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Brâncuși-Ausstellung in Brüssel
Funkelnde Gestalten

Dem Bildhauer Constantin Brâncuși konnte es kein Fotograf recht machen. Deshalb griff er selbst zur Kamera, um seine abstrakten Skulpturen abzulichten. In der Brüsseler Ausstellungshalle „BOZAR“ sind in einer großen Retrospektive jetzt sowohl Fotos als auch Plastiken von Brâncuși zu sehen.

Von Carsten Probst | 02.10.2019
Besucher werden in Brancusis Skulptur "La Negresse Blonde" gespiegelt in der Ausstellung "Brancusi-Serra" im Guggenheim Bilbao Museum, October 2011
Auf Hochglanz poliert - Brâncușis Skulptur "La Negresse Blonde" (RAFA RIVAS / AFP)
Irritierend schön liegt er da, der große, goldglänzende Kopf der "Schlummernden Muse" mit den überaus fein stilisierten Gesichtszügen. Constantin Brancusis um 1910 entstandene Skulptur aus blank polierter Bronze wirkt auf den ersten Blick fast unwirklich: wie ein kostbares archäologisches Fundstück oder auch wie der Kopf einer zierlichen Mensch-Maschine, eines künstlichen Über-Wesens, wie es sich im Werk des rumänienstämmigen Bildhauers immer wieder zu finden scheint. Doch die Vorbilder dieser Wesen sind allesamt menschlich: Es sind Portraits wie das der Baronin Renée Irana Franchon oder der ungarischen Malerin Margit Pogany, die in Fotografien an den Saalwänden festgehalten sind und die Brâncuși in seinen Arbeiten auf wenige Linien reduziert immer wieder aufscheinen lässt.
Polierte Goldbronze
Berühmt ist auch seine eigenwillige Version des griechischen Mythos von Leda mit dem Schwan. Nur ist es bei Brâncuși nicht der Göttervater Zeus, der sich in den Schwan verwandelt, um Leda beizuwohnen; hier wird die äolische Königstochter selbst zur Schwänin, die sich mit ihrem makellos abstrakt geformten Leib aus polierter Goldbronze auf einer spiegelnden Scheibe dreht und beständig neue Lichtreflexe und Schattenwürfe in den Raum wirft. Nach Kräften hat Brâncuși diese Effekte in kleine Schwarz-Weiß-Filmchen oder Fotografien zu bannen versucht, denn gerade die Auflösung der Skulptur in Licht war es, die ihn interessierte, wie Dirk Vermaelen, künstlerischer Leiter des alle zwei Jahre stattfindenden Europalia-Kulturfestivals berichtet, dessen Höhepunkt die größte Brâncuși-Schau seit 25 Jahren ist:
"Durch den Lichteinfall und die Reflexionen versucht Brâncuși, das Oberflächenmaterial der Skulpturen zu de-materialisieren. Deshalb hat er auch begonnen, so viel zu fotografieren. Denn professionelle Fotografen, die in sein Atelier kamen, bestreuten seine Skulpturen zunächst mit Pulver, weil sie die Reflexionen als störend empfanden für die Aufnahmen. Aber Brâncuși wollte diese Lichtreflexe ja gerade haben und sagte sich daher: Dann fotografiere ich alle Arbeiten lieber selbst!"
Brâncuși stammte aus bäuerlichen Verhältnissen, hatte sich mehr schlecht als recht durchs Leben geschlagen und war 1904 bereits vergleichsweise alt, als er 28-jährig nach Paris und ins Künstlerviertel Montparnasse zog, wo sich seinerzeit die Avantgarde der Moderne versammelte. In den ersten Räumen der Brüsseler Ausstellung ist der starke Einfluss offenkundig, den Rodin auf Brâncuși Frühwerk hatte. Eine Tätigkeit als Rodins Assistent beendete der rumänische Newcomer aber schon nach kurzer Zeit wieder, um seinen eigenen Weg zu suchen. Lebendigkeit, Bewegung, die Dynamik der Form hatten zwar auch den doppelt so alten Rodin immer interessiert – doch Brâncuși wählte nun den Weg der fortgeschrittenen, der strengen Reduktion der Formen. Wahrscheinlich inspirierte ihn dazu ausgerechnet der Besuch einer Luftfahrtausstellung in Paris zusammen mit seinen Freunden Marcel Duchamp und Fernand Léger. Dirk Vermaelen:
"Sie waren fasziniert von den neuartigen Technologien und von der Stromlinienförmigkeit der Flugobjekte. Und beim Anblick eines großen Flugzeugpropellers sagte Duchamp zu Brâncuși: Das ist die neue Kunst! Kannst du so etwas nicht als Skulpturen machen? Und das war der Punkt für Brâncuși, seinen Skulpturen über das Material diese Stromlinienform geben."
Ästhetik lebendiger Maschinen
Die Faszination für die Dynamik der reflektierenden Oberflächen und die Ästhetik lebendiger Maschinen teilte Brâncuși mit vielen Avantgardisten in Europa, etwa mit Oskar Schlemmer, dem Bauhaus und russischen Konstruktivisten. Aber er war einer der ersten, die diesem Thema eine so komplexe Fassung gaben. Denn ausschlaggebend bleibt, dass die Technik eine geistige Dimension der Figur repräsentiert. Am vielleicht eindrucksvollsten gelingt ihm das in seiner sogenannten "Endlosen Säule", einem dreißig Meter hohen, aus gusseisernen Doppelpyramiden zusammengesetzten Säulendenkmal, das Brâncuși 1938 für ein Kriegsdenkmal im rumänischen Targu Jiu geschaffen hat und das er selbst auch als "Himmelsleiter" bezeichnete. Tatsächlich scheint sich die Säule potenziell immer weiter himmelwärts fortsetzen zu lassen.
Mit vielerlei historischen Aufnahmen zu diesem Großprojekt lässt die Ausstellung die Chronologie zu Brâncușis Werk enden. Zwar war er in den 1930er-Jahren schon ein international gefragter Künstler, vor allem in den USA, wo sich durch Vermittlung Marcel Duchamps frühzeitig zahlreiche Sammler für seine Skulpturen begeisterten. Aber den Zweiten Weltkrieg und die Besetzung Frankreichs musste er in notdürftigen Studios in Paris überdauern und schuf danach lediglich noch Varianten von bereits bestehenden Werken. Auch diese erzielen allerdings bei Kunstauktionen mittlerweile zweistellige Millionensummen.