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Brasilien
"Ein Bruch der demokratischen Ordnung"

Der Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Sao Paolo, Thomas Manz, hält das Amtsenthebungsverfahren gegen die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff für unangemessen. In Brasilien werde gerade ein politisches Instrument für einen Zweck verwendet, für den es nicht geschaffen wurde, sagte er im DLF.

Thomas Manz im Gespräch mit Christiane Kaess | 11.05.2016
    Blick in den brasilianischen Senat am 11.5.2016.
    Über das Amtsenthebungsverfahren muss der Senat entscheiden (picture alliance / dpa / Cadu Gomes)
    Christiane Kaess: In Brasilien überschlagen sich derzeit die Ereignisse. Seit Wochen gibt es ein Hin und Her um ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Dilma Rousseff. Sie soll den Haushalt des Landes geschönt haben und ihre Arbeiterpartei ist wegen eines milliardenschweren Korruptionsskandals in Misskredit geraten. Rousseff selbst aber wehrt sich mit allen Mitteln dagegen. Sie spricht von einem Putsch gegen sie und hat auch noch versucht, das Prozedere juristisch stoppen zu lassen. Allerdings dürfte dem Verfahren jetzt kaum noch etwas im Wege stehen. Der Senat berät im Moment darüber und soll sein entscheidendes Votum abgeben.
    Mitgehört am Telefon hat Thomas Manz. Er ist Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Sao Paulo. Guten Abend, Herr Manz.
    Thomas Manz: Guten Abend.
    Kaess: Herr Manz, Dilma Rousseff hatte ja zunächst erfolgreich den Kurs von ihrem Amtsvorgänger Lula da Silva fortgesetzt. Brasilien hat sich erst einmal positiv entwickelt. Die Arbeiterpartei rühmt sich damit, dass die Armut im Land entscheidend reduziert wurde, und für die Friedrich-Ebert-Stiftung ist die Partei auch ein Partner. Haben Sie denn gehofft, dass Rousseff bleiben kann?
    Manz: Sicherlich haben wir gehofft, dass Dilma Rousseff bleiben kann und die Politik der sozialen Inklusion, die unter der Regierung von ihrem Vorgänger Lula und ihr umgesetzt worden ist, auch fortsetzen kann. Sicherlich haben wir das gehofft. Aber natürlich hat sich das Szenario auch in den letzten Jahren deutlich geändert und die Wirtschaftskrise hat auch Rahmenbedingungen geschaffen, auf die die Regierung nur schwer Antworten gefunden hat.
    Kaess: Wir haben gerade von unserem Korrespondenten auch gehört, die Vorwürfe der Misswirtschaft, die sind durchaus berechtigt. Das Ganze musste zwangsläufig Konsequenzen haben, oder?
    Manz: Nein, der Auffassung kann ich nicht zustimmen. Erstens geht es in dem Amtsenthebungsverfahren ja nicht um die Wirtschaftslage des Landes, sondern es geht darum, ob die Präsidentin in ihrer Amtszeit sich hat Verfehlungen zu Schulden kommen lassen, die den Tatbestand der, wie das hier heißt, "crimenes de responsabilidad" erfüllen.
    Kaess: Genau das meinte ich, Misswirtschaft und Korruption.
    Manz: Das sind Dinge, die mit der Wirtschaftssituation direkt nichts zu tun haben, und nach unserer Auffassung ist es so, dass dieser Tatbestand nicht erfüllt ist. Das was da herangezogen worden ist, "pedaladas fiscais", Haushaltsmanipulationen, da kann man sicherlich berechtigter Auffassung sein, dass das nichts sehr Schönes ist. Aber ob die wirklich den Tatbestand der Verfehlung, der schwerwiegenden Verfehlung, die für eine Amtsenthebung erforderlich sind, erfüllen, da müssen doch sehr, sehr starke Zweifel gesetzt werden, und ich denke, da sind die meisten Experten auch der Meinung, dass das nicht zutrifft.
    "Das ist eine Praxis, die in Brasilien sehr weit verbreitet ist"
    Kaess: Dennoch, Herr Manz, sind auch Haushaltsmanipulationen ja keine Kleinigkeit. Kann denn die Arbeiterpartei unter diesen Bedingungen weiter Partner der Friedrich-Ebert-Stiftung bleiben?
    Manz: Sicherlich kann sie das. Erstens muss man differenzieren. Auch die Arbeiterpartei ist nicht die Regierung. Die Regierung ist eine Koalitionsregierung, die von mehreren Parteien gebildet wird, übrigens auch von der Partei der demokratischen Bewegung, die dann mit dem Vizepräsidenten Temer voraussichtlich eine neue Regierung bilden wird. Nein, ich glaube nicht, dass diese "pedaladas fiscais", Haushaltsmanipulationen, von solcher Tragweite sind, dass man sagen würde, das sind dann Leute, mit denen man überhaupt nicht zusammenarbeiten kann. Das ist eine Praxis, die in Brasilien sehr weit verbreitet ist, übrigens auch von den Bundesregierung, die von anderen politischen Mehrheiten geführt werden, schon hier praktiziert worden und auch von Vorgängerregierungen praktiziert worden sind. Man kann natürlich schon der Auffassung sein, dass es die Aufgabe des brasilianischen Rechnungshofes ist, hier für klare Verhältnisse zu sorgen und solche Praktiken in der Zukunft zu unterbinden, aber es sind ja keine Manipulationen in der Weise, dass hier das Land finanziell geschädigt worden ist.
    Kaess: Aber dennoch, Herr Manz, da muss ich jetzt noch mal nachfragen. Sie selber sprechen auch von Manipulationen. Aber da drücken Sie trotzdem als Stiftung dann beide Augen zu?
    Manz: Nein! Erstens sage ich, dass der Vorwurf besteht, dass es Manipulationen sind. Ich habe nicht gesagt, dass wir der Auffassung sind, dass es Manipulationen sind. Das ist noch mal ein Unterschied. Aber ich wiederhole: Das sind technische Fragen. Da kann man sehr wohl der Auffassung sein, das sollte besser anders gemacht werden. Das ist eine Frage, die muss sich wirklich dann auch der brasilianische Kongress stellen, und der brasilianische Rechnungshof ist ja auch dabei und das ist auch seine Aufgabe, die Regierung durch entsprechende kritische Kommentare der Administration der Finanzen zu unterstützen und diese in der Zukunft zu verbessern. Wir haben auch den Bundesrechnungshof bei uns in Deutschland, der hin und wieder der Regierung auch Dinge ins Buch schreibt, was sie besser nicht hätte tun sollen und was sie in der Zukunft anders zu tun hat.
    "Ich würde den Begriff des Putsches nicht verwenden"
    Kaess: Herr Manz, würden Sie dann so weit gehen, die Position von Rousseff selber zu verteidigen, die sagt, das ist ein Putsch gegen sie? Ist es das?
    Manz: Ich würde den Begriff des Putsches nicht verwenden, aber es ist in der Tat aus meiner Sicht ein Bruch der demokratischen Ordnung. Hier wird ein politisches Instrument, das in der Verfassung sehr wohl vorgesehen ist, für einen anderen Zweck verwendet als für den Zweck, für den dieses Instrument geschaffen worden ist. Wir haben in Deutschland natürlich immer im Hinterkopf, dass wir ein parlamentarisches System haben, in dem auch das Instrument des konstruktiven Misstrauensvotums vorgesehen ist. Das ist ein politisches Instrument, wenn sich die Mehrheitsverhältnisse bei uns im Bundestag ändern, dann kann man auch eine neue Regierung bilden. In einem präsidialen System, wie Brasilien es hat, ist das anders. Hier schöpft sich die Legitimität der Präsidentin aus der direkten Wahl. Das heißt: Der Kongress hat nicht die Möglichkeit, durch ein Misstrauensvotum dann auch die Präsidentin des Amtes zu entheben. Das Instrument des Empeachment ist kein Äquivalent für das, was wir bei uns als Misstrauensvotum haben. Das Instrument des Empeachment hat nicht nur die politische Dimension, sondern auch eine juristische Dimension und ist nur dafür geschaffen, für extreme Verstöße gegen die Sorgfaltspflicht, gegen die Verfassung des Landes, dort eine Zensur der Präsidentin oder des Präsidenten vorzunehmen. Es ist kein Instrument, um einen politischen Richtungswechsel im Lande zu betreiben, und das ist das, was hier in Brasilien geschieht.
    Kaess: Herr Manz, jetzt sehen wir diese politische Lähmung anstatt der Bekämpfung der Rezession, die offenbar notwendig wäre. Welche Reformen bräuchte denn das Land dringend und ist vielleicht Vizepräsident Temer, der diesen neoliberalen Kurs fahren will, wie wir das gerade von unserem Korrespondenten gehört haben, wäre der vielleicht dann doch der richtige beziehungsweise der Kurs der richtige, um das Land voranzubringen?
    "Man kann der Arbeiterpartei nicht vorwerfen, sie habe das Land schlecht regiert"
    Manz: Nein, das glaube ich ganz und gar nicht. Erstens ist die Entwicklung Brasiliens, die soziale und wirtschaftliche Entwicklung Brasiliens in den letzten Jahren ja insgesamt positiv gewesen. Es ist ja nicht so, dass man der Arbeiterpartei vorwerfen könnte, sie hätte das Land schlecht regiert. Ganz im Gegenteil! Es wurde ja auch schon zitiert. In den anderthalb Dekaden, die die Arbeiterpartei ganz wesentlich die politische Entwicklung des Landes beeinflusst hat, sind, was die soziale Entwicklung anbelangt, enorme Fortschritte erzielt worden. Die Armut ist massiv bekämpft worden. Brasilien ist in dieser Hinsicht ein Vorbild in der internationalen Gemeinschaft geworden. Auch sonst sind soziale Verbesserungen vorgenommen worden, die ganz wesentlich dazu auch beigetragen haben, dass sich die Wirtschaft des Landes positiv entwickelt hat. Was in Brasilien passiert ist, ist, dass die Weltwirtschafts- und Finanzkrise von 2007 folgende hier später angekommen ist: mit dem Verfall der Rohstoffpreise, mit dem Einbruch der Nachfrage aus China. Das sind alles Dinge, die das Land mit Verzögerung getroffen haben und eine Rezession eingeleitet haben, und da gibt es natürlich auch Fehler in der Regierung. Ich denke, dass die Regierung Rousseff da lange Zeit eine prozyklische Politik betrieben hat, die in einer Phase, wo sie auch die Überhitzung der Wirtschaft hätte etwas zurückfahren können, weiterhin Infrastrukturmaßnahmen gefördert hat, Steuervergünstigungen betrieben hat, die den Haushalt belastet haben.
    Kaess: … sagt Thomas Manz. Er ist Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Sao Paulo. Vielen Dank für dieses Gespräch heute Abend, Herr Manz.
    Manz: Keine Ursache! Danke für die Einladung.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.