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Bosnien-Herzegowina
Proteste in Bosnien weiten sich aus

Was als Unzufriedenheit der Bosnier mit ihrer politischen Führung begann, entwickelt sich derzeit zur größten politischen Krise seit dem Bürgerkrieg. Nachbar Kroatien schlägt nun als Lösung einen möglichen Beitritt zur EU vor.

Von Stephan Ozsváth | 10.02.2014
    Demonstranten marschieren durch Sarajevo, mit einem Plakat fordern sie die Regierung zum Rücktritt auf.
    Demonstranten fordern in Sarajevo den Rücktritt der Regierung. (picture alliance / dpa)
    Diebe raus, Diebe raus, skandieren wieder einige Hundert Menschen in der Innenstadt von Sarajevo. Auf einem Transparent fordert einer der Demonstranten: "Hoćemo Ostavka" - "Wir wollen den Rücktritt". Dieser junge Bosnier sagt:
    "Wir fordern den Rücktritt von allen, die nicht korrupt sind, die ehrlich arbeiten werden."
    Es herrscht politischer Stillstand in Bosnien und Herzegowina. Es gibt de facto zwei Landesteile: einen serbischen und einen muslimisch-kroatischen. Fast ein Dutzend Kantone und 150 Minister bilden einen Wasserkopf, der Unsummen verschlingt. Und nationalistische Parteien blockieren jede Entwicklung in dem Balkan-Land. Der politische Analyst Srečko Latal meint:
    "Seit den Wahlen 2010 gibt es einen politischen Kleinkrieg. Politische Parteien und Gruppierungen bekämpfen sich gegenseitig und ignorieren den EU-Beitrittsprozess - und damit Wirtschaft und Soziales - komplett. Das bedeutet: immer mehr Arbeitslosigkeit und Armut."
    "Überfällige" Proteste
    Wer einen Job hat, bekommt oft monatelang keinen Lohn – wie die Arbeiter im nord-bosnischen Tuzla. Und fast jeder zweite in Bosnien und Herzegowina hat erst gar keinen Job. Ganz besonders hoch ist die Jugend-Arbeitslosigkeit. Eine Generation ohne Zukunft wächst heran.
    "Vor zwei Jahren habe ich die Schule abgeschlossen“, sagt dieser Demonstrant: „Ich bin arbeitslos. Ich wollte umschulen, damit ich irgendeine Arbeit bekomme, aber nichts. In diesem Land gilt nur Vitamin B. Für uns junge Leute gibt es kein Leben hier. Die einzige Lösung ist, ins Ausland zu gehen."
    Auch Dorothee Baumann ist am Rande der Demonstration zu sehen, sie hat volles Verständnis für die Proteste. Sie ist Deutsche und unterrichtet in Sarajevo Erwachsene. Seit dreieinhalb Jahren lebt sie in Bosnien. Sie kennt solche Probleme aus ihrem Freundeskreis. "Die Proteste waren längst überfällig", sagt sie.
    Bislang finden sie vor allem in der Föderation statt – also dem nicht-serbischen Landesteil – obwohl die Lage in der serbischen Teilrepublik keineswegs besser ist. Der populistische Regierungschef der bosnischen Serben, Milorad Dodik nutzte die Gelegenheit zu einer neuen Attacke gegen den ungeliebten anderen Landesteil.
    "Die Ereignisse in der Föderation betreffen nicht ganz Bosnien und Herzegowina. So ist es nicht, auch wenn anderes behauptet wird. Die Föderation ist schon seit vielen Jahren Krisen-Produzent. Bosnien und Herzegowina ist in einer institutionellen Krise. Es zeigt, dass es nicht überleben kann, weil es keinen inneren Konsens über seine Existenz gibt."
    EU-Pespektive
    Auch das Nachbarland Kroatien mischt sich wieder in dem kleinen Balkan-Land ein – in der Herzegowina im Süden Bosniens leben viele Kroaten. Der kroatische Ministerpräsident Milanović traf sich in der Provinzhauptstadt Mostar am Sonntag mit bosnisch-kroatischen Lokalpolitikern. Milanović will sich für eine EU-Perspektive Bosniens starkmachen, sagt er.
    "Ich werde mich dafür einsetzen, dass Bosnien und Herzegowina möglichst schnell einen EU-Verhandlungsrahmen bekommt. Das gibt es derzeit nicht. Man versucht, das auf die lange Bank zu schieben. Es ist nicht klar, was man will. Vielleicht nichts Schlechtes, aber es ist höchste Zeit, dass man etwas Gutes tut."
    Der kroatische Ex-Präsident Mesic sprach sich für eine Reform des Friedensvertrages von Dayton aus. Der Vertrag, der den Bürgerkrieg der 1990er-Jahre beendete, ist überlebt – darin sind sich alle einig, ob in Sarajevo, Belgrad oder Zagreb. Doch eine neue Verfassung wird in Bosnien durch politische Ränkespiele seit Jahren blockiert. Erst vor wenigen Tagen rügte die EU-Kommission wieder die Blockade-Politik der bosnischen Politiker. Im vergangenen Jahr hatte Brüssel deshalb 45 Millionen EU-Hilfen gestrichen.
    Auf der Demonstration in Sarajevo läuft auch der Bürgerkriegsveteran Muhamed Hubijer mit. Er trägt ein Transparent mit der Aufschrift "Bande, tritt zurück". Der 53-Jährige hat seine Uniform angezogen. Und er schimpft.
    "Schluss jetzt. Man muss Leute an die Macht bringen, die dieses Land lieben, nicht plündern wollen, die einen Sinn für Staatsführung haben, und nicht nur als Diebe begabt sind. Leute, die etwas schaffen, aufbauen. Solche Leute brauchen wir. Sie irren, wenn sie glauben, sie können einfach an ihren Sesseln kleben bleiben. Alles muss sich hier ändern, dass die Menschen hier Achtung, Ehre und Arbeitsplätze haben."
    Und warum trägt er eine Uniform? Weil ich dieses Land vom ersten Kriegstag an verteidigt habe, sagt er. "Jetzt bin ich in der Situation, es wieder gegen diese Bande verteidigen zu müssen."