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Brandenburg
Eine neues Kloster für Neuzelle

Andernorts werden Klöster aufgegeben, im Brandenburgischen Neuzelle errichten Zisterzienser aus dem Wienerwald ein neues. Der Orden hat bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts die Region geprägt. Heute spielt Religion dort kaum eine Rolle. Warum der Neubau?

Von Vanja Budde | 07.09.2018
    Blick über eine Feuchtwiese voller blühender Hahnenfuß-Blumen auf die Klosteranlage mit der katholischen Kirche vom Kloster in Neuzelle, aufgenommen im Mai 2018
    Die Klosteranlage mit der katholischen Kirche vom Kloster in Neuzelle (picture alliance / Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa)
    Das Schlaubetal gilt als das schönste Bachtal Brandenburgs. Fahrradwege führen über sanfte eiszeitliche Hügel, durch dichte Wälder, durch Heide, an Mooren und drei Dutzend Seen vorbei. Mehr als 1.000 Pflanzenarten gibt es hier, darunter viele Orchideen, Fischotter, Fledermäuse, Fischadler – und jede Menge Kultur und Geschichte. Denn am Rand des idyllischen Naturparks Schlaubetal liegt das Kloster Neuzelle, das immer mehr Gäste anzieht. Vor allem in diesem Jahr, seinem 750-jährigen Jubiläum.
    "Mein Name ist Kathrin Schwark ich bin Pächterin von der Bomsdorfer Schlossgaststätte, und ja, unser Publikum ist ganz unterschiedlich, sei es Radtouristen, sei es Touristen, die sich das Kloster unbedingt anschauen wollen, besonders gerade jetzt wo sich natürlich die Mönche dort wieder siedeln werden."
    Die Schwarks betreiben in Schloss Bomsdorf, zehn Kilometer südlich von Neuzelle, eine Gastwirtschaft und eine Pension. Die Rückkehr der Zisterzienser sorge für Interesse an der abgelegenen Region, freut sich Katrin Schwark. 100.000 Touristen besuchen Neuzelle jährlich, Tendenz steigend.
    Sie erzählt: "Ja, also man merkt es schon. Die Fragen der Gäste werden immer spezieller, man will unbedingt auf alle Fälle ins Kloster und da mal schauen, ja, ob man vielleicht auch jemanden trifft dort."
    Bestaunt wie Fabelwesen
    Einen der zurück gekehrten Zisterzienser-Mönche trifft man nämlich, im weißen Gewand mit schwarzem Überwurf, prima Motiv für ein Selfie. Als im vergangenen Herbst nach 200 Jahren Abstinenz die ersten vier Abgesandten aus dem österreichischen Mutterkloster Heiligenkreuz in Neuzelle auftauchten, gab es einiges Aufsehen. Die Männer wurden auf der Straße bestaunt wie Fabelwesen. Nach einigem Hin und Her kamen sie im Pfarrhaus auf dem Klostergelände unter. Inzwischen haben sich die Dorfbewohner an die Mönche gewöhnt. Und nicht nur Touristen strömen herbei, wenn sie in der Kirche St. Mariä Himmelfahrt im Kloster mehrmals täglich das Chorgebet singen. Eine Besucherin kniet am Weihwasser-Becken und schlägt das Kreuz: Es ist eine katholische Kirche im ehemals protestantischen Brandenburg. Je nach Betrachtungsweise eine Perle des Barocks oder mächtig überladen mit Putten und Heiligenfiguren.
    Nach dem Chorgebet sitzt Pater Kilian auf einer Bank am Hang, vor ihm der in Teilen wiederhergestellte barocke Klostergarten mit seiner Orangerie. Pater Kilian, einer der mittlerweile sechs entsandten Mönche, lässt den Blick über die Oderwiesen bis ins Nachbarland Polen schweifen. Missionieren wollten sie nicht, sagt Pater Kilian, aber sie möchten in den Männern, die sich interessiert zeigen, eine Berufung wecken.
    "Jetzt im Moment ist es okay", sagt er, "weil wir alle einen Platz haben und wir dieses Priorat errichten können, aber wir brauchen eine Perspektive, um als klösterliche Gemeinschaft wachsen zu können, und um in diesem Kontext auch Gäste aufnehmen zu können. Und das geht nicht im Moment."
    Aus Platzgründen. Der Orden wird darum neu bauen, in der Nähe von Neuzelle, und ein Pilgerweg soll dann das alte mit dem neuen Kloster verbinden.
    "Es ist sehr bewegend, zu sehen, dass es einen Hunger und Durst gibt danach. Denn egal, ob Sie jetzt katholisch sind oder evangelisch oder überhaupt nicht kirchlich konfessionell gebunden, es gibt bestimmte Fragen, mit denen beschäftigt sich der Mensch."
    Kloster mit historischer Bedeutung
    Neben der katholischen Gemeinde gibt es auf dem Klostergelände auch eine evangelische Kirche. Pfarrer und Pastor wohnen quasi Tür an Tür. Gabriele Werner von der Besucherinformation ist stolz auf das einträchtige Miteinander der Konfessionen.
    Sie sagt: "Also das ist wirklich ein Paradebeispiel hier Neuzelle. Die Mönche haben auch schon Gottesdienst in der evangelischen Kirche abgehalten. Wo hat man das? Hier in Neuzelle!"
    Auf drei Seiten umschließen die Klostergebäude einen großen, kopfsteingepflasterten Innenhof, in dem ein Brunnen plätschert. Nach der Säkularisierung 1817 fielen die Klostergüter an den Staat. Nach der Wiedervereinigung rief dann das Land Brandenburg die Stiftung Stift Neuzelle ins Leben, die das Klostergelände verwaltet.
    Luftbild der Klosteranlage in Neuzelle im Landkreis Oder-Spree (Brandenburg). Das Kloster Neuzelle, rund zehn Kilometer südlich von Eisenhüttenstadt, ist das einzige vollständig und einschließlich der Außenanlagen erhaltene Zisterzienserkloster Brandenburgs und eine der wenigen unzerstörten Klosteranlagen in Deutschland und Europa.
    Luftbild der Klosteranlage in Neuzelle im Landkreis Oder-Spree (Brandenburg). (dpa / picture alliance / Patrick Pleul)
    Kirchenmusiker Tilmann Schladebach von der Stiftung Stift Neuzelle ist auf dem Weg ins "Himmlische Theater": Für das "theatrum sacrum" wurde in einem der Klostergebäude eigens ein Museum errichtet. Es beherbergt dramatische, fast lebensgroße Holz-Kulissen. Bemalt im 18. Jahrhundert, erzählen sie die Passion Jesu. Ein einzigartiges Zeugnis europäischer Kunst- und Kulturgeschichte.
    Schladebach sagt: "Da geht es um große europäische Traditionen. Die Zisterzienser gehören natürlich dazu."
    Jahrhunderte lang haben die Klöster der Zisterzienser Kultur und Geschichte des heutigen Brandenburgs geprägt: In Himmelpfort und Zinna, Jüterbog, Lindow, Boitzenburg, Zehdenick, Ziesar, Doberlug und Mühlberg. Doch dann schlossen sich die Kurfürsten des Landes der Reformation an: die Mark wurde protestantisch und blieb es bis heute. Nur drei Prozent der Brandenburger bekennen sich zum katholischen Glauben. Anders hier in Neuzelle: Schätzungsweise die Hälfte der 4.000 Einwohner sind Katholiken. Die Klosterkirche St. Mariä blieb Wallfahrtskirche, selbst in der DDR. Bis heute hat das Kloster auch in anderer Hinsicht große Bedeutung für den Ort, erzählt der gebürtige Neuzeller Burkhard Jantke. Er verkauft im Museum die Eintrittskarten zum "Himmlischen Theater".
    "Es ist ja nicht nur ein geistiges Zentrum hier, es ist ja auch ein wirtschaftliches Zentrum, muss man eindeutig sagen, weil ja auch von dem Kloster selber hier durch die Beschäftigten und natürlich auch durch die Aktivitäten, was jetzt Tourismus betrifft, auch sehr viele Impulse für Neuzelle selbst ausgehen, also gerade auch für Handel und Gewerbe. Ja, es ist sehr wichtig für Neuzelle, das Kloster."
    Die prächtige barocke Klosteranlage stiftet Identität. Das Museum, die Stiftung, aber auch die traditionsreiche Klosterbrauerei bieten ganz konkret Arbeitsplätze.
    Die Hoffnung des Bischofs
    Im spätgotischen Kreuzgang zeugen Wandmalereien vom einstigen Reichtum des Klosters. Der Kreuzgang wurde aufwändig restauriert, ist jetzt für Besucher wieder zugänglich. Seit Anfang der neunziger Jahre sind mehr als 50 Millionen Euro vom Land, Bund und von der EU in die Anlage geflossen. 350.000 Euro macht das Land zusätzlich für die Jubiläumsfeierlichkeiten locker. Nach Ansicht von SPD-Kulturministerin Martina Münch lohnende Ausgaben, weil die ehemaligen Klöster der Zisterzienser die Entwicklung der Region maßgeblich mitgeprägt hätten.
    "Und ganz wichtig: Sie prägen ja die Orte in unterschiedlicher Weise bis heute. Sie sind quasi Kristallisationspunkte der Glaubens- aber auch der Landesgeschichte."
    Bischof Wolfgang Ipolt steht dem Bistum Görlitz vor, zu dem Neuzelle gehört. Er hatte die Idee mit der Wiederbelebung des Zisterzienser-Klosters. Das Jubiläumsjahr schien ihm besonders geeignet.
    "Ich habe die Hoffnung, dass auch die vielen Menschen im Osten Deutschlands, die nicht oder nicht mehr an Gott glauben, sich öffnen können für die Begegnung mit ihm."
    Bischof Ipolt wandte sich an das große Mutterkloster der Zisterzienser, Stift Heiligenkreuz im Wienerwald in Österreich, gegründet anno 1133. Bei Abt Maximilian Heim stieß der Bischof auf offene Ohren.
    Heim erzählt: "Aber auch für uns Heiligenkreuzer ist eine Neugründung etwas ganz Besonderes. Die letzte war vor 30 Jahren in Bochum-Stiepel, und es ist insgesamt die zehnte Begründung von Heiligenkreuz seit dem Mittelalter."
    "Keine Wehrburg, sondern eine Oase"
    Auf dieser Pressekonferenz verkünden die Glaubensbrüder überraschend, dass sie das Angebot von Land und Stiftung ausschlagen, ihr neues kleines Kloster in einem Gebäude auf dem Gelände von Stift Neuzelle zu installieren. Das nutzt derzeit eine Musikschule, sie hätte ausziehen müssen, es gab deswegen durchaus Gemurre. Überhaupt hätten manche in Neuzelle zu Beginn die Rückkehr der Zisterzienser auch skeptisch gesehen, erzählt Bürgermeister Dietmar Baesler beim Bier in der Klosterschänke.
    "Und die Frage ging dann bis dahin: Na ja, wenn man jetzt hier ist und sich wirtschaftlich selber tragen muss, dann übernehmt ihr die Orangerie und übernehmt ihr die ganze Klosteranlage? Geht das alles in eure Hand und alles solche Dinge sind dann hier doch in den Köpfen vorhanden gewesen."
    Sorgen, die sich die Betreiber der Orangerie machten, die wie die anderen Gastronomen am Ort vom Kloster und seinen Besuchern abhängig sind. Auch ein Jahr später ist der Abt von Heiligenkreuz immer noch bemüht, solche Bedenken zu zerstreuen:
    "Uns war es auch ein Anliegen, nicht irgendwie an eine barocke Tradition anzuknüpfen und uns wie Großgrundbesitzer in eine solche Anlage hineinzusetzen, sondern wirklich zu sagen: Wir sind Mönche des 21. Jahrhunderts und wir möchten ganz nahe bei den Menschen sein, wir wollen keine Wehrburg bauen, sondern eine Oase, wo Menschen auftanken können."
    Das Land hilft bei der Suche nach einem geeigneten Grundstück, das Bistum Görlitz werde sich an dem Klosterneubau mit einer Million Euro beteiligen, kündigt Bischof Ipolt an. Wie schon bei der Gründung von Neuzelle anno 1368 sind fromme Spender willkommen. Die Mönche werden weiterhin regelmäßig im historischen Kloster das Chorgebet singen, so verspricht es der Orden. Auf dass Neuzelle nicht nur ein Leuchtturm der katholischen Kirche in Ostdeutschland werde, sondern auch ein touristisches Highlight in der Region bleibt. Ganz im Sinne von Bürgermeister Dietmar Baesler.
    "Und ich glaube, das ist ganz doll wichtig, gerade in der heutigen Zeit, dass sich viele zurückbesinnen sollten, woher man stammt, was man für Wurzeln hat und wofür man eigentlich auf dieser Welt ist und dass man auch erkennt, dass es nicht alles so gut haben wie wir und dass man füreinander da sein muss. Und das sollte man als Grundsatz haben und dann kommen wir auch alle ein Stück weiter."