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Bosnien
"Nichts hat sich verändert"

Ein Jahr nach den Sozialprotesten in Bosnien ist die Enttäuschung groß. "Bosnischer Frühling" wurde die Bewegung hoffnungsvoll genannt, die sich vor allem gegen die wirtschaftliche Not richtete. Heute wünschen sich die Menschen jemanden, der das Land aus der Krise führt - jemanden wie Tsipras.

Von Ralf Borchard | 10.02.2015
    Demonstranten stürmen ein Regierungsgebäude in Tuzla am 7.2.2014
    Demonstranten stürmen ein Regierungsgebäude in Tuzla am 7.2.2014 (AFP / Elvis Barukcic)
    Sarajevo Anfang Februar 2014. Täglich gibt es wütende Proteste. "Diebe raus" rufen die Demonstranten - gemeint sind korrupte Politiker. Vereinzelt schlagen die Proteste in Sarajevo und Tuzla in Gewalt um, für kurze Zeit sieht es so aus, als wären lokale und regionale Machthaber wirklich in Gefahr. Heute, ein Jahr später, herrscht Enttäuschung. Nur vereinzelt sind zum Jahrestag der Proteste erneut Menschen auf die Straße gegangen:
    "Nichts hat sich verändert", schimpft dieser Demonstrant in Tuzla: "Unsere Regierenden tun weiter nur das, woran sie selbst Interesse haben und nicht das, wovon Arbeiter, Bürger, besonders junge Leute profitieren könnten. Die Jugend sollte sich um ihre Zukunft kümmern, aber die Jugend hier hat keine Zukunft."
    Und dieser Mann in Sarajevo meint: "Die Menschen wünschen sich jemanden wie Tsipras in Griechenland, der die dicken Autos der Regierenden verkauft und für das Geld wenigstens 100 Arbeitsplätze schafft."
    Eine Arbeitslosenrate von fast 50 Prozent, wachsende Armut in vielen Landesteilen, Politiker, die die ethnische Teilung zwischen Bosniaken, Kroaten und Serben vertiefen, statt zu überwinden: Das Bild ist gleich geblieben, sagt auch der bosnische Journalist und Politikwissenschaftler Srecko Latal:
    "Leider ist wenig oder gar kein Fortschritt zu erkennen. Vielmehr hat sich die politische, wirtschaftliche und soziale Krise in Bosnien-Herzegowina weiter verschärft. Auf die Sozialproteste im Februar folgte im Mai eine Naturkatastrophe, das Jahrhundert-Hochwasser, mit riesigen Zerstörungen. Und bei den Neuwahlen vergangenen Oktober haben die Menschen wieder die gleichen Parteien entlang der ethnischen Trennungslinien gewählt. Trotzdem würde ich nicht sagen, dass die Proteste vor einem Jahr völlig umsonst waren. Vielleicht war es wenigstens ein Kapitel im demokratischen Lernprozess, aus dem Politik wie Zivilgesellschaft ein wenig gelernt haben."
    Gefahr von radikal-islamistischen Einflüssen wächst
    Deutschland und Großbritannien versuchen derzeit, mit einer neuen EU-Initiative Bewegung in die festgefahrenen Verhältnisse zu bringen. Mit dem Ziel, ein Assoziierungsabkommen mit Bosnien-Herzegowina zu erreichen:
    "Das Problem ist, dass sich die Internationale Gemeinschaft seit 2006 kaum mehr um Bosnien gekümmert hat. Jetzt bräuchte es viel mehr als die technischen Verfahren der EU-Annäherung: Ein umfassendes politisches Konzept der EU, aber auch der USA und Länder, nach dem Prinzip Zuckerbrot und Peitsche, das die Politik hier unter Druck setzt. Um sehr gefährliche Entwicklungen zu verhindern und Bosnien auf den europäischen Weg zurückzubringen."
    Mit gefährlichen Entwicklungen meint Latal dreierlei: Wachsenden russischen Einfluss, etwa in der serbischen Teilrepublik Bosniens, der Republika Srpska, wachsenden türkischen Einfluss, etwa im muslimisch dominierten Sarajevo und den Einfluss radikaler Islamisten.
    "Radikale islamistische Elemente sind schon jetzt präsent hier. Noch ist die Gefahr nicht viel größer als anderswo. Aber weil die politische Krise auch die Funktionsfähigkeit von Polizei und Geheimdiensten in Bosnien infrage stellt, könnte sich die terroristische Bedrohung vergrößern."
    Wenn die EU nicht aufpasst, so die Bilanz Srecko Latals, könnte ihr Einfluss in Bosnien und anderen Westbalkan-Ländern immer mehr verloren gehen. Mit der Folge, dass mitten in Europa eine weitere Krisenregion mit wachsender Instabilität entsteht.