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Brasilien
Hoffen auf Wirtschaftsaufschwung

Brasilien steckt in einer schlimmen Wirtschaftskrise. Interimspräsident Michel Temer will keine Zeit verlieren und hat dabei einen großen Vorteil: Er kann seinen Sparkurs weitgehend ohne Rücksicht auf Wahlen umsetzen. Denn er selbst werde nicht als nächster Präsident kandidieren, verkündet er bereits.

Von Julio Segador | 18.05.2016
    Der brasilianische Interimspräsident Michel Temer, hier am 7. August 2014 in Bogota/Kolumbien.
    Der brasilianische Interimspräsident Michel Temer (picture alliance / dpa / Leonardo Munoz)
    Interimspräsident Michel Temer verliert keine Zeit: Und ein Problem will er sofort lösen.
    Für den 75-Jährigen, der inzwischen die Geschicke des fünftgrößten Landes der Erde lenkt, ist es unumgänglich die Fundamente der brasilianischen Wirtschaft neu zu errichten. Ein Einschätzung, die viele Brasilianer teilen.
    "Ich denke, die Regierung sollte für die Ankurbelung des Wachstums kräftig investieren."

    "Eine Reform in der Politik muss kommen, alles muss gereinigt werden, und dann beginnen wir von Null. Wir müssen in Brasilien den Reset-Knopf drücken."
    Auch wenn Präsidentin Dilma Rousseff formaljuristisch wegen etwaiger Haushaltsmanipulationen zunächst für 180 Tage suspendiert wurde. Es war vor allem die schlechte Wirtschaftslage des Landes, die viele Abgeordnete dazu brachte, sie zu stürzen.
    Brasilien durchlebt die schlimmste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Die Arbeitslosenzahl schnellte zuletzt auf über elf Millionen hoch, das brasilianische Schreckgespenst, die Inflation liegt wieder im zweistelligen Bereich. Die Staatsverschuldung dürfte im laufenden Jahr 130 Milliarden Reais, umgerechnet 32 Milliarden Euro erreichen. Dazu kommen ein chaotisches Gesundheitssystem und ein Haushaltsdefizit, das zuletzt auf etwa zehn Prozent angestiegen ist.
    Interimspräsident Temer will einen Kurswechsel. Und Henrique Meirelles soll ihn als neuer Wirtschaftsminister dirigieren.
    "Meiner Meinung nach ist die brasilianische Gesellschaft bereit, wichtige Einschnitte zu akzeptieren. Die Menschen wissen, so wie bisher kann es nicht weiter gehen."
    Rentenreform und Steuererhöhungen
    Henrique Meirelles genießt als Finanzfachmann einen hervorragenden Ruf in Brasilien, ebenso international. Unter Lula da Silva war er lange Jahre Zentralbankchef. Er gilt als Verfechter einer konservativen Finanzpolitik. Nun muss Meirelles den Brasilianern die angedachten Kürzungen schmackhaft machen. Das Haushaltsdefizit bereitet ihm dabei das größte Kopfzerbrechen, vor allem die hohen Rentenausgaben.
    "Es ist offensichtlich, dass das Rentensystem reformiert werden muss. Und wichtiger als die Fragen: Wie viel Geld werde ich mal bekommen oder mit wie viel Jahren gehe ich in Rente, ist doch die Erkenntnis: Bekomme ich mein Geld sicher?"

    Dass es neben einer Rentenreform auch Steuererhöhungen geben wird ist so gut wie sicher. Zudem erhofft sich die Regierung Einnahmen durch Privatisierungen. Konzessionen für Flughäfen, Autobahnen und Häfen sollen schon bald zum Verkauf stehen.
    Interimspräsident Temer hat sich bereits mit den Gewerkschaften getroffen. Eine Übereinkunft mit ihnen ist eine wichtige Voraussetzung für den Reformkurs. Temer hat bei all dem einen großen Vorteil: Er kann seinen Sparkurs weitgehend ohne Rücksicht umsetzen. Er selbst werde nicht als nächster Präsident kandidieren, verkündet er bereits. Das einzige Hindernis scheint Präsidentin Dilma Rousseff zu sein. Ihre mögliche Rückkehr nach sechs Monaten würde das wirtschaftspolitische Panorama wieder komplett verändern.