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Bosbach: Bürger müssen vor Spionage geschützt werden

Die Internet-Überwachung durch amerikanische und britische Geheimdienste verletze das Vertrauen der Bürger in den Staat und die Demokratie, sagt Wolfgang Bosbach (CDU), Vorsitzender des Innenausschusses im Bundestag. Der Rechtsstaat könne sich nicht gegen Angriffe verteidigen, wenn er selbst rechtsstaatliche Prinzipien außer Kraft setze.

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Christine Heuer | 24.06.2013
    Christine Heuer: Edward Snowden ist auf der Flucht vor den US-Behörden, die ihn mit Haftbefehl suchen und sich über die Staaten ärgern, die dem Whistleblower helfen oder helfen wollen. Zurzeit befindet sich der IT-Experte, der das Ausspähprogramm der USA enttarnte, in Moskau, soviel wir wissen. Asyl hat er in Ecuador beantragt. Vor seiner Abreise aus Hongkong hatte Edward Snowden noch rasch enthüllt, dass der britische Geheimdienst flächendeckend und ohne konkreten Anlass die Telekommunikation von zig Millionen Menschen abfängt und speichert, und das seit anderthalb Jahren. - Am Telefon ist der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach. Guten Morgen!

    Wolfgang Bosbach: Guten Morgen, Frau Heuer.

    Heuer: Edward Snowden auf der Flucht, Herr Bosbach - finden Sie, Russland oder später dann vielleicht Ecuador sollten ihn an die USA ausliefern?

    Bosbach: Ich kenne jetzt die Rechtslage in Ecuador nicht. Wir in der Bundesrepublik Deutschland gewähren politisches Asyl bei politischer Verfolgung, die wir auch weit interpretieren. Auch wer aus religiösen Gründen verfolgt wird, kann beispielsweise Asylrecht beantragen. Ich weiß auch nicht im Detail, gegen welche Rechtsvorschriften des amerikanischen Rechtes oder des britischen Rechtes Herr Snowden verstoßen hat. Aber ich kann verstehen, dass es Länder gibt, die ihm helfen. Ecuador hat ja schon Julian Assange geholfen. Denn wir leben zwar im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit und unsere Sicherheitsbehörden haben wichtige Aufgaben, aber wir werden den Rechtsstaat nicht gegen die Angreifer verteidigen können, indem wir selber rechtsstaatliche Prinzipien staatlicherseits außer Kraft setzen.

    Heuer: Dass die Briten genau das getan haben, diesen Eindruck haben wir seit dem Wochenende, seitdem der Guardian über das Ausspäh-Programm Tempora berichtet hat. Das Ausmaß der britischen Ausspähung ist ganz offensichtlich schlimmer als das Ausmaß in den USA. Hat Sie das eigentlich überrascht?

    Bosbach: Ja das hat mich deshalb überrascht, weil es ja hier jedenfalls nach den bisher vorliegenden Meldungen - diese Einschränkung muss ich machen - um eine Art Totalerfassung aller Kommunikationsinhalte geht, zwar nicht auf Dauer, sondern nur für einen begrenzten Zeitraum, was die Sache allerdings nicht besser macht. Dass man Informationen, Daten filtert, danach sucht, ob sich in ihnen sicherheitsrelevante Informationen befinden, und wenn ja, dass man diesen Hinweisen auf möglicherweise bevorstehende Straftaten oder gar terroristische Angriffe nachgeht, das war bekannt. Aber dass man auch solche Daten erfasst, wenn auch "nur" für einen begrenzten Zeitraum, die überhaupt keine Sicherheitsrelevanz haben, das war jedenfalls in diesem Umfang bislang nicht bekannt.

    Heuer: Nicht bekannt war ja auch das US-Ausspähprogramm Prism. Wie kann es eigentlich sein, dass unsere Verbündeten die halbe Menschheit ausspähen und wir kriegen es überhaupt nicht mit?

    Bosbach: Da muss man sich zunächst einmal fragen, wie das eigentlich technisch möglich sein soll, ohne dass die Unternehmen technische Hilfestellung leisten. Wenn zum Beispiel ein Untersee-Kabel angezapft wird, ich kann mir nicht vorstellen, dass da Regierungstaucher auf die Meerestiefen gegangen sind und ohne Wissen der Unternehmen, die diese Leitungen verlegen, die Leitungen angezapft haben. Beim Gespräch mit dem Bundesminister für Wirtschaft und der Bundesjustizministerin haben uns die Vertreter der amerikanischen Internetfirmen in Deutschland darum gebeten, dass die Bundesregierung bei ihren Gesprächen mit Präsident Obama das Thema Datenschutz und Datensicherheit ansprechen, weil die Unternehmen genau wissen, wenn ihre Kunden, die Nutzerinnen und Nutzer, erst einmal das Vertrauen verlieren in die Integrität der Netze, wenn sie nicht mehr vor einer all umfassenden Spionage sicher sind, dann können sie auch Kunden verlieren. Da stellt sich übrigens nicht nur die datenschutzrechtliche Frage; da stellt sich auch eine andere Frage, ob die Bürger nicht das Vertrauen verlieren in den Staat und damit in unsere Demokratie, wenn sie nicht ganz sicher sein können, dass die Geheimdienste nur das machen, was sie auch tatsächlich dürfen. Der Staat muss die Bürgerinnen und Bürger vor Angriffen schützen, das ist seine Aufgabe, aber er muss sie auch davor schützen, dass sie ausspioniert werden. Und wenn diese Spionage dann noch staatlicherseits veranlasst wird, dann wird es bedenklich.

    Heuer: Die deutsche Politik wusste nicht von diesen Ausspähprogrammen. Müsste nicht wenigstens der deutsche Geheimdienst irgendetwas geahnt haben? Man hat ja den Eindruck, der BND kriegt überhaupt nicht mit, was da passiert.

    Bosbach: Ja natürlich wussten wir, dass die Netze überwacht werden. Das tut der Bundesnachrichtendienst ja auch. Aber er geht dabei ja ganz anders vor als in den Programmen Prism der Amerikaner oder Tempora der Engländer. Es werden Kommunikationsinhalte gefiltert durch ganz bestimmte Suchbegriffe. Es hat auch einige Hundert Treffer gegeben, die sicherheitsrelevant waren. Aber es findet keine Speicherung von Kommunikationsinhalten statt, die nicht sicherheitsrelevant sind, die wir nicht brauchen zur Abwehr und Aufklärung von schweren Straftaten. Das heißt, ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass der BND jedes Detail wusste der englischen oder amerikanischen Ausspähprogramme und hiervon das Parlamentarische Kontrollgremium überhaupt nicht informiert hat.

    Heuer: Aber wir wissen es nicht?

    Bosbach: Ja. Jedenfalls wir beide wissen es nicht. Es ist schwer zu sagen, was der BND wusste oder hätte wissen können. Jedenfalls habe ich von den Kolleginnen und Kollegen nie einen leisen Hinweis darauf bekommen, dass sie gesagt hätten, liebe Leute, was soll die ganze Aufregung, das war doch bekannt. Die Kollegen waren allesamt überrascht, auch diejenigen, die im geheimdienstlichen Milieu seit Langem unterwegs sind.

    Heuer: Aus der Bundesregierung haben wir an diesem Wochenende gehört, sie verlange nunmehr von Großbritannien Aufklärung. Wie kann man denn Erfolg versprechend politischen Druck auf Washington, aber auch auf London ausüben zu diesem Zeitpunkt? Was können die Deutschen, was kann die deutsche Regierung da jetzt konkret tun?

    Bosbach: Wir haben zunächst einmal die diplomatische Ebene, das haben Sie richtig angesprochen. Bundeskanzlerin Merkel hat ja über dieses Thema bereits mit Präsident Obama gesprochen. Ich fürchte, wenn wir jetzt einzeln gegenüber den Amerikanern antreten, oder gegenüber den Briten, Regierung für Regierung, dann werden wir nicht die notwendige Schlagkraft haben, um unsere Argumente vorzutragen. Ganz anders wäre es doch, wenn die Europäische Union mit einer Stimme sprechen würde. Wir beschäftigen uns jetzt in Brüssel mit der Datenschutz-Grundverordnung. Wenn das Thema Datenschutz, Wahrung der Bürgerrechte so wichtig ist für Brüssel, dann muss man auch die Frage erörtern dürfen, was dürfen Staaten und was dürfen sie nicht. Brüssel beschäftigt sich mit Krümmungsgraden von Gurken, mit Glühbirnen mit Ölkännchen, dann muss sich Brüssel auch einmal mit dem Thema Schutz der Bürgerrechte und Datenschutz vor Ausspähprogrammen des Staates selber beschäftigen. Und im Übrigen: wie wollen wir eigentlich glaubhaft gegen China antreten, uns gegen die Ausspähattacken von dort wehren, wenn wir selber in China als westliche Demokratien Spionage betreiben und deren Datennetze hacken?

    Heuer: Was ja auch bekannt geworden ist, dass die USA auch das Mobilfunknetz von China, die Mobilfunkunternehmen dort gehackt haben.

    Bosbach: Das ist jetzt die dritte besorgniserregende Veröffentlichung, denn China wird sagen, aber mit Verlaub, wenn die Amerikaner unsere Mobilfunknetze hacken, dann darf man sich nicht wundern, wenn wir Chinesen in gleicher Weise vorgehen. Hier geht es ja nicht "nur" um den Schutz von privaten Kommunikationsinhalten; hier geht es um die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen, von Betriebsgeheimnissen von hoch sensiblen Forschungsergebnissen. Wenn in diesem Umfang Spionage betrieben wird, ist das auch ein Problem für deutsche Unternehmen weltweit.

    Heuer: Kann Deutschland seine Bürger irgendwie schützen, oder sind wir ausgeliefert?

    Bosbach: Deutschland hat eine Schutzpflicht für die Bürgerinnen und Bürger vor allen Angriffen, die von außen oder aus dem Land selber heraus den Bürgerinnen und Bürgern unserer Demokratie drohen. Das ist die Schutzpflicht, die wir haben, unsere Bürger zu schützen vor Angriffen. Aber wir haben auch eine Schutzpflicht davor, dass die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes ausspioniert werden, unabhängig davon, wo sie sich aufhalten. Wir haben natürlich die rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten nur auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, aber wir haben diplomatische, wir haben politische Möglichkeiten und wir haben natürlich auch die Möglichkeit, in Brüssel unsere Sicht vom Schutz der Bürgerrechte und des Datenschutzes deutlich zu machen, damit die Europäische Union hier mit einer Stimme spricht. Das heißt, das wird nicht einfach, insbesondere weil ja die Anschläge vom 11. September und die Anschläge von London für die USA und Großbritannien traumatische Erlebnisse waren. Aber wir müssen doch deutlich machen, wie wichtig das Thema Schutz von Kommunikationsinhalten ist, damit die Bürger nicht zunächst das Vertrauen in die Integrität der Netze verlieren und dann auch noch das Vertrauen in ihre Staaten und in die Demokratien.

    Heuer: Der Christdemokrat Wolfgang Bosbach, Vorsitzender im Innenausschuss des Bundestages. Herr Bosbach, vielen Dank.

    Bosbach: Ich danke Ihnen.

    Heuer: Schönen Tag.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.