sind, dass also die Finanzmärkte diese Sparanstrengungen belohnt haben. Das ist ja genau das, worauf die Bundesregierung gesetzt hat. Es ist weiterhin durch diese Politik zu einer enormen Beschädigung der Finanzsysteme in den Problemländern gekommen, die Banken aus diesem Raum bekommen von privaten Investoren kaum noch Mittel, das heißt sie hängen voll am Tropf der Europäischen Zentralbank. Und schließlich hat dieser Sparkurs ja auch die Demokratie beschädigt, wie wir das in Griechenland sehen.

    Barenberg: Aber wenn wir zunächst noch mal davon ausgehen, dass Wachstum und Konsolidierung zwei Seiten derselben Medaille sind, heißt das nicht auch, dass die strengen Defizitgrenzen, die im Fiskalpakt beispielsweise verabredet sind und beschlossen, dass die auf keinen Fall gelockert werden dürfen?

    Bofinger: Zunächst mal sind ja die Defizitgrenzen des Fiskalpakts noch in weiter Ferne. Die Problemländer haben ja sehr viel höhere Defizite. Und es geht jetzt darum, wie schnell kann man die Defizite zurückführen, welchen Zeitbedarf braucht man dafür, und ich glaube, man muss gerade Ländern wie Spanien einfach mehr Zeit geben, bis sie in den Bereich von drei Prozent oder gar null Prozent Defizit kommen, und deswegen muss man auch, denke ich, jetzt dringend überprüfen, ob die Sparmaßnahmen, die in den Problemländern für dieses Jahr noch vorgesehen sind, ob man die tatsächlich umsetzt, oder ob man nicht besser wartet mit solchen Maßnahmen, bis die Konjunktur wieder Tritt gefasst hat, bis die Wirtschaft wieder nach oben geht, und dann diesen Sparprozess fortsetzt.

    Barenberg: Gilt das auch für Griechenland?

    Bofinger: In Griechenland gilt das im besonderen. Ich finde, Griechenland ist ein Land, wo man eben sehen kann, wohin das führt, wenn man in einer schweren Rezession weitere Sparmaßnahmen umsetzt, und das ist ja das, was in Griechenland ständig gefordert wird. Das führt zu einer ökonomischen Abwärtsspirale, bei der am Ende die Verschuldung weiter ansteigt, denn was ja wichtig ist: als Ökonom messen wir ja die Verschuldung nicht nur in Euro, sondern wir beziehen sie auf die Wirtschaftsleistung. Wir sprechen da von der sogenannten Schuldenstandsquote. Und wenn bei dieser Relation der Nenner abrutscht, also die Wirtschaftsleistung in den Keller geht, dann steigt die Schuldenstandsquote immer weiter an, und das ist ja all das, was wir an Griechenland beobachten können. Also ich glaube, wir sollten sehr genau ansehen, was in Griechenland falsch gemacht worden ist, damit wir nicht noch andere Länder im Euroraum in diese Situation bringen, in der sich Griechenland heute befindet.

    Barenberg: Es gibt ja auch Bewegung in dieser europäischen Frage, gerade nach dem Wahlsieg von François Hollande in Frankreich. Der ist von seiner ursprünglichen Forderung ja inzwischen abgerückt, den Fiskalpakt neu zu verhandeln, hat sich aber im Vorfeld des Gipfels auch morgen darüber verständigt, dass es ein ergänzendes Wachstumspaket geben soll. Gehört das auch noch in die Empfehlung, die Sie aussprechen, die Forderungen zu strecken und den Ländern mehr Zeit zu geben?

    Bofinger: Also das Wichtigste Wachstumspaket ist eben, dass man tatsächlich diese Sparpolitik zeitlich streckt. Wenn man hier nichts verändert, dann bringt das auch nichts, wenn man jetzt zusätzlich noch Geld in die Hand nimmt, um in dem einen oder anderen Land Wachstumsimpulse zu setzen. Aber es ist klar, auch wenn man jetzt die Konsolidierung streckt, dass man sich fragen muss, wie kann man in den Problemländern Impulse setzen durch öffentliche Investitionen. Aber ein Bereich, an den ich auch denke, ist die Jugendarbeitslosigkeit. Ich denke, man kann nicht einfach zusehen, wenn in Spanien und Griechenland 50 Prozent der jungen Menschen ohne Arbeit sind und es dabei ja auch überhaupt keine Perspektive gibt, dass sich daran in den nächsten Jahren etwas ändert. Ich glaube, wir brauchen hier eine europäische Initiative für die Jugendarbeitslosigkeit, und das ist ja auch dann ein Beitrag zur Belebung der Konjunktur in diesen Ländern.

    Barenberg: Und die käme auch ohne neue Schulden aus?

    Bofinger: Nein. Ich glaube, zum Nulltarif gibt es nichts. Ich glaube, es ist naiv zu glauben, dass man Wachstumsinitiativen oder auch so eine Beschäftigungsinitiative, dass man das ohne gemeinsame europäische Mittel schultern kann. Aber ich denke, daran führt einfach kein Weg vorbei.

    Barenberg: Auf der anderen Seite wird immer wieder gesagt, dass im EU-Haushalt Milliarden und Milliarden zur Verfügung stehen, die bisher für wenig Zukunft versprechende Projekte ausgegeben werden. Kann man nicht einfach Mittel aus der EU umdirigieren?

    Bofinger: Das ist sicher ein Ansatz, dass man in dieser Weise vorgeht. Auf der anderen Seite wird schon seit zwei Jahren davon gesprochen, das zu tun. Ich weiß nicht, wieso Brüssel oder auch die nationalen Regierungen nicht in der Lage sind, hier diesen Weg zu beschreiten.

    Barenberg: Warum ist das noch nicht geschehen?

    Bofinger: Ich kann Ihnen das ehrlich gesagt nicht sagen. Ich verfolge die Diskussion seit zwei Jahren und es stockt. Ich meine, ein Punkt, ist dass Eigenbeteiligungen erforderlich sind von den nationalen Haushalten, und wenn die nationalen Haushalte mit dem Rücken zur Wand stehen, dann ist es natürlich schwierig, auch für solche Programme die entsprechende Eigenbeteiligung aufzubringen.

    Barenberg: Haben Sie denn den Eindruck, dass Angela Merkel tatsächlich ihren Kurs ändern wird in dieser Frage? Es wird ja auch um die Eurobonds gehen, also um gemeinschaftliche Anleihen auf dem Gipfel. Das will François Hollande auch mit auf den Tisch legen. Die Kanzlerin hat bisher signalisiert, sie bleibt bei ihrer strikten Ablehnung. Also eine wirkliche Kursänderung steht doch auch nicht in Aussicht, oder?

    Bofinger: Also wir haben natürlich schon zu sehen, dass die Entwicklung sich zunehmend verschlechtert im Euroraum, dass sie zunehmend instabiler wird. Das gilt ja vor allem auch für Griechenland. Das ist ja eine Bedrohung für die Stabilität des Gesamtsystems, dass Griechenland jetzt in den nächsten Monaten möglicherweise unkontrolliert aus dem Euro austritt, und ein Austritt Griechenlands aus dem Euro würde erheblich das Gesamtsystem destabilisieren. Allein deshalb, meine ich, ist es dringend notwendig, dass man sich fragt, wie man dann die anderen Ländern entsprechend schützen kann, und da muss man eben auch sehen, dass der Rettungsschirm, den wir haben, und auch der neue ESM vom Volumen her unzureichend sind, um eine solche Belastung wirklich angemessen abzusichern.

    Barenberg: Wie sehr drängt denn die Zeit mit Blick auf die Wahlen in Griechenland?

    Bofinger: Ich finde, wir haben schon sehr viel Zeit verloren. Wenn die Bundesregierung die letzten zwei Jahre genutzt hätte, intensiv über Eurobonds nachzudenken und auch darüber nachzudenken, wie man eben bei Eurobonds dafür sorgen kann, dass die Länder weiterhin fiskalische Disziplin ausüben – und dazu würde für mich eben vor allem gehören, dass man eine europäische Überwachung der Haushaltspolitiken von Ländern mit hoher Verschuldung vornimmt -, wenn man die letzten zwei Jahre genutzt hätte, um darüber aktiv nachzudenken, würde man heute schon sehr viel besser dastehen und müsste jetzt nicht möglicherweise ad hoc solche Instrumente einsetzen.

    Barenberg: Das heißt, aus Ihrer Sicht ist das Argument, Eurobonds würden den Sparwillen schwächen, keines?

    Bofinger: Nein! Es ist doch für alle Leute, die sich für Eurobonds aussprechen, klar, dass das kein Blankoscheck sein darf, sondern dass man das verbinden muss mit einer europäischen Kontrolle über die Haushaltspolitik. Ich bin überzeugt, dass die Problemländer bereit wären, das zu akzeptieren. Wenn sie aus diesem Würgegriff der Finanzmärkte befreit würden, dann wären sie auch bereit, bestimmte Einflussrechte des Europäischen Parlaments oder der Europäischen Kommission auf ihre Haushaltspolitik zu akzeptieren, und ich denke, das muss der Weg sein, das ist klar. Es darf keine Blankoschecks geben. Aber ich meine auch, dass man mit gutem Willen in der Lage wäre, die Eurobonds mit entsprechender politischer Disziplin zu vereinbaren, und dann wären sie auch zu vertreten.

    Barenberg: Peter Bofinger von der Universität Würzburg, Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Danke Ihnen für das Gespräch heute Morgen.

    Bofinger: Ja gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.